Liebe Freundinnen und Freunde,
Ich melde mich diesmal direkt aus der Ukraine, fünf Tage nachdem Minsk II in Kraft getreten ist.
Hier in Kiew wird in diesen Tagen viel gestritten über Poroschenko, Merkel und Putin. Journalisten, Politikerinnen, Wissenschaftler, Menschenrechtler oder meine Freunde: ich habe niemanden gehört, der sagte, die Verhandlungen von Minsk machten keinen Sinn. Alle sind der Meinung, dass Putin durch seine Beteiligung auch seine Verantwortung gesteht. Ich habe jedoch auch fast niemanden hier gehört, der daran glaubt, dass man den Verhandlungsergebnissen trauen kann. Kein Wunder, denn den Ukrainern ist es seit der Besetzung der Krim trotz aller Verhandlungen und aller Diplomatie niemals besser ergangen, sondern immer schlechter.
Die Zweifel, die an den Ukrainern nagen, haben auch mit uns, den Politikern und Bürgern der EU zu tun. Kiew liegt nicht hinter dem Mond. Jeder hier weiß, dass in Frankreich der Vertrag über die Lieferung von Mistral-Kriegsschiffen nach Russland am Tag nach dem Treffen in Minsk zwar erneut rausgeschoben wurde, aber doch gleich wieder Thema war. Alle wissen auch, dass in der EU die Wirtschaftssanktionen immer wieder umstritten sind. Und die Frage, warum es europaweit Protest gegen amerikanische Diskussionen über Waffenlieferungen gibt, aber keine lauten Proteste gegen die systematische Aufrüstung der Warlords im Donbass durch Russland, wird mir dauernd gestellt.
Auch ich denke, dass die Ukrainer sich bei den Wahlen im Mai und Oktober 2014 für eine Führung entschieden haben, die die beste ist, die sie je hatten. Es war ein wichtiges neues Erlebnis, als Petro Poroschenko in der Nacht zum 15. Februar 2015 zur Waffenruhe aufrief. Den demokratischen Aufbruch jedoch, den haben nicht Poroschenko oder Jazenjuk oder Klitschko angeschoben. Den haben junge Leute, Journalisten und Studenten und andere aus dem ganzen Land in Gang gesetzt, als sie im November 2013 gewagt haben, zum Euromaidan aufzurufen. Eine junge, eher linke Demokratiebewegung gab den Startschuss wenige Tage vor dem Gipfel in Vilnius.
Der positive, junge Patriotismus, der aus den Hütten des Euromaidan gewachsen ist, könnte sich angesichts der russischen Aggression in einen wütenden Nationalismus verwandeln. Bisher aber widerstehen die Ukrainer dieser Gefahr besser, als Teile von Nationen gerade auch in der EU. Viel zu oft höre und lese ich jedoch in Berlin, Wien, Paris, London oder Athen Lügen darüber, dass die EU, dass ein expansiver Westen, die Ukrainer in die Assoziierung mit der EU und zur Abkehr vom Brudervolk gezwungen habe. Zu oft höre und lese ich wiedergekäute wichtigtuerische Zweifel am Wunsch und Willen der Ukrainer. So tief scheint bei einigen Menschen das Misstrauen gegenüber der EU oder dem "Westen" selber zu sitzen, dass sie sich nicht vorstellen können, ohne Druck und abgefeimte CIA-Strategien könnten sich Ukrainer nicht für Brüssel, Berlin, Warschau und Paris statt für Moskau entscheiden. Ich wünschte, mehr EU-Wessis würden sich nach Kiew aufmachen, um sich ein eigenes Bild von den Ukrainern zu machen.
Grüße. Rebecca
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1. Minsk II / Ukraine-Reise
Rebecca besucht vom 16. bis zum 23. Februar erneut die Ukraine. Geplant sind Gespräche und die Teilnahme an Veranstaltungen in Kiew, in Charkiw und ein Besuch im ukrainisch kontrollierten Donbass. Rebecca wird Themen wie die Umsetzung von Minsk II, die Aufgabe der OSZE-Beobachtermission, Menschenrechtsprobleme, die Situation von Flüchtlingen und die Pressefreiheit diskutieren.
