Rebecca Harms

Mitglied des Europäischen Parlaments in der Grünen/EFA Fraktion 2004-2019

#dieselgate    31 | 08 | 2016

Untersuchungsausschuss Dieselgate: Anhörungen & Zwischenbilanz

Ende August und im September finden im Untersuchungsausschuss des Europaparlaments zum Dieselskandal wichtige Anhörungen statt.

Dienstag 30. August - 15.00-18.30, Brüssel: Es wird Günther Verheugen aussagen, der in der Periode 2004-2009 als Industriekommissar für die Erarbeitung und Vorstellung der Euro 5/Euro 6-Regulierung verantwortlich war, die die Emissionsgrenzen für PKW festlegte. Er gründete auch die Hochrangige Arbeitsgruppe Cars21, in der die Industrie bereits von Anfang an in die Erarbeitung von Gesetzgebung im Automobilbereich einbezogen wurde. Es wird deshalb interessant sein zu erfahren, wie er das Verhalten der Automobilherstellung im Dieselskandal bewertet. Er wird außerdem darüber Auskunft geben können, wie die Kommission das in der Gesetzgebung verankerte Verbot von Abschaltmechanismen und die Ausnahmen dazu zur Zeit der Erarbeitung interpretierte. Er kann auch dazu Stellung nehmen, weshalb die Kommission den Hinweisen auf Nichteinhaltung der Emissionsgrenzwerte im Normalbetrieb, die von der gemeinsamen Forschungsstelle bereits 2008 festgestellt wurde von Seiten der Kommission nicht weiter nachgegangen wurde.
Sein damaliger Kollege aus dem Umweltressort Stavros Dimas wurde bereits vor der Sommerpause angehört.

Montag 5. September - 15.00-18.30, Brüssel: Während der Amtszeit von Antonio Tajani (ehemaliger Industriekommissar) und Janez Potocnik (ehemaliger Umweltkommissar) von 2009-2014 wurden die Schwierigkeiten bei der Umsetzung der EU-Gesetzgebung noch deutlicher. Mehrere Studien wiesen auf die größer werdende Diskrepanz zwischen Emissionsmessungen im Zulassungstest und unter normalen Fahrbedingungen hin. Gleichzeitig verfehlten viele Mitgliedsstaaten in zahlreichen Regionen die  europäischen Ziele zur Luftreinhaltung, wodurch das Problem auch auf dem Schreibtisch des Umweltkommissars landete. Dennoch wurde weder der Frage nachgegangen, wodurch die mehrfach höheren Emissionen im Normalbetrieb zustande kommen noch wurden Mitgliedsstaaten dazu aufgefordert bei der Einhaltung der EU-Grenzwerte für Kraftfahrzeuge härter durchzugreifen. Auch zwischen den beiden Kommissaren schien es unterschiedliche Einschätzungen zur Dringlichkeit des Problems zu geben. So wies der Umweltkommissar im Februar 2013 seinen Kollegen Tajani in einem Brief darauf hin, dass Fahrzeuge offenbar so produziert werden, dass sie nur unter den sehr limitierten Bedingungen des Testzyklus die Grenzwerte einhalten, obwohl die Gesetzgebung eine Einhaltung im Normalbetrieb vorsieht. Er forderte Tajani deshalb zu zusätzlichen Maßnahmen auf, um die Situation zu verbessern. Dieser Aufforderung kam der Industriekommissar nicht nach.

Montag 12. September - 19.00-22.30, Straßburg: Die aktuelle Industriekommissarin Elzbieta Bienkowska und Umweltkommissar Karmenu Vella sind nicht nur für die Aufarbeitung des im September 2015 ausgebrochenen Dieselskandals zuständig, sondern müssen so wie ihre Vorgänger auch beantworten, warum sie nicht entschlossener vorgegangen sind als immer offenkundiger wurde, dass die Automobilhersteller die EU-Stickoxidgrenzwerte umgehen. Immerhin hat die heutige Industriekommissarin bei einem Treffen der Verkehrsminister keinen Zweifel an ihrer Auffassung zur Interpretation der bestehenden Gesetzgebung gelassen. Sie machte deutlich, dass das Problem nicht etwa eine zu ungenau formulierte europäische Gesetzgebung sei, sondern die unzureichende Umsetzung durch die Mitgliedsstaaten.

