Rede von Rebecca Harms am 19. Februar 2008 im Europäischen Parlament in Straßburg:
Rebecca Harms, im Namen der Verts/ALE-Fraktion . – Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Das Jahr 2007, das jetzt schon eine Weile zurückliegt, wurde in der Klimapolitik zum Jahr der Erkenntnis über den Klimawandel getauft. Wenn man sich klarmacht, dass die Diskussion über Erderwärmung und Nachhaltigkeitsstrategien schon ungefähr zwei Jahrzehnte andauert, dann ist einem auch klar, wie langsam so ein politischer Weg beeinflussbar ist und wie schwer es ist, Strategien tatsächlich umzusteuern. Ich habe – auch wenn allenthalben in der EU beteuert wird, dass man den Nachhaltigkeitspfad jetzt auch endgültig in der Lissabon-Strategie fest integriert hat – nach wie vor Zweifel daran, ob es uns wirklich ernst ist mit dem Paradigmenwechsel und ob wir wirklich bereit sind, uns umzuorientieren und wegzugehen von einem Wachstumsziel, das sich immer nur an Quantitäten orientiert, und hinzugehen zu einem Wachstumsziel, das auf Qualität ausgerichtet ist.
Als wir die Lissabon-Entschließung für das Parlament vorbereitet haben – Kollege Lehne und ich haben das ja als Ko-Berichterstatter gemacht –, haben wir uns – nicht persönlich, aber interfraktionell – wieder um die Frage der Energiepolitik und der Energiestrategien gestritten. Kein Wunder, das ist ja auch ein Thema, um das es sich zu streiten lohnt. In der Entschließung ist jetzt ein Begriff verankert, der nur schlecht kaschiert, wie weit die Vorstellungen über Nachhaltigkeit auseinandergehen können. Low carbon economy , das ist das, was jetzt als Formelkompromiss für dieses Parlament angeboten wird. Meiner Meinung nach verbirgt sich dahinter aber doch der Streit zwischen dem Motto „Weiter so wie bisher“, weiter in der Energiewirtschaft, die aufbaut auf dem alten Energiemix Kohle und Atom, und einer Strategie, wie wir das eigentlich gewollt hätten, die ganz hart umsteuert und sagt, wir müssen unseren Ressourcenverbrauch senken. Wir müssen eine Energiestrategie auf den beiden Säulen Energieeffizienz und Einsparung und erneuerbare Energien aufbauen. Dieser Begriff, den wir jetzt eingebaut haben, verschleiert nur schlecht, dass es da immer noch keine Entscheidung gibt. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal zum Ausdruck bringen, dass ich nicht glaube, dass man mit der hochriskanten Atomenergie oder mit einer Rückkehr zur Kohlestrategie tatsächlich in Europa die Vorreiterrolle wird übernehmen können, die man überall auf der Welt verspricht. Aber wir werden an anderer Stelle weiter darüber streiten.
Ich glaube übrigens auch, Herr Kommissar Verheugen, dass die Anpassung der Leitlinien in diesem Bereich noch erfolgen muss, denn wenn man einfach additiv Energieversorgungssicherheit und erneuerbare Energien einbaut, dann ist das noch kein Strategiewechsel. Das muss sich in Maßnahmen und Instrumenten noch ganz anders niederschlagen. Ich glaube aber, dass die Richtlinien der Lissabon-Strategie nicht nur im Umweltbereich verändert werden müssen, sondern auch in der Sozialpolitik. Es wird immer wieder gesagt: In den letzten drei Jahren ist es in Europa mit Wachstum und Beschäftigung bergauf gegangen. Wir haben aber gleichzeitig eine soziale Marginalisierung und eine Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse gesehen. Unserer Meinung nach bedeutet das gemeinsame Ziel sozialer Integration und Kohäsion auf gut Deutsch gesagt aber nichts anderes, als dass ein Arbeitnehmer in Europa, der arbeitet, von dem, was er verdient, auch leben können muss. Ich wundere mich deshalb über den Streit zwischen den Fraktionen bei der Vorbereitung der Lissabon-Entschließung über die Frage, ob es richtig oder falsch ist, in Europa sektoral Mindestlöhne zu vereinbaren. Ich glaube, wir kommen darum nicht herum, und ich wünschte mir dazu mehr Einigkeit. Ich wünschte mir auch, dass der Begriff flexicurity nicht immer nur von den Kollegen gerade auf der rechten Seite des Hauses in die Richtung Flexibilität und Nachgeben der sozial Schwachen interpretiert wird, und die anderen machen eben ihre Geschäfte weiter wie sie wollen.
Was mir an der Entschließung, die morgen zur Verabschiedung vorgelegt werden wird, sehr wichtig ist – das sage ich auch an die Kollegin Figueiredo, weil sie dazu sehr beigetragen hat –, ist, dass wir es geschafft haben, gemeinsam Vorschläge für neue Indikatoren vorzulegen, mit denen man die Erfolge von Lissabon messen kann, gerade im Hinblick auf das Ziel, die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger zu verbessern. Dass die Einkommensorientierung bzw. dieser alte, prominente Indikator „Zuwachsrate des Volkseinkommens“ die Ungleichheit bei den Einkommenszuwächsen völlig ignoriert, zeigt, dass dieser Indikator überhaupt nicht ausreichend ist. Er ist natürlich auch erst recht nicht ausreichend, wenn man tatsächlich so etwas wie die Verbesserung der Lebensqualität und der Umweltqualität mit bemessen will. Ich würde mich sehr freuen, wenn die Kommission auf diese Hinweise zu Indikatoren aus dem Bereich Umwelt- und Sozialpolitik eingehen könnte.