Am Donnerstag, dem 08. Juli 2010, hat das Europäische Parlament mit den Stimmen von Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen dem SWIFT-Abkommen in einer leicht veränderten Version zugestimmt. Wir Grünen halten das für tollkühn, vermessen und für das Europäische Parlament kontraproduktiv. In einem Gastbeitrag für europa-digital.de kritisieren Rebecca Harms und der für die Verhandlungen zuständige Jan Philipp Albrecht die Entscheidung.
Der Vertrag von Lissabon hat dem Europäischen Parlament neue Möglichkeiten eröffnet – Möglichkeiten, die wir nutzen wollen, um die demokratischen Rechte der Bürgerinnen und Bürgern in Europa zu verteidigen. In der Auseinandersetzung um das so genannte SWIFT-Abkommen zur Weitergabe von Bankdaten an die USA konnte das Parlament seine neu hinzugekommenen Rechte gleich mit großem Erfolg erproben. Es hat sein Profil deutlich geschärft und mit seiner Ablehnung des ersten Abkommens im Februar bewiesen, dass es für die Rechte der Menschen in Europa eintritt.
Dass die Fraktionen der Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen im Europäische Parlament nun am Donnerstag, dem 08. Juli 2010, eine Kehrtwende machen und dem SWIFT-Abkommen in einer leicht veränderten Version zustimmen werden, halten wir Grünen für tollkühn, vermessen und für das Europäische Parlament kontraproduktiv. Die Fraktionsvorsitzenden der Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen haben dies ohne Konsultation der fachlich zuständigen Berichterstatter und Ausschüsse des Parlamentes beschlossen. Da es sich bei der Datenweitergabe und den geplanten Maßnahmen um sensible Eingriffe in die Grundrechte unbescholtener und unverdächtiger Bürgerinnen und Bürger handelt, ist die Zustimmung zum SWIFT-Abkommen äußerst bedenklich. Unklar bleibt, weshalb das Parlament freiwillig und ohne dringende Notwendigkeit das Heft in Sachen EU-Datenschutz einfach aus der Hand gibt. Wir Grünen werden nicht zustimmen und sind überzeugt: das Europaparlament hätte weiter verhandeln müssen.
Dass das Parlament dies nicht getan hat, ist umso enttäuschender, wenn man die Entwicklung der Debatte um das SWIFT-Abkommen betrachtet. Noch vor wenigen Monaten, als die Ratsentscheidung einen Tag vor dem Inkrafttreten des Lissabonvertrages getroffen wurde, hat es nur Wenige interessiert, dass wir Grüne das SWIFT-Abkommen für hoch problematisch für den EU-Datenschutz halten. Als deutlich zu erkennen war, dass offensichtlich eine Mehrheit im Parlament nicht mit dem SWIFT-Abkommen zufrieden ist, dass generelle Datenschutzprinzipien aus dem EU-Recht nicht beachtet wurden und dass das Europaparlament das Abkommen dann im Februar tatsächlich ablehnt, begannen sich Viele für Datenschutz und Bürgerrechte zu interessieren und sich dafür in den Medien auszusprechen. Das war ein großer Erfolg. Schade nur, dass dieses plötzlich aufflammende Engagement jetzt so abrupt wieder erloschen ist.
Daran, dass das leicht veränderte Abkommen nun den EU-Datenschutzstandards und dem EU-Recht genügt, kann es jedenfalls nicht gelegen haben. Statt einen Meilenstein für einen substanziell höheren Grundrechteschutz auf internationaler Ebene zu setzen, senkt das EU-Parlament mit seiner Zustimmung das EU-Rechtsniveau sogar ab. Unsere Kritikpunkte, die auch das Parlament in seiner Resolution vom Mai sehr deutlich gemacht hat, wurden nicht beseitigt.
