Rebecca Harms

Mitglied des Europäischen Parlaments in der Grünen/EFA Fraktion 2004-2019

#finanzkrise    12 | 04 | 2010
Blog

Reiseberichte aus Athen, Barcelona und Helsinki

 

Nach Ostern, aber immer noch vor dem Frühling, möchte ich Euch und Ihnen ein kurzes Update aus Brüssel geben. Besser gesagt einen Reisebericht, der die Schwerpunkte meiner Arbeit spiegelt.

 

Im Bild: Nikos Chrys, Rebecca Harms MdEP, Petsalnikos Filippos, Präsident des griechischen Parlaments und Sven Giegold MdEP. ©Aliki Eleftheriou

Vor gut drei Wochen war ich mit Sven Giegold zu Gesprächen und Debatten in Athen. Wir wollten dort gerade auch als deutsche Europaabgeordnete unsere Einschätzungen zur griechischen Krise überprüfen und zur Diskussion stellen. Gespräche mit Abgeordneten und dem Präsidenten des griechischen Parlaments, aber auch mit Mitarbeitern der EU, der deutschen Botschaft und des Goethe-Instituts in Athen standen auf dem Programm. Mitglieder der griechischen Grünen haben uns bei den Besuchen begleitet und eine sehr gut besuchte abendliche Diskussionsveranstaltung zum Thema "Griechische Krise oder europäische Fehlkonstruktion?" im Athener Goethe-Institut vorbereitet. (Video meiner Rede bei der Veranstaltung. Das Video zur Griechenlandreise, das am 27.03.2010 im Europamagazin in der ARD ausgestrahlt wurde, finden Sie hier: "Griechenland: Die Kontrolletti kommen")

 

Zusammen mit Sven Giegold und Reinhard Bütikofer habe ich vor der Reise ein Diskussionspapier zur griechischen Finanzkrise verfasst. Unser Fazit ist auch mit der Entscheidung des europäischen Gipfels nicht überholt. Im Gegenteil! An mehr gemeinsamer Wirtschaftspolitik führt in der Eurozone und in der EU insgesamt nichts vorbei. Beim Start des Euro war vielleicht nicht mehr möglich, als die gemeinsame Währung einzuführen und auf eine quasi automatische politische und wirtschaftliche Integration zu hoffen. Aber der Schritt von Maastricht war nicht entschieden und konsequent genug. Wie die Defizite von damals gut zu machen sind, ist in der derzeitigen Situation, in der statt gegenseitiger Hilfe gegenseitige Beschuldigungen und Arroganz auf der Tagesordnung der EU stehen, noch schleierhaft. Trotzdem wird die Wirtschaftsregierung das bestimmende Ziel für eine erfolgreiche Zukunft der EU sein. Klar ist, dass die Beschlüsse des letzten Gipfels, für die Angela Merkel als Lady No gefeiert wurde, weder Griechenland helfen noch Europa stabil machen. (Pressemitteilungen zum Griechenlandpaket: Das Griechenlandpaket demonstriert die Schwäche der Europäer, Merkel als Elefant im europäischen Porzellanladen)

 

Trotz der Entscheidung des Gipfels in Brüssel Ende letzter Woche zahlt Griechenland für die nötigen Anleihen jetzt einen unverantwortlich hohen Zins von 7%! Wir hatten uns dafür stark gemacht, den Griechen Geld zu üblichen Zinsen zu beschaffen durch Bürgschaften anderer Euroländer (Videos meiner Plenarreden vom 25. März und 07. April 2010) Diese Hilfe der Euroländer sollte einhergehen mit Bedingungen für die Reform des griechischen Staates. Die Notwendigkeit dafür ist uns in Athen von Gespräch zu Gespräch immer deutlicher geworden. Unsere Gesprächspartner haben und erklärt, dass die Griechen nicht nur eine Reform des öffentlichen Sektors, neue Steuergesetze und Maßnahmen gegen Korruption und Steuerflucht brauchen: Sie brauchen insgesamt einen besseren Staat, einen Staat, mit dem sich die Bürger auch identifizieren können und wollen. Das mag sich fremd anhören in Deutschland, wo es ja auch gang und gäbe ist über den Staat zu meckern als wäre er eine fremde Macht.

 

Ich bin überzeugt, dass die Reformen in Griechenland nur funktionieren werden, wenn es um mehr geht als die Haushaltssanierung und die Einsparungen. Ich fürchte nach dem Gipfel, auf dem Angela Merkel die Eiserne Dame gegeben hat, dass die Europäer eine Chance zum besseren Zusammenwachsen vergeben haben. Vielleicht irre ich mich.