Montag 26. September - 15.00-18.30, Brüssel: Der Dieselskandal wurde nicht durch das Einschreiten von EU-Institutionen oder nationale Behörden aufgedeckt, sondern durch die US-Amerikanische (EPA) und die kalifornische Umweltbehörde (CARB). Die Umweltorganisation ICCT (International Council on Clean Transportation) veröffentlichte im Mai 2014 ihre Untersuchungsergebnisse zu den Stickoxidemissionen von Dieselfahrzeugen. In ihren Messungen lagen die Emissionen im Normalbetrieb bei zwei von drei Fahrzeugen 5-35 Mal über dem US-Grenzwert. Diese Ergebnisse wurden auch an EPA und CARB übermittelt. Beide Behörden begannen unverzüglich die Situation zu untersuchen. Dabei stellt sich bei der EPA die Vermutung ein, dass VW Abschaltmechanismen verwendet. Im September 2015 muss VW dies öffentlich zugeben. Angesichts der Tatsache, dass der Dieselskandal in den USA aufgedeckt wurde, obwohl den EU-Institutionen und den Behörden der Mitgliedsstaaten schon Jahre zuvor Hinweise darauf vorlagen, wirft viele Fragen auf. Der Ausschuss wird deshalb den Unterschieden im europäischen und amerikanischen Vorgehen nachgehen.

Wo steht der EMIS-Untersuchungsausschuss nach 6 Monaten?

Das erste halbe Jahr wurde hauptsächlich zur Aufnahme der Fakten genutzt. In Expertenaussagen wurde deutlich, dass sowohl die schädliche Wirkung von Stickoxiden als auch der Zusammenhang mit den Emissionen von Dieselfahrzeugen hinlänglich bekannt war. Ebenso wurde auf das immer stärkere Auseinanderdriften von Emissionen im Testzyklus und im Normalbetrieb in mehreren Studien hingewiesen. Vertreter der Kommission waren dennoch der Auffassung, dass durch die Erarbeitung des neuen Testzyklus und der Überarbeitung des Typengenehmigungsverfahrens genug unternommen worden sei, um die Situation zu verbessern. So wurden die Grenzwertüberschreitungen über Jahre hingenommen. Auch gab sowohl eine Vertreterin der gemeinsamen Forschungsstelle der EU-Kommission (JRC) als auch Vertreter der EU-Kommission an, dass es keinen Grund zur Annahme gegeben habe, dass illegale Abschalteinrichtungen verwendet wurden. Anders ist jedoch nach Expertenmeinung die Höhe des Unterschieds zwischen Test- und Realbetrieb kaum erklärbar. Auch gibt es in den Dokumenten, die dem Ausschuss zur Verfügung gestellt wurden an mehreren Stellen sehr deutliche Hinweise darauf, dass Kommissionsmitarbeiter das Abschalten der Abgasreinigung unter bestimmten Bedingungen vermuteten oder dass in Besprechungen das irreguläre Abgasverhalten von Fahrzeugen unter bestimmten Bedingungen besprochen wurde. Dieser Vermutung der illegalen Anwendung von Abschaltmechanismen wurde allerdings nicht nachgegangen, indem man zum Beispiel weitere Untersuchungen zu genau dieser Frage beim JRC in Auftrag gegeben hätte. Der ehemalige Industriekommissar Tajani weist in seinen schriftlichen Antworten auf Fragen des Untersuchungsausschusses darauf hin, dass er lediglich im Falle von konkreten Beweisen für die Anwendung illegaler Abschaltmechanismen die nationalen Behörden hätte auffordern können die Typenzulassung für bestimmte Fahrzeuge zurückzuziehen. Diese hätten ihm jedoch nicht vorgelegen. Er hat allerdings trotz zahlreicher Hinweise auch keine Untersuchungen in Auftrag gegeben, um entsprechende Beweise zu erhalten.

Mehrere Hersteller von Abgasreinigungstechnologie trugen vor, dass es durchaus möglich sei die europäischen Grenzwerte bei Anwendung der richtigen Technologien auch im Normalbetrieb zu erreichen. Sie bestätigten zudem, dass es zum Schutz ihrer Technologie nicht notwendig sei diese bei Temperaturen über dem Gefrierpunkt abzuschalten. Zudem waren die Experten der Meinung, dass es zumindest möglich sei einen Motor entsprechend einzustellen, dass er auch bei eingeschalteter Abgasreinigung bei typischen mitteleuropäischen Temperaturen keinen Schaden nimmt.

Bei den Anhörungen verschiedener Automobilhersteller wurde allerdings deutlich, dass sie die Gesetzgebung dahingehend interpretierten, dass die europäischen Grenzwerte lediglich im Testzyklus erreicht werden müssten. Die Emissionen auf der Straße spielten dagegen keine Rolle. Das widerspricht natürlich dem Ziel der Gesetzgebung, die Luftqualität zu verbessern und die Gesundheit der Menschen zu schützen.
Warum die Hersteller auf ihre Fehlinterpretation der Gesetzgebung scheinbar nicht hingewiesen wurden wird sicherlich eine der Fragen an die zuständigen Behörden sein, die im zweiten Halbjahr der Arbeit des Untersuchungsausschusses verhört werden. In den nächsten Sitzungen wird es die Möglichkeit geben die EU-Kommission und nationale Behörden zu ihrem Agieren zu befragen.


Das Zitat von Rebecca Harms zur Anhörung des ehemaligen deutschen Industriekommissars Günther Verheugen vom 30.August finden Sie hier .


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