„Frieden und Krieg“, Berichte von Rebecca Harms aus der Ukraine im Februar 2015
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2. Sonderausschuss Steuerdumping
Eine große Mehrheit des Europäischen Parlaments hat am vergangenen Donnerstag einen Sonderausschuss zu den Konsequenzen aus LuxLeaks und gegen Steuerdumping in der EU auf den Weg gebracht. Wir Grüne/EFA hätten uns weitergehende Rechte für das Europäische Parlament gewünscht und hatten uns deshalb für einen Untersuchungsausschuss eingesetzt. Dies haben die großen Fraktionen verhindert. Ohne unseren Druck hätte es allerdings keinerlei Untersuchung zu den Steuerabkommen in Luxemburg und in anderen EU-Ländern gegeben. Nun kommt es darauf an, dass die Mitglieder diese „zweitbeste Lösung“ zu einem starken Instrument machen und sich nicht mit unvollständigen oder oberflächlichen Informationen von der EU-Kommission und den Regierungen abspeisen lassen.
Sonderausschuss Steuerdumping: Aufklärung schafft Voraussetzung für faire Unternehmensbesteuerung, Pressemitteilung vom 12.02.2014
„Aufklärung ja, aber ...“, tagesschau.de vom 05.02.3015
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3. Vier Jahre Fukushima / Hinkley Point C
Gegen den ersten AKW-Neubau in Europa seit der Fukushima-Katastrophe regt sich Widerstand: Österreich und Luxemburg reichen Klage vor dem EuGH ein, auch Greenpeace Energy prüft rechtliche Schritte gegen die von der alten EU Kommission durchgewunkenen britischen Beihilfen in Milliardenhöhe. Sollte Labour im Mai die Parlamentswahlen gewinnen, steht der Neubau tatsächlich auf der Kippe. Die Grünen/EFA leisten Schützenhilfe im Kampf gegen das teure und riskante Projekt mit einer großen Konferenz am 5. März 2015 in London unter dem Titel “From Fukushima to Hinkley - Dismantling the nuclear argument for a sustainable energy future”.
Mehr Informationen zur Grüne/EFA Fukushima-Konferenz am 5. März 2015
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4. EU Gipfel: Griechenland, Russland und Anti-Terror
Ein gutes Ergebnis des informellen Gipfeltreffens war die Wiederaufnahme der Verhandlungen zwischen Griechenland und seinen europäischen Partnern. Nun müssen sich beide Seiten flexibel zeigen, um ans Ziel zu gelangen und einen nachhaltigen griechischen Haushalt zu ermöglichen. Der gemeinsame Weg raus der einseitigen Sparpolitik führt für uns Grüne über eine Schuldenkonferenz und muss die Schäden der Troika überwinden. Die neue griechische Regierung muss allerdings auch mit eigenen Reformideen vorankommen. Negativ, wenn auch wenig überraschend, war die Einigung der EU Staats- und Regierungschefs auf die anlasslose Massenüberwachung und Datenspeicherung als Allheilmittel im Kampf gegen den Terrorismus. Wir Grüne sind jedoch weiterhin überzeugt, dass bessere und gezieltere polizeiliche Ermittlungsarbeit, sowie Austausch und engere Zusammenarbeit mehr Sicherheit bringen werden.
Zumindest ein kleiner Erfolg – Dialog zwischen Griechenland und europäischen Partnern wiederhergestellt, Pressemitteilung vom 13.02.2015
„Athen lässt seine Muskeln spielen“, Rebeca Harms im Deutschlandfunk, 28.01.2015
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10. Termine
16.-23. Februar: Harms in der Ukraine: Wie geht es weiter nach Minsk?, Ukraine.
26. Februar: "Russland, der Maidan und die Grünen – Welche Rolle hat Grüne Außenpolitik?", Oldenburg.
5. März: "From Fukushima to Hinkley - Dismantling the nuclear argument for a sustainable energy future", London.