 

Aber die Debatte um die gemeinsamen Ziele für das Jahr 2020, die außer Griechenland Thema des Gipfels war, ist eben auch nicht von gemeinsamem positiven Willen geprägt gewesen. Das Programm, das Barroso mit seiner neuen Kommission abgestimmt hatte, ist ein Programm für nachhaltige Entwicklung der Wirtschaft, umfasst aber auch große Themen wie Bildung und Gerechtigkeit. Schon der Entwurf war schwach. Unter gerade für Grüne Ohren wohlklingenden Überschriften fanden sich nur wenig ehrgeizige oder konkrete Ziele. So wie schon in der Lissabonstrategie wird auch alles vermieden, was Erfolg oder Misserfolg jenseits von untauglichen Indikatoren wie dem BSP messbar machen könnte. Bis Juni, bis zum nächsten Gipfel, werden wir Grünen an unseren Vorschlägen arbeiten. Es wird spannend, ob wir die Sozialdemokraten im Europaparlament, die zur Zeit zu dem Thema den Streit mit der Kommission vermeiden und mit Liberalen und Konservativen eine ganz große Koalition eingegangen sind, aus ihrer Anpassung oder Lähmung herausholen können.

Europäische Grüne Partei, 12. Council Meeting vom 19.-21.3.2010 in Barcelona. ©Raimo Oksala

 

Auf meinem Reiseplan standen auch Barcelona und Helsinki. Die Europäischen Grünen haben sich zum Council Meeting in Barcelona versammelt. Der Green New Deal als Antwort auf die Krise war eines Themen. Ein wichtiges Thema für mich war auch eine in Spanien anstehende Entscheidung über die Einrichtung eines zentralen Zwischenlagers für hochradioaktiven Müll. Bei dem Dorf Asco unweit von Tarragona ist ein solches Lager in der Debatte. Zusammen mit Umweltverbänden und den örtlichen Abgeordneten von Iniciativa per Catalunya Verds (ICV) versuchen wir, das Bewusstsein für die Gefahren der Atomkraft zu schärfen. Auch Spanien gehört zu den EU-Ländern, in denen über einen Ausstieg aus dem Ausstieg diskutiert wird. Leider hat das die Regierung Zapatero angezettelt. So wie in allen anderen Atomländern der EU hat aber auch Spanien bisher keine sicheren Lager für hochradioaktiven Müll und abgebrannte Brennelemente. Ich bemühe mich zur Zeit Bürgermeister von möglichen Standorten spanischer Zwischenlager nach Deutschland zu holen, damit sie sich in Niedersachsen ein Bild von den Problemen und Risiken der Atommüllentsorgung machen können bevor sie Entscheidungen für ihre Regionen treffen.

 

In Finnland wird wieder eine Abstimmung im Parlament vorbereitet, die über den Neubau von Atomkraftwerken entscheiden soll. Ob man es glaubt oder nicht: Selbst das ökonomische Desaster in Olkiluoto hat die finnischen Parteien nicht zur Vernunft gebracht. Dort hat sich der Neubau des ersten AKW in Westeuropa seit Tschernobyl zur ökonomischen Katastrophe entwickelt. Der finnische Auftraggeber und der französische Reaktorbauer Areva streiten sich um mehr als 2,5 Milliarden Euro. Außerdem haben die finnischen, britischen und französischen Aufsichtsbehörden am Design des EPR, dem ersten Reaktor der dritten Generation nach Areva-Definition, erhebliche Mängel festgestellt. Die Nachbesserungen, die gefordert wurden, werden mehrere Jahre Arbeit für die Konstrukteure bedeuten. Finnische NGOs haben eine Kampagne mit dem Slogan „Vote Nuclear to History!“gestartet. Ich werde diese Kampagne zusammen mit den finnischen Grünen unterstützen. In der Woche vor Ostern haben wir in Helsinki und Tampere gute Veranstaltungen gemacht. Ich habe dort vom Stand der Dinge in der Asse und in Gorleben berichtet. Die unendliche Geschichte der Asse hat ungläubiges und entsetztes Staunen erregt. Spannend ist für die Finnen aber auch, wie schwer sich ein konservativer Umweltminister Röttgen mit dem Ausstieg aus dem Ausstieg tut. Die Erfolgsstory rund um die Erneuerbaren Energien - also die andere Seite des Ausstiegs - wird eine eigene Kampagnenlinie in Finnland werden. Finnland hat wegen der Entscheidung Olkiluoto 3 zu bauen den Anschluss an den Erneuerbaren Boom bisher verpasst.

 

In Finnland aber auch in Schweden, Spanien, Belgien, Holland und Italien sowie in etlichen neuen Mitgliedstaaten stehen Entscheidungen zu Laufzeitverlängerungen bzw. Neubauten von AKWs an. Ich hoffe, dass wir in Finnland soviel öffentlichen Druck machen, dass Parlament und Regierung sich dieses Mal gegen Atomkraft entscheiden. Die Chancen stehen gut. Während meines Besuches gab es die erste Umfrage seit langer Zeit, die eine Mehrheit unter den Finnen gegen Neubauten zeigte.

 

Wir sehen uns bei der Anti-Atom-Menschenkette zwischen den AKWs Krümmel und Brunsbüttel (Mehr Informationen und Link zur Busbörse von Bündnis 90/Die Grünen. Link zu AntiAtomBonn mit Infos zu Sonderzügen.)

 

Ich werde mich wohl in Krümmel einreihen!

Rebecca


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