Rebecca Harms kritisiert das EU-Postengeschacher scharf. Dennoch plädiert die Grünen-Chefin im EU-Parlament für Juncker als Kommissionspräsident. Zum deutschen Kommissions-Kandidaten Oettinger hat sie eine klare Meinung.
Warum machen es sich Angela Merkel und ihre 27 EU-Kollegen bloß so schwer? Es ist doch eigentlich klar: Die Europäische Volkspartei, zu der auch die CDU gehört, hat bei den Europawahlen die meisten Stimmen bekommen. Jean-Claude Juncker war ihr Spitzenkandidat. Er ist der einzige Kandidat, der eine Aussicht auf eine Mehrheit im Parlament und im Rat hat. Deshalb muss er beim Gipfeltreffen diese Woche in Brüssel nominiert werden. Aber seine eigenen Leute torpedieren ihn.
Und Merkel erkauft sich die Zustimmung der Sozialdemokraten mit Deals, die alles andere als demokratisch sind. Dass Martin Schulz nun von Christ- und Sozialdemokraten zum Präsidenten des Europäischen Parlaments gekürt werden soll, greift direkt die Rechte des Parlaments an. Es ist Sache der Abgeordneten, über ihren Präsidenten zu entscheiden, nicht der Großen Koalition in Berlin.
Die Staats- und Regierungschefs beschädigen mit ihren Machtspielchen den Versuch, die Europäische Union demokratischer zu machen und sie den Bürgerinnen und Bürgern wieder näher zu bringen. Die Idee der Europäischen Spitzenkandidaten war sicherlich noch nicht perfekt und muss bis zu den nächsten Wahlen verbessert werden. Aber sie hat dafür gesorgt, dass europäische Politik erkennbarer, unterscheidbarer geworden ist. Wenn nun die EU-Spitzenposten zwischen Merkel, Gabriel und den übrigen Regierungschefs entlang einer großkoalitionären Machtachse ausgeklüngelt werden, gießt das Wasser auf die Mühlen der EU-Kritiker.
Der konservative Portugiese José Manuel Barroso hatte den Posten seit 2004 für zwei Amtszeiten inne. Sein Nachfolger soll laut EU-Vertrag von den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Europawahl gewählt werden. Die europäischen Parteienfamilien schicken erstmals Spitzenkandidaten ins Rennen, die auch als Bewerber für den Posten gelten. Für die Sozialdemokraten ist das der Deutsche Martin Schulz (SPD), derzeit EU-Parlamentspräsident. Die Konservativen als zweiter großer Block haben sich für Luxemburgs Ex-Regierungschef Jean-Claude Juncker entschieden. Die beiden sind die aussichtsreichsten Kandidaten.
An der Frage, wer der nächste EU-Kommissionspräsident wird, wird entschieden, ob die Europäische Kommission sich auch in Zukunft zuerst dem Europäischen Rat, also den Regierungen, verpflichtet fühlt oder auch mehr dem Europäischen Parlament und damit den Bürgerinnen und Bürgern. Und das gilt nicht nur für den Präsidenten der neuen EU-Kommission.
Längst geht es in den Brüsseler Kulissen und in den Hauptstädten nicht mehr ausschließlich um eine einzelne Personalie. Jede Regierung versucht nun für „ihren“ Kommissar den besten Job zu ergattern. Und was wir aus Verhandlungskreisen hören, ist alles andere als ermutigend: Die Staats- und Regierungschefs scheinen die Posten allein nach nationalen Interessen aufzuteilen. Kompetenzen der Kandidaten oder gemeinsame europäische Interessen scheinen zweitrangig.
So will David Cameron das Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP) - und zwar so schnell wie möglich gegen alle Bedenken von Bürgerinnen und Bürgern durchbringen. Deshalb soll ein Brite Handelskommissar werden. Die Gefahr besteht, dass die TTIP-Verhandlungen wie bisher undurchsichtig geführt werden und nicht mal wir Abgeordnete im Europäischen Parlament über den Inhalt der Gespräche informiert werden.
Wir sind weiterhin gegen diese Verhandlungen und wollen deshalb von Jean Claude Juncker wissen, wie er die lang erkämpften Standards etwa im Umwelt- und Verbraucherschutz schützen will. Und wir wollen von ihm wissen, was das für die Auswahl der EU-Kommissare bedeutet.
Die Auswahl des Energie-Kommissars zeigt ein ähnliches Muster: Merkel hat bereits Günther Oettinger positioniert. Er soll weiter in Brüssel bleiben. Auch die Polen haben Interesse angemeldet. Beides wäre eine Katastrophe für die europäische Klima- und Energiepolitik.
Günther Oettinger konterkariert in Brüssel mit aller Kraft eine erfolgreiche europäische Energiewende. Aus der Krise mit Russland hat er nichts gelernt und setzt sich weiterhin stur für den alten Energie-Mix aus Kohle und Atom ein und sieht in Schiefergas die wichtigste Technologie der Zukunft.
Die polnische Regierung sperrt sich ebenfalls vehement gegen ehrgeizige Klima- und Energieziele für 2030 und darüber hinaus. So sieht zukunftsfähige Energiepolitik nicht aus. Auch damit werden wir Grüne Jean-Claude Juncker konfrontieren. Wir wollen, dass Bürgerinnen und Bürger wissen, worum es in Brüssel geht.
Noch haben die Staats- und Regierungschefs eine Chance: Der EU-Kommissionspräsident muss eine Auswahl von mehreren Kandidatinnen und Kandidaten aus jedem Land bekommen. Dann kann er eine EU-Kommission aufbauen, in der die Postenvergabe nicht nach nationalen Vorlieben entschieden wird. Und nach Jahren des Ringens um die Frauenquote muss klar sein: Die nächste EU-Kommission muss mehr Frauen haben als die Barroso-Kommission. Dafür sind die Regierungen in den Mitgliedsstaaten und der Kommissionspräsident gemeinsam verantwortlich.