Regierungskrise in der Tschechischen Republik
Zum Rücktritt der tschechischen Regierung, die gerade die 6-monatige Präsidentschaft für die Europäische Union innehat, erklären erklären Rebecca Harms, Vizepräsidentin der Grünen/EFA im EP und Johannes Voggenhuber, Vizepräsident des Verfassungsausschusses im Europäischen Parlament:
"Natürlich ist die Schwächung einer Präsidentschaft inmitten einer Wirtschaftskrise kein glückliches Ereignis. Aber es ist das demokratische Recht eines jeden Parlaments, auch eines in einem Land, das gerade die Präsidentschaft innehat, seiner Regierung das Vertrauen zu entziehen. Wenn die Europäischen Institutionen ihre Aufgabe angemessen erfüllen, dann kann die Einsetzung einer nur geschäftsführenden Regierung in der Tschechischen Republik keine besondere Belastung darstellen. Das Problem sehen wir eher in zwei Umständen.
Die chronische Schwäche der Kommission, insbesondere ihres Präsidenten, wird in einer solchen Situation noch offenkundiger. Von der Verfassungskrise über die Verteidigung des Lissabon Vertrags bis zum zögerlichen Agieren in der Wirtschaftskrise zeigt sich ihr Versagen. Anstatt die Koordination der Mitgliedsstaaten und die Kommunikation und Willensbildung zwischen ihnen voranzutreiben, Initiativen zu ergreifen, Kompromisse zu erarbeiten, ist sie unter Barroso zur bloßen Auftragsverwaltung des Rates degradiert. Ohne Vorgaben der Staats- und Regierungschefs wirkt die Kommission geradezu hilflos.
Zusätzlich verschärft wird dieses Ereignis, weil viele Politiker und Kommentatoren es zum Anlass nehmen, unausgegorene ad-hoc Vorschläge zur Veränderung des institutionellen Gefüges der EU zu machen. Wenn der sozialdemokratische Europaabgeordnete Jo Leinen in der Presse vorschlägt, Tschechien den Ratsvorsitz zu entziehen und ihn Frankreich und Schweden zu übertragen, gießt er damit Öl ins Feuer. Aus solchen Vorschlägen spricht nicht nur falsches politisches Kalkül sondern auch eine Arroganz gegenüber den kleinen und östlichen Mitgliedstaaten. Denn eine Regierungskrise in einem Land, das den Ratsvorsitz innehat, ist keinesfalls ein bislang einmaliges Ereignis.
Die Grünen verurteilen all jene Kräfte, die den Rücktritt der tschechischen Regierung zum Vorwand nehmen, im Vorfeld der Europawahlen Stimmung gegen die EU und ihre politischen Institutionen zu machen.
Die Grünen betonen, dass sich auch im Ratifizierungsprozess des Lissabon Vertrags nach dem Misstrauensvotum wenig ändert. Die Mehrheit der tschechischen Bevölkerung ist - im Gegensatz zu seinem Staatspräsidenten - für die Unterzeichnung des Vertrages. Die Grünen fordern daher die Mitglieder des tschechischen Senats, dem der Vertrag zur Beschlussfassung vorliegt, auf, nun ein Zeichen zu setzen und den Vertrag anzunehmen."