Rebecca Harms und Stefan Wenzel, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Landtag, haben sich in einem offenen Brief zur Atommüll-Endlagersuche an ihre ParteikollegInnen gewandt. Harms und Wenzel befürchten, dass die Intransparenz, die seit Jahrzehnten in der Suche nach einem Endlager vorherrscht, weitergeht.
Hier der Brief im Wortlaut:
Liebe Freundinnen und Freunde,
über den aktuellen Verlauf der parteiinternen und öffentlichen Kommunikation zum Entwurf eines Artikelgesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für hochradioaktive Abfälle (Standortsuchgesetz, Atomgesetz, Errichtungsgesetz für ein Bundesinstitut, u.m.a.) sind wir in höchstem Maße irritiert.
Seit über einem halben Jahr laufen Verhandlungen mit wechselnden VerhandlerInnen auf grüner Seite. Seit Beginn der Gespräche haben wir in den verschiedensten Runden darauf hingewiesen, dass ein Prozess der Vertrauensbildung ein zentraler und essentieller Teil des gesamten Verhandlungsprozesses ist. Wir teilen den Satz im Fraktionsbeschluss der Bundestagsfraktion vom 17.1.2012: „Als Lehre aus der Gorleben-Historie muss der Auswahlprozess absolut transparent und nachvollziehbar sein.“ Wir sind jedoch der Ansicht, dass dieser Anspruch auch für die Erarbeitung der Gesetzesgrundlage gelten muss. Wir teilen den Satz aus dem Beschluss Demokratischer Aufbruch in Zeiten der Krise, BDK Kiel, November 2011: „Wir GRÜNE stehen für eine Politik des Gehörtwerdens, in einer Bürgerinnen- und Bürgerregierung, in der Beteiligung und Transparenz das Regierungshandeln bestimmen, genauso wie in der parlamentarischen Opposition“, ebenso wie viele andere diesbezügliche Sätze aus dem o.g. Beschluss.
Der letzte jetzt inoffiziell bekannt gewordene Entwurf eines Artikelgesetzes lässt leider immer noch erkennen, dass neben den bekannten Konfliktpunkten Sicherheitskriterien, Sachzwänge Gorleben, Zahl der zu untersuchenden Standorte, Behördenstruktur, Finanzierung und Rechtsschutz auch wesentliche Konsequenzen aus dem Asse-Desaster nicht gezogen wurden. Das gilt insbesondere für den Umgang mit der notwendigen Transparenz im Verfahren, den Möglichkeiten zur Fehlerkorrektur und der Pflicht zur Veröffentlichung wissenschaftlicher Daten und Gutachten. Institutionen wie die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR), die maßgeblich an der Vertuschung der Laugenzuflüsse und der Kontamination von Laugen in der Asse beteiligt waren, sollen jetzt sogar bergrechtliche Kompetenzen der Länder übernehmen, obwohl die BGR wie viele andere mit der Endlagerung befasste wissenschaftliche Institutionen nie eine selbstkritische Fehleranalyse vorgenommen hat.
Nach Jahrzehnten der gesellschaftlichen Blockade und der massiven Konfrontation in der Endlagerfrage für Atommüll liegt in den laufenden Gesprächen über einen Neubeginn bei der Endlagersuche grundsätzlich eine Chance. Wie ihr wisst haben wir in Niedersachsen mit Gorleben einen Standort, der willkürlich in einem Hinterzimmer ausgeguckt wurde und der illegal bis zum heutigen Stand ausgebaut wurde. Wir mussten immer wieder erleben, wie die sogenannten „Sicherheitskriterien“ an einen ungeeigneten Standort angepasst wurden. Wir haben mit Asse eine havarierte wilde Atommüllkippe, die noch vor wenigen Jahrzehnten als „sicher für alle Zeiten“ galt. Wir wissen, dass der etliche Millionen Jahre strahlende Atommüll über viele tausend menschliche Generationen hinweg sicher gelagert werden muss. Wir wissen, dass die Umsetzung eines Endlagerkonzepts etliche Legislaturperioden in Anspruch nehmen wird und deshalb ein gesellschaftlicher Konsens unverzichtbar ist.
Wir bedauern deshalb zutiefst, dass der gegenwärtige Prozess zur Erarbeitung eines Gesetzentwurfs höchst intransparent abläuft. Wir wollen nicht, dass Rechtsbrüche aus der Vergangenheit mit weißer Salbe übertüncht werden. Nach Jahrzehnten der Willkür, der Durchstecherei, der Geheimhaltung und der Intransparenz wissen wir, wie wichtig ein glaubwürdiger und transparenter Prozess bei einem Neubeginn ist.
Vor diesem Hintergrund sehen wir mit großer Sorge, dass Bundesvorstand und Bundestagsfraktion – der Bundesvorstand insbesondere mit dem jüngsten Beschluss - nun eine Beschleunigung des Gesetzgebungsprozesses betreiben, ohne dass glaubwürdige und substantielle Vorschläge zur Beteiligung der Zivilgesellschaft vorliegen oder geplant sind.
Ein Alibi-Symposium des Bundesumweltministeriums in der Sommerpause des Bundestages ist in jedem Fall nicht Ziel führend. Unsere Endlagerveranstaltung in Hannover und die Tagung in Ev. Akademie Loccum haben vielmehr sehr deutlich gezeigt, dass ein erfolgreicher Prozess nicht ohne eine öffentliche Erörterungsphase auskommt.
Wir halten es daher für notwendig, dass in einer solchen Erörterungsphase neben der Zivilgesellschaft auch die ganze Bandbreite des wissenschaftlichen Sachverstandes zu geologischen, technischen, sozialen und rechtlichen Aspekten öffentlich gehört wird. Bei der Vorbereitung dieser Beteiligung ist einzufordern und durch unabhängige Personen in geeigneter Form sicherzustellen, dass keine einseitige oder parteiliche Auswahl der ReferentInnen und Referenten erfolgt und zugleich die ganze Breite des verfügbaren Sachverstandes abgedeckt wird. Die Ergebnisse dieses Beteiligungsverfahrens müssen in den Entwurf eines Gesetzes einfließen können und sind im weiteren Verfahren zu berücksichtigen. Nur so kann sichergestellt werden, dass kritische Punkte noch korrigiert werden können.
Wir bitten euch eindringlich, auf ein entsprechendes Vorgehen zu drängen. Wer jetzt ein glaubwürdiges nationales Verfahren zur Beteiligung der Zivilgesellschaft unterlässt, läuft Gefahr die Blockade in der Endlagerfrage um weitere 10 Jahre zu verlängern. Das möchten wir vermeiden: Wir wollen, dass aus den Fehlern der Vergangenheit die richtigen Konsequenzen gezogen werden.
Wir bitten euch um eine einvernehmliche Abstimmung über das weitere Verfahren. Wir bitte zudem um Information über das vom Bundesvorstand intendierte Verfahren zur letztendlichen Positionierung der grünen Partei und die dafür bislang vorgesehen Termine der Gremien – ausdrücklich möchten wir deutlich machen, dass der Länderrat am 2. September 2012 schon aus Termingründen kein geeigneter Ort sein kann.
Mit freundlichem Gruss
Stefan Wenzel, Fraktionsvorsitzender Landtagsfraktion Niedersachsen
Rebecca Harms, Fraktionsvorsitzende Europaparlament