Weiterhin im Abkommen enthalten ist beispielsweise die Paketdatenweitergabe der Bankdaten aus Europa an die USA. Zwar soll die Menge der Daten möglichst begrenzt werden, aber auch das neue Abkommen wird zur Folge haben, dass weiterhin ganze Massen an Bankdaten vollkommen unverdächtiger und unbeteiligter Personen an die US-Behörden übertragen werden. Wir haben von vornherein deutlich gemacht, dass dies mit dem EU-Recht nicht vereinbar ist, weil solche Daten nur auf begründeten Verdacht im individuellen und von einem Richter genehmigten Einzelfall übertragen werden dürfen. Dazu muss es entsprechende Mechanismen geben, die in diesem Abkommen nicht vorgesehen sind. Äußerst kritisch betrachten wir Grüne auch die Datenspeicherpraxis der USA. Denn es werden nicht nur die verdächtigen und die ausgewerteten Daten, sondern alle Daten fünf Jahre lang gespeichert. Wir beurteilen eine so lange Speicherung kritisch und halten sie auch für verfassungsrechtlich bedenklich. An dieser Stelle darf die Debatte auf keinen Fall beendet sein.
Skandalös finden wir, dass aus dem Richtervorbehalt die Zuständigkeit von Europol wird. Denn nach dem neuen Abkommen soll nun Europol die Anfrage der US-Behörde auf die Vereinbarkeit mit den Abkommensbestimmungen überprüfen. Eine solche Aufgabe ist Europol als Polizei - und nicht etwa Justizbehörde - nicht nur fremd, sondern auch praktisch nicht möglich. Denn einen Einblick in die Datenpakete kann die Behörde nicht nehmen. Da Europol an den Ergebnissen der Auswertung ein eigenes Interesse hat, ist diese Bestimmung verfassungsrechtlich hoch bedenklich und ersetzt in keinem Fall die vom Parlament geforderte Überprüfung durch eine unabhängige Justizbehörde. Außerdem ist völlig unklar, ob Europol diese Aufgabe auf Basis der geltenden Verträge überhaupt übernehmen darf. Ein entsprechendes Gutachten des eigenen juristischen Dienstes des Parlaments wollten die Mehrheitsfraktionen aber nicht einmal mehr abwarten.
Ein weiterer Kritikpunkt, der nicht behoben wurde, ist der mangelhafte Rechtsschutz für die EU-Bürgerinnen und Bürger. Auf Verwaltungsebene sind EU-Bürger mit Artikel 18 des Abkommens zwar den US-Bürgern gleichgestellt, aber beim gerichtlichen Rechtsschutz bleibt das US-Recht bei seiner Unterscheidung zwischen US-Bürgern und anderen. So können EU-Bürger sich nicht auf den Privacy-Act berufen und haben damit auf dem Papier weniger Rechtsschutzmöglichkeiten, selbst wenn das Abkommen anderes vermitteln möchte. Zudem ist zu bedenken, dass dadurch, dass EU-Bürger so wie US-Bürger behandelt werden, noch lange nicht gewährleistet ist, dass ein annähernd ein gleiches Rechtsschutzniveau im Vergleich zum EU-Recht erreicht wird.
Wir Grüne sind davon überzeugt, dass die Europäische Kommission mit der US-Seite noch viel stärker verhandeln hätte müssen. Dies wäre durchaus möglich gewesen, wenn das Parlament jetzt nicht verfrüht die weiße Fahne gehisst hätte. Mit der Zustimmung zum SWIFT-Abkommen - das nicht einmal eine verbindliche Befristung der Datenübertragung vorsieht - machen wir Europäer nicht nur inhaltlich große Zugeständnisse, sondern schwächen auch unsere Verhandlungsposition mit der US-Seite. Jetzt hat die EU faktisch keine Druckmittel mehr, um ihr erklärtes Ziel - die Verankerung von stärkeren, besseren Datenschutzprinzipien - zu verhandeln. Nicht umsonst hat Viviane Reding, die EU-Justizkommissarin, extra ein Mandat für ein generelles Datenschutzabkommen zwischen der EU und den USA vorgelegt. Dafür werden wir jetzt umso mehr kämpfen.