Rebecca Harms

Mitglied des Europäischen Parlaments in der Grünen/EFA Fraktion 2004-2019

#asse    25 | 09 | 2009
Blog

Ausser Wahlkampf nichts gewesen? - Gorleben und die ungelöste Atommüll-Frage nicht wieder verdrängen!

Es ist in den 32 Jahren, die seit der Entscheidung, Gorleben im Landkreis Lüchow-Dannenberg zum Standort für ein Nukleares Entsorgungszentrum zu machen, keineswegs das erste Mal, das über Lug und Trug, über Politik versus Wissenschaft, Bürger gegen Atomindustrie so aufgeladen debattiert wird, wie in diesen letzten Wochen des Wahlkampfes. Neu ist, dass ein Bundesumweltminister das Thema Endlagerung zu einem Schwerpunkt seiner Wahlkampagne macht. Und es darf natürlich gefragt werden, ob dieser Schwerpunkt ein anderer wäre, wenn nicht Sigmar das Direktmandat in seinem Wahlkreis erringen müsste, dem Wahlkreis Salzgitter-Wolfenbüttel, in dem das Forschungs- und Versuchsendlager Asse liegt. Ein Lob dem Direktmadat kann ich an dieser Stelle nur sagen. Dass in Deutschland das große ungelöste Problem Atommüll endlich einmal wieder als nationales Problem und damit angemessen als eines der größten Probleme der Industriegesellschaft von gestern diksutiert wird, das haben wir auch dem Ringen um dieses Direktmadat zu verdanken.

Mit Inbrunst wurde von FDP und CDU Politkern darüber schwadroniert und gezetert, warum gerade jetzt Dokumente öffentlich werden, die belegen, dass die Auswahl des  Salzstockes Gorleben nicht auf wissenschaftlicher Empfehlung sondern auf politischer Entscheidung beruht. Politischer Aberwitz! Aufregen muss man sich,  dass es überhaupt bis heute so viel Geheimhaltung gibt! Aufregen muss man sich nicht über die Veröffentlichung sondern über die jahrzehntelange Geheimniskrämerei um Gorleben. Wer nichts zu verbergen hat, kann doch endlich die Archive zu Gorleben, Konrad, Morsleben und Asse aufmachen. Wenn stattdessen ausgerechnet der niedersächsische Ministerpräsident, der ja gerade wegen der Konzentration der Atommülllager in Niedersachsen eine besondere Verantwortung hat, erneut nur eine Teileinsicht in geschwärzte und lückenhafte Akten gewährt, dann ist das der Beleg dafür, dass diejenigen, die an Gorleben als Endlager festhalten wollen, nichts so fürchten, wie öffentliche Einsichtnahme in die bisher unveröffentlichte Geschichte einer der möglicherweise folgenschwersten Fehlentscheidungen der alten Bundesrepublik.

Aber nicht nur ein paar Protokolle über verantwortungslose Politik und biegsame Wissenschaft sind neu in der aktuellen deutschen Debatte über Atommüll und Atomkraft. In der Geschichte der Atomindustrie in Deutschland hatten wir ja noch keinen GAU in einem Atomkraftwerk - keinen größten anzunehmenden Unfall wie in Tschernobyl. Aber Deutschland hat heute zu kämpfen mit dem GAU in einem Endlager. Die unkontrollierte Flutung der Einlagerungskammern im Forschungsendlager Asse, das beschreibt man in der Endlagerung als GAU. Mehr als Hunderttausend Fässer, deren Inhalt nicht dokumentiert ist, große Mengen radioaktiv verseuchtes Wasser, das ungenehmigt in tiefe Bereiche gepumpt wurde, in einem Bergwerk, das einzustürzen droht wegen eines Wasserzuflusses, der in letzter Zeit erheblich stärker wird. Plutomium lagert auch dort unten. Zunächst wurde von 9 kg gesprochen. Durch die Arbeit des niedersächsischen Untersuchungsausschusses zur Asse wissen wir nun: Nicht 9 kg sondern 27 kg Plutonium liegen angeblich in der Asse. Wie kann es zu einer solchen Abweichung kommen? Warum wurde das nicht früher entdeckt? In der Asse wundert einen nichts mehr.

Selbst hartgesottene Atomkraftgegner, die viele Skandale erlebt haben, hätten sich ein solches Ausmaß an Ignoranz, Verantwortungslosigkeit, Schlamperei und Gesetzlosigkeit nicht vorstellen können. Aber all das hat unter den Augen der Elite der deutschen Atom- und Endlagerforschung stattgefunden.
Keiner aus den Reihen dieser Elite hatte den Mumm rechtzeitig und öffentlich Alarm zu schlagen. Aus dem Forschungszentrum wurde ein Endlager, in dem man ein Fass Atommüll für 150 Mark billigst entsorgen konnte. Wenn man nun im Nachhinein erfährt, dass Fachleute aus Wissenschaft, Bergbau und Atomwirtschaft dazu geschwiegen haben, muss es nicht wundern, dass auch keiner den Mund aufgemacht hat, als die Wasserzuflüsse mehr und mehr Probleme machten. Es ist besonders bemerkenswert, dass es bisher auch kein Signal gibt aus den Reihen der Verantwortlichen, die Fehler einzugestehen geschweige denn die Unverantwortlichkeit des Handelns zuzugestehen. Die Reihen fest geschlossen gehalten scheint das Leitmotiv.

Aus der Gorlebenperspektive ist das ausgesprochen bedrohlich. Denn ein großer Teil derjenigen, die die Verantwortung für die Auswahl und die Nutzung der Asse tragen, haben später die Gorleben Entscheidung vorbereitet und die Untersuchungen und Erkundungen vorbereitet und bewertet. Politischen Druck auf die Wissenschaft hat es in beiden Fällen gegeben. Für die Asse kommen viele Erkenntnisse zu spät. Dort muss man jetzt nach bestem Wissen und Gewissen eine Lösung suchen. Für Gorleben kann Schaden abgewendet werden: Alles spricht dafür diesen Standort nicht nur im Wahlkampf als verbrannt zu erklären. Gorleben muss aufgegeben werden. Anders wird ein verantwortlicher Neubeginn der Suche nach einem Endlager nicht möglich sein. Im Lichte der Erfahrungen mit dem GAU in der Asse müssen die bisherigen Entscheidungen zur Endlagerung, die Priorität für Salz, der Verzicht auf Rückholbarkeit und auch das Zwei-Endlager-Konzept überprüft und neu abgewogen werden. Ein Untersuchungsausschuss des Bundestages zu Gorleben wird die Notwendigkeit eines Neuanfanges mit Sicherheit belegen können. Deshalb ist dieser Untersuchungsausschuss das Erste, was nach der Wahl entschieden werden muss. Vollständige Aufklärung und Transparenz sind die Voraussetzung für einen Neuanfang bei der wahnsinnig anmutenden Aufgabe, radioaktive Abfälle für 1.000.000 Jahre sicher zu lagern.


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