Trotz NSA-Spionage und anderen EU-Themen: Die Auseinandersetzung um die Zukunft der Atomkraft hat auch in den letzten Wochen vor der Sommerpause wieder eine große Rolle gespielt:
Gemeinsam mit meinem Kollegen Claude Turmes habe ich einen Brief an die EU-Kommission geschrieben; gegen die versteckte Förderung von Atomenergie (mehr Infos dazu unter http://www.greens-efa.eu/state-aid-for-nuclear-10333.html).
Der Grund: Die Briten wollen offenbar für den Atomstrom im Land einen Preis von 95 Pfund pro MWh über 40 Jahre garantieren. Angesichts aktueller europäischer Wettbewerbsregeln wäre das nicht zulässig. Subventionen dürfen nur für Umweltschutztechnologien vergeben werden. Dazu zählt definitiv nicht Atomenergie. Auch neue Technologien dürfen gefördert werden. Atomkraft kann nach 50 Jahren kommerzieller Nutzung allerdings kaum als junge Technologie gelten. Das Argument der Sicherung von Versorgungssicherheit funktioniert in Groß-Britannien nicht: Es sind genug Projekte mit Gas und erneuerbaren Energien geplant, um die Kraftwerke zu ersetzen, die in naher Zukunft abgeschaltet werden müssen. Außerdem kämen neue Atomreaktoren ohnehin zu spät, um die mögliche Versorgungslücke zu stopfen.
Das ist wohl auch den Beamten der EU-Kommission bewusst. Denn sie überarbeiten nun hinter verschlossenen Türen die Subventionsregeln. Sie wollen es ermöglichen, auch andere Energietechnologien zu fördern. Sie behaupten, damit soll Wettbewerbsgleichheit zwischen den verschiedenen Technologien hergestellt werden. Das hatten auch die Staats- und Regierungschefs bei ihrem vergangenen Gipfel-Treffen in Brüssel gefordert.
Andere Technologien sind günstiger als Atomstrom
Ein Witz, wenn man bedenkt, dass die Atomkraft schon heute zahlreiche Wettbewerbsvorteile hat. Die Betreiber von Kraftwerken müssen ihre Anlagen nicht gegen einen Atomunfall versichern. Auch Stilllegungs- und Endlagerungskosten werden durch Rückstellungsfonds nur teilweise abgedeckt.
Jetzt Milliarden in Atomkraft zu stecken, ist aber auch deshalb nicht sinnvoll, da die Atomenergie, seitdem es sie gibt, stetig teurer geworden ist, während die Kosten für Erneuerbare rapide fallen.. Schon heute ist Windkraft an Land günstiger als Atom. 2020 oder 2023, wenn ein neuer Reaktor in England ans Netz gehen könnte, werden auch andere Technologien deutlich günstiger sein.
Zu dieser Erkenntnis passen auch die Zahlen, die Mycle Schneider auf meine Einladung hin in seinem neuen Statusbericht der weltweiten Atomwirtschaft im EU-Parlament vorstellte (http://rebecca-harms.de/index.php/lesen/weltstatusbericht-der-atomindustrie-studie-belegt-stetigen-55034). Dabei waren auch der Vorsitzende der Heinrich Böll Stiftung, Ralf Fücks und mein französischer Kollege Yannick Jadot.
Kluft zwischen Schein und Sein
Dieser Bericht zeigt – wie schon in den vergangenen Jahren - die eklatante Kluft zwischen Schein und Sein in der Atomwirtschaft. Atomkraft befindet sich im stetigen Niedergang. Die jährliche atomare Stromerzeugung ging im Jahr 2012 gegenüber dem Vorjahr um sieben Prozent zurück. Die Reaktoren werden immer älter und bei vielen im Bau befindlichen Kraftwerken gibt es Verzögerungen und Kostenüberschreitungen.
Die Kostenschätzungen für neue Atomkraftwerke wurden in den vergangenen zehn Jahren von 1000 auf 7000 US-Dollar pro kW installierter Leistung erhöht. Dies sieht nicht wie die oft beschworene Renaissance der Atomkraft aus, sondern wie der sehr teure Versuch, eine dahinsiechende Technologie am Leben zu erhalten.
Zum ersten Mal enthält der Bericht auch ein Kapitel zur Situation in Fukushima. 150.000 Menschen können immer noch nicht in ihre Heimat zurück zu kehren und die havarierten Reaktoren sind nicht unter Kontrolle. Große Mengen Wasser müssen in die zerstörten Reaktoren gepumpt werden. Mittlerweile ist etwa die 2,5fache Menge Caesium-137 im Vergleich zur Tschernobylkatastrophe mit dem Kühlwasser in den Keller und in andere Reaktorgebäude gesickert.
Eins ist ganz deutlich: Die Welt steigt nach und nach aus der Atomkraft aus. Die Anstrengungen der Atombefürworter, Atom als Teil des Energiemix zu erhalten, sind extrem teuer und können den gegenwärtigen Niedergang der Atomkraft nicht aufhalten. Es ist höchste Zeit, die politischen Konsequenzen zu ziehen und auf nachhaltige, saubere und sichere Lösungen für unsere zukünftige Energieversorgung zu setzen – also Energieeinsparungen, Energieeffizienz und erneuerbare Energien.
Foto: Atomkraftwerk Hinkley Point 'B' / Ken Grainger