Rebecca Harms

Mitglied des Europäischen Parlaments in der Grünen/EFA Fraktion 2004-2019

#atom    27 | 09 | 2012

Diskussionspapier: Anforderungen an ein Auswahlverfahren für Endlagerstandorte für wärmeentwickelnde radioaktive Abfälle

Für einen erfolgreichen Neuanfang der Endlagersuche: Die Verhandlungen vom Kopf auf die Füße stellen!

 

Vorwort von Rebecca Harms


Fukushima und der Regierungswechsel in Stuttgart haben in Deutschland neue Bewegung in den Streit um die Energiepolitik gebracht. Nach den Empfehlungen der Töpferkommission zur Neubewertung der Risiken der Atomenergie ist rund die Hälfte der Atomkraftwerke vom Netz genommen worden. Der Rest soll bis spätestens 2023 folgen. Diese Entscheidung wurde von einer sehr großen Mehrheit der Abgeordneten des Bundestages getragen. Wie eine mehrheitliche Einigung zum weiteren Vorgehen bei der Atommülllagerung aussehen kann, das ist auch nach gut einem Jahr der Verhandlungen zwischen Bundesrat, Bundesumweltminister und zuletzt auch Fraktionen des Bundestages unklar. Öffentlich nachvollziehbare Streitpunkte, die bisher gegen eine Einigung zu sprechen scheinen, sind der Umgang mit dem Standort Gorleben und die Verteilung von Entscheidungs- und Verfahrensmacht in einem Endlagersuchprozess im Gefüge von Politik und Fachinstitutionen.

 

Es ist kein Geheimnis, dass ich den Salzstock Gorleben als Endlager für ungeeignet halte. Trotzdem trete ich wie andere Gorlebengegner für einen Neubeginn der Suche nach einem geeigneten Endlager ein. Eine gesellschaftliche und politische Einigung auf das weitere Vorgehen zur Endlagerung und die Entwicklung eines guten Verfahrens unterstütze ich seit Langem. Allerdings habe ich erhebliche Zweifel, dass die bisherigen Verhandlungen für ein Endlagersuchgesetz zu einem guten und mittelfristig durchhaltbaren Verfahren führen können. Ich habe die beiden Hannoveraner Geologen Detlef Appel und Jürgen Kreusch gebeten, noch einmal nachvollziehbar darzulegen, wie ein erfolgversprechendes Auswahlverfahren für ein Atommüllendlager ablaufen könnte und müsste. Die beiden Experten arbeiten seit Jahrzehnten zu Gorleben, aber auch zur Tiefenlagerung von Atommüll und Chemiemüll. Sie waren Mitglieder des AK-End und werden für ihren Sachverstand und ihr Engagement weit über Deutschland hinaus von Kollegen, Politikern und Nichtregierungsorganisationen geschätzt.

 

Mit der Veröffentlichung des Diskussionspapieres möchten wir darlegen, warum wir glauben, dass der politische Prozess für den Neubeginn bei der Endlagersuche vom Kopf auf die Füße gestellt werden muss. Trotz aller Schwierigkeiten und auch meiner Kritik am bisher bekannten Gesetzestext sehe ich es als Fortschritt an, dass die ungelöste Atommüllfrage überhaupt wieder zu einem Thema geworden ist in der deutschen Politik. Damit aus dem neuen Interesse ein überzeugender Neuanfang werden kann, müssen andere Schwerpunkte gesetzt und mehr Transparenz und Beteiligung schon jetzt geschaffen werden.

 

Sorgfalt vor Eile


Gemessen an der Dimension der Aufgabe und der Langfristigigkeit des Suchverfahrens, für das jetzt dauerhafte Grundlagen gelegt werden müssten und das sich noch über Jahrzehnte erstrecken wird, steht der Verhandlungsprozess unter einem falschen Zeitdruck. Der Versuch, die politischen Akteure unter einen Kompromiss zu bekommen, dominiert das Vorgehen. Die unbedingte Notwendigkeit, die Bürger bei einem Neuanfang mitzunehmen, wird nachrangig. Gemessen an der Aussicht, dass ein Endlager nicht vor 2060 bis 2080 in Betrieb gehen wird und kann, erscheint der bisherige politische Galopp wenig überzeugend. Die Suche nach einem geeigneten Endlager dauert schon mehr als drei Jahrzehnte und wird nach allem, was man heute sagen kann, noch einmal solange dauern.

 

Das Wissen um die Langfristigkeit darf nicht zur Verschleppung des Neubeginns führen. Doch falsche Eile und das Vertagen der Beantwortung grundsätzlicher Fragen werden im späteren Prozess nur wieder für erhebliche Auseinandersetzungen sorgen. Verzögerungen oder auch das Scheitern des Verfahrens werden durch oberflächliche oder nur politische Einigkeit vorprogrammiert. Verlass auf das Verfahren kann es nur geben, wenn die politischen Kompromisse nicht mit der nächsten (Landtags-)Wahl wieder in Frage gestellt werden.

 

Das Vorgehen vom Kopf auf die Füße stellen


Die Ernsthaftigkeit einer politisch-gesellschaftlichen Einigung auf Rahmenbedingungen für die Endlagersuche müsste mit der Antwort auf die Frage beginnen, was eigentlich falsch gemacht wurde mit der Entscheidung, Atommüll in der Asse einzulagern oder Gorleben ohne Vergleich mit anderen Standorten zum Endlager auszubauen. Denn wer sich weder mit der Katastrophe in der Asse noch mit den Mängeln des Salzstockes Gorleben auseinandersetzt, befördert den Zweifel am ernsthaften Willen zum Neuanfang. Nur eine gemeinsame Analyse der Fehler und Schwächen des bisherigen Vorgehens und Scheiterns kann den Neuanfang glaubwürdig machen.

 

Die Frage, welches technische Konzept der Endlagerung in Deutschland verwirklicht werden soll, müsste auch für Bürgerinnen und Bürger verständlich und nachvollziehbar geklärt werden. Dazu gehört die Frage nach der tiefengeologischen Lagerung genauso wie die Frage zur Rückholbarkeit des Mülls. Wenn die Suche nach der geeigneten Geologie beginnt, dann dürfen die möglichen Suchräume keine Überraschung für all diejenigen in Deutschland sein, die in Regionen mit "eignungshöffigen" Vorkommen von Granit, Ton oder Salz leben. Die Suchregionen dürfen nicht ausgeblendet werden bei der Verabredung eines Neuanfangs. Bevor das Endlagersuchverfahren beginnt, müssen das Vorgehen und die Regionen und Orte, an denen die Suche sich ereignen wird, nicht nur in der Politik, sondern auch in der Gesellschaft soweit wie möglich streitfrei gestellt sein. Es ist bezeichnend für die Schwächen des bisherigen Vorgehens, dass es immer nur um die Einbeziehung Gorlebens und nie um all die anderen Orte geht, die in der Suche, der Auswahl und dem Vergleich geprüft werden müssen.

 

Das Diskussionspapier von Detlef Appel und Jürgen Kreusch soll nicht allein in Deutschland die Debatte um geeignete Verfahren beleben. In etlichen europäischen Ländern diskutieren Bürgerinitiativen und PolitikerInnen über gesellschaftliche Verantwortung angesichts der ungelösten Endlagerfrage. Nach jahrzehntelanger Beschäftigung mit der Frage „Wohin mit dem Atommüll?“ bin ich überzeugt, dass nur in Verfahren, welche die Sicherheit zentral stellen aber Demokratie und Mitbestimmung zur Voraussetzung machen, gute und verantwortbare Lösungen erreicht werden können.

 

Das Diskussionspapier finden Sie hier (pdf).

(Copyright Foto: campact (flickr), Fotograf: Jakob Huber)


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