Rebecca Harms

Mitglied des Europäischen Parlaments in der Grünen/EFA Fraktion 2004-2019

#europäische union    17 | 03 | 2016
Blog

Vor dem Türkeigipfel: EU muss auf ein gutes Abkommen drängen

Wenn heute und morgen die Staats- und Regierungschefs der EU und der Türkei in Brüssel schon wieder zum Gipfeltreffen zusammen kommen, geht es um viel. Trotzdem steht wohl fest, egal wie die Verständigung  aussehen wird, sie wird ein Kompromiss werden, der nicht allen Anforderungen genügen wird.

Die Türkei unter Präsidenten Erdogan ist alles andere als ein Wunschpartner für schwierige Verhandlungen und Aufgaben. Niemand verhandelt gerne mit einer Regierung, die Menschenrechte verletzt, die die Pressefreiheit abschafft und die bewusst die Rückkehr in den Bürgerkrieg riskiert, anstatt den Friedensprozess mit den Kurden fortzusetzen. Klar ist aber auch, dass man um eine Verständigung mit der Türkei nicht herum kommen wird,  wenn man die Flüchtlingskrise lösen will. Die geographische Lage aber auch die jahrelange Bereitschaft zur Aufnahme von Millionen Flüchtlingen machen die Türkei zu einem Land, mit dem Verabredungen getroffen werden müssen, wenn wir eine Lösung der Krise im Sinne der Flüchtlinge wollen. Die Europäische Union, die sich aus der Türkeipolitik quasi herausgestohlen hatte, muss jetzt mit einem viel schwierigeren Land umgehen, wenn sie ihrer Verantwortung für die Flüchtlinge und für die Region in der Krise gerecht werden will.

Anstatt die Verhandlungen mit der Türkei per se zu verurteilen, sollte man daher alle Anstrengungen  darauf konzentrieren, ein Abkommen zu erreichen welches einen besseren Schutz der Flüchtlinge sicher stellt. Es steht für mich außer Frage, grundlegende Normen des internationalen Rechts zum Schutz von Flüchtenden auszuhebeln oder die humanitäre Verpflichtung der EU aufzukündigen. Die finanzielle Hilfe für die Flüchtlingslager in der Türkei genau wie im Libanon oder Jordanien sind aber ebenso richtig. Diese Hilfe darf jedoch keine Finanzspritze für Erdogan sein. Der legale Zugang von Flüchtenden in die EU über großzügige europäische Kontingente wäre ebenfalls ein wichtiger Fortschritt, der Menschen vom gefährlichen Weg über das Meer abhalten könnte. Der Abriss des gemeinsamen Schengenraums durch die Schließung von Binnengrenzen kann aber nicht allein durch Kompromisse mit der Türkei beendet werden. Die EU muss gemeinsam die Verantwortung für die Außengrenzen übernehmen und zwar so schnell wie möglich.

In vielen Kommentaren wird behauptet, die EU verkaufe sich an die Türkei. Das muss nicht sein. Die Gründe dafür, dass die Türkei für die EU ein wichtiger Partner in der Region ist, liegen auf der Hand. Aber die EU ist eben nicht einseitig  an der Zusammenarbeit mit der Türkei interessiert. Präsident Erdogan hat sein Land in eine prekäre Lage gebracht. Der wirtschaftliche Aufstieg ist weitgehend zum Erliegen gekommen, die gewaltsamen Auseinandersetzungen an der Grenze zu Syrien, die verantwortungslose Taktiererei mit dem IS und der Konflikt mit Russland haben die Türkei geschwächt. Vor diesem Hintergrund braucht auch Erdogan die Europäer. Das türkische Drängen auf Visaerleichterungen zeigt, dass die Union keineswegs in der schwachen Position ist, in der sie viele Beobachter sehen.
 
Die  Schwäche  der Europäischen Union entsteht nicht in der Verhandlung mit der türkischen Regierung.  Sie ist hausgemacht, das Ergebnis unserer eigenen Uneinigkeit und der Verweigerung einiger Staaten, gemeinsam Verantwortung in der Flüchtlingspolitik zu übernehmen. Es ist unerlässlich, dass jetzt zumindest einige Mitgliedsstaaten voran gehen und sich an der Verteilung von Flüchtlingen beteiligen.  Denn alle Absprachen mit der Türkei, genauso wie das erfolgreiche  Grenzmanagement, werden uns die Bereitschaft abverlangen, weitere Flüchtlinge in die EU aufzunehmen. Egal ob noch in dieser Woche oder danach: dieser nächste Schritt hin zu einer gemeinsamen Lösung muss gegangen werden.
 


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