Ganz Europa schaut auf den außerordentlichen EU-Gipfel in Brüssel. gruene-europa.de hat mit Rebecca Harms, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europäischen Parlament, über ihre Erwartungen an die Staats- und Regierungschefs sowie die Grünen Vorschläge zur Krisenbewältigung gesprochen.
gruene-europa.de: Liebe Rebecca, Europa steckt noch immer mitten in der Krise. Wie beurteilst Du die bisherige Krisenpolitik - und was muss sich ändern?
Rebecca Harms: Seit mehr als zwei Jahren reiht sich Gipfel an Gipfel, ohne dass die Regierungschefs überzeugende Schritte aus dieser Krise zustande gebracht haben. Eines ist klar: Die einseitige Sparpolitik, die besonders "Merkozy" verantworten müssen, ist gescheitert. Arbeitslosigkeit, gerade bei jungen Menschen, und Rezession verstärken sich immer weiter. Wir brauchen jetzt endlich einen Grünen Investitionspakt, um den Staaten in der Krise, allen voran Griechenland, wieder eine Perspektive zu geben.
gruene-europa.de: Wie kann ein solcher "Grüner Investitionspakt" aussehen?
Rebecca Harms: Der Grüne Investitionspakt verbindet ökonomische und ökologische Nachhaltigkeit. Er stellt Klimaschutz, Ressourcen- und Energieeffizienz in den Mittelpunkt und gibt den Krisenstaaten wieder Luft zum Atmen, um ihre Wirtschaft umzustrukturieren.
Mit dem Grünen Investitionspakt verfolgen wir mehrere Ziele: Wir schaffen Arbeitsplätze in Zukunftsbranchen, schonen die Umwelt und reduzieren zugleich unsere Abhängigkeit von teuren Energieimporten, zum Beispiel Öl und Gas. Gerade Griechenland hat übrigens ein riesiges Potential, was die Entwicklung und Nutzung von Erneuerbaren Energien angeht. Darum brauchen wir ambitioniertere Ziele für Klimaschutz und Ressourceneffizienz.
gruene-europa.de: Kannst du die Finanzierung des Grünen Investitionspakts noch etwas detaillierter beleuchten?
Rebecca Harms: Dazu haben wir als Grüne viele Vorschläge gemacht. Zunächst lohnt ein Blick auf die Einnahmenseite: Die Energieverbrauchssteuer ist ja ein urgrüner Vorschlag, der vom Europäischen Parlament leider erst kürzlich abgelehnt wurde. Eine andere wichtige Forderung ist die Finanztransaktionssteuer, am liebsten in allen EU-Staaten. Weil unklar ist, wie lange die Verhandlungen noch dauern, wäre die Einführung über die verstärkte Zusammenarbeit ein dringender erster Schritt. Und drittens dürfen wir nicht übersehen, was für ein großes Einnahmenpotenzial die Schließung von Steuerschlupflöchern bietet. Wenn wir hier als Europäer noch besser zusammenarbeiten, könnten wir auf riesige Potentiale zugreifen: Experten schätzen, dass so bis zu 1.000 Milliarden Euro generiert werden könnten.
Auf der Ausgabenseite sehen wir als Grüne weiter großes Sparpotential im Militär, das gilt insbesondere für Griechenland. Außerdem unterstützen wir die Idee der Europäischen Kommission, über Projektbonds Investitionen in nachhaltige Infrastruktur zu unterstützen. Auch die Kapitalerhöhung für die Europäische Investitionsbank ist dringend notwendig. Zuletzt schlummern weiterhin Milliardengelder in den Europäischen Strukturfonds, die bislang nicht abgerufen wurden, nicht nur in Griechenland, sondern auch in vielen anderen Ländern, zum Beispiel in Osteuropa. Da müssen wir auch administrative Unterstützung leisten.
gruene-europa.de: Lass uns zum Abschluss noch einmal kurz auf die Stabilität der Eurozone und besonders die Situation Griechenlands zu sprechen kommen. Was schlagen die Grünen hier vor?
Rebecca Harms: Wir hoffen, dass Francois Hollande diesem aus unserer Sicht für die Stabilität der Währungsunion unverzichtbaren Element einen neuen Impuls geben kann. Allerdings scheint eine schnelle Umsetzung aufgrund der rechtlichen und politischen Probleme nicht mehr realistisch. Wir brauchen daher heute vor allem ein klares Bekenntnis zu einer mittel- bis langfristigen Einführung der Bonds. Kurzfristig unterstützen wir als Grüne die Einführung eines Schuldentilgungsfonds nach dem Konzept der deutschen Wirtschaftsweisen. So können die Krisenländer von einem Teil ihrer Schuldenlast befreit werden. Und für die anderen Länder bleibt das Risiