An Tag 5 der Reise besuchten Rebecca Harms und ihre Mitreisenden die Präfektur Fukushima. Rebecca wird darüber auch noch eine ausführliche Reportage veröffentlichen. Hier erste Einblicke. (Vollständiges Programm der Japanreise)
In Fukushima Stadt hören wir Fuminori Tamba vom Institute for Disaster Recovery der Universität Fukushima. Schon dieser Vortrag ist zum Verzweifeln. Nicht alles ist neu. Schlimm ist, dass die Fehler und Schwächen des Katastrophenmanagements offensichtlich weiter gehen. Die Maßnahmen sind inkonsequent und kommen spät und das von Anfang an.
Etwa 110.00 Menschen sind evakuiert oder haben ihre Heimat freiwillig verlassen. Die meisten von ihnen leben heute verstreut in ganz Japan. Nur jeder fünfte Evakuierte lebt in den provisorisch errichteten Siedlungen in der Region. Die Universität von Fukushima versucht ca. 30.000 Menschen regelmäßig zu untersuchen. Das Leben in Fukushima ist wegen der Strahlung gefährlich und dazu sehr beschränkt. Viele Eltern haben deshalb ihre Kinder fortgeschickt.
Wir treffen Aya Marumori, die sich der Citizen's Radioactivity Measuring Station angeschlossen hat - einem Bürgernetzwerk, das die Radioaktivität misst. Die Frau erzählt von Angst, von Frustration und Wut. In Nihommatsu Stadt unternehmen die Bauern selbst Dekontaminierungsversuche, berichtet uns Seiju Sugeno, der Sprecher des Netzwerks der Ökolandwirte der Region. Hiroyuki Yoshino, lange Zeit einer der japanischen Unterstützer von Kinder von Tschernobyl, hat nun eine Organisation zum Schutz der Kinder von Fukushima aufgebaut. Er bittet uns für sein Poka Poka Projekt zu sammeln. Je mehr Geld zusammen kommt, desto öfter könnten mehr Kinder zur Erholung weg von Fukushima.
Wir reisen weiter nach Date Stadt. Dort ist im Gemeindezentrum ein Evakuierungszentrum eingerichtet. Es erwartet uns Ken-ichi Hasegawa. Was wir von ihm erfahren haben, macht noch beim Niederschreiben traurig. Der Vorsitzende des Maeda Bezirks und Milchbauer erfuhr am Tag nach dem großen Erdbeben von den hohen Strahlenwerten, forderte eine Evakuierung und als diese nicht erfolgte, informierte Hasegawa trotz der Aufforderung zu schweigen die Menschen in seinem Dorf. Er empfahl ihnen Schutzmaßnahmen, nicht die Behörden. Erst etliche Wochen später und nachdem die Bauern selbst aktiv geworden waren, wurde das Dorf evakuiert. Ein Bauer hat sich aus Verzweiflung umgebracht – jetzt kämpft Hasegawa gegen Atomkraft um den letzten Willen dieses toten Freundes zu erfüllen.
Nach dem Besuch in Date Stadt geht es weiter in die Stadt Minamisoma. Sie wurde durch die Katastrophe dreigeteilt. Wir fahren mit dem Bus bis an die Evakuierungszone heran. Es ist schon merkwürdig, dass wir bis kurz vor der Straßensperrung durch eine scheinbar ganz normale Stadt fahren. Sicherlich ist es weniger belebt als normal, doch man sieht Menschen und Autos auf der Straße. Und plötzlich ist die Straße gesperrt und Menschen in Schutzanzügen weisen uns an umzukehren. Irgendwie erscheint es unwirklich, dass es 21 km vom AKW entfernt sicher sein soll, während man keinesfalls näher als 20 km an den Reaktor herankommen darf.
Im Gemeindezentrum von Minamisoma treffen wir dann wieder auf Vertreter verschiedener Bürgerinitiativen. Die Bewohner wollen ihre Stadt nicht aufgeben, kämpfen darum, dass auch die jungen Menschen bleiben, berichten davon, wie sie Häuser und Straßen dekontaminieren wollen. Man möchte an ihren Erfolg glauben, aber die gescheiterten Versuche der Dekontaminierung rund um Tschernobyl machen mich skeptisch.
Die Reise in der Nacht von Fukushima nach Yokohama zur Conference for a Nuclear Power Free World ist lang. Wir denken über die Menschen nach, die wir getroffen haben. Es ist trostlos, dass sie weiter allein gelassen sind. Ich bin auch deshalb sehr gespannt, was die Konferenz in Yokohama am nächsten Tag bringen wird.
Hintergrund:
Auf Einladung der japanischen Nichtregierungsorganisationen Green Action, e-shift und Peaceboat war Rebecca Harms vom 08.-15. Januar in Japan unterwegs. Begleitet wurde sie von Gueorgui Kastchiev, dem ehemaligen Leiter der bulgarischen Atomaufsicht. Thema der Reise war die Kritik an Europas AKW-Stresstests und die Lehren, die daraus auch für die aktuelle japanische Debatte gezogen werden können. In ihrem Blog berichtet Rebecca aktuell von ihren Erlebnissen auf der Reise nach Tokyo, Osaka, die Insel Shikoku und in die Präfektur Fukushima.