Rebecca Harms

Mitglied des Europäischen Parlaments in der Grünen/EFA Fraktion 2004-2019

#castor    26 | 11 | 2011

Gastkolumne zum Castor 2011: Staatsgewalt statt Partizipation

in der Zeitung "Neues Deutschland"


Von Rebecca Harms

 

In Deutschland hat nach Fukushima der Ausstieg aus der Atomkraft neu begonnen. Fast die Hälfte der Reaktoren ging vom Netz. Neubewertung des atomaren Risikos war die Begründung. Eine neue Bewertung steht für das Millionen-Jahre-Risiko Atommüll noch aus. Auch deshalb versammeln sich in meiner wendländischen Heimat und an der Castorstrecke wieder einmal viele Tausend Menschen. Anlässlich der Atomtransporte protestieren sie gegen den unverantwortlichen Bau eines Endlagers im Gorlebener Salzstock.

 

»Muss das noch sein?«, werde ich oft gefragt. Der Röttgen wolle doch nun mit Kretschmann und McAllister für eine ergebnisoffene Suche nach dem besten Endlager sorgen. Das stimmt. Die gute Absicht seh' ich wohl. Ein Neuanfang der Endlagersuche nach besten Sicherheitskriterien und mit optimaler Bürgerbeteiligung - wer kann da dagegen sein?

 

Mein Glaube an die gute Absicht entscheidet sich aber an Gorleben. Denn der Salzstock Gorleben ist geologisch ungeeignet und politisch verbrannt: Keine starken Deckgebirgsschichten über dem Salz, Kontakt zum Grundwasser, Gas - alles, was gegen Salz als Endlagergestein spricht, wurde in Gorleben gefunden. Für mich gibt es keinen Zweifel: Gorleben muss aufgegeben werden. Trotz der negativen Erkenntnisse wurde das Wort »Eignungshöffigkeit« geprägt, um nicht nur die Erkundung, sondern den Ausbau eines Endlagers zu legitimieren. Oberirdisch entstand eines der größten Atommüllzentren der Welt. Durchgesetzt wurde alles mit immer größeren Polizeieinsätzen. Statt auf Partizipation wird in Gorleben seit 35 Jahren auf Staatsgewalt gesetzt. Tausende von Polizisten müssen das politische Versagen bis heute ausbaden und Bürger und Bauern von Straßen und Schienen räumen.

 

Weil man die Fehler und Lügen der Politik aus 35 Jahren nicht löschen kann, sind das Festhalten an Gorleben und die Idee eines Neuanfangs unvereinbar. Norbert Röttgen hat dafür gesorgt, dass am Endlager mit Hochdruck weitergearbeitet wird. Er hat einen Atomlobbyisten und einen Gorleben-Befürworter mit einer Sicherheitsanalyse des Endlagers beauftragt. Mit seinen Entscheidungen zu Gorleben steht er in einer Reihe mit den Politikern, die mit den Fehlern der Gorleben-Strategie nicht brechen. Ihre Partei oder die Atomindustrie oder alle beide lassen es nicht zu. Er und die Ministerpräsidenten, die Gorleben in der neuen Standortsuche haben wollen, behaupten ständig, dass das vernünftig sei. Scheinbar meinen sie, man könnte die Fehler, Fälschungen und Manipulationen des Verfahrens und die geologischen Mängel in Gorleben heilen. Wenn sie das nicht meinen, dann gehört Gorleben auch nicht in diesen »Topf« von Standorten, von dem so viel gesprochen wird und in dem noch kein einziger neuer Standort ist.

 

Weil wir einen wirklichen Neuanfang wollen, sind wir Gorleben-Gegner weiter auf der Straße. Die Überschreitung der Grenzwerte am Zwischenlager ist ein neues Beispiel für das Versagen der Politik. Die unverschämte Lüge, dieser Castor-Transport sei der letzte, ist eine zusätzliche Provokation. Transporte aus England und Frankreich nach Gorleben sind geplant. Der Stopp der Transporte wäre ein gutes Signal für Glaubwürdigkeit. Das mindeste Zeichen der Ernsthaftigkeit des Neuanfangs, das gesetzt werden muss, ist der sofortige Baustopp. Das weiß Winfried Kretschmann dank Stuttgart 21. Und Norbert Röttgen kann es tun.

 

Der Kommentar ist auch unter http://www.neues-deutschland.de/rubrik/kolumne/ zu finden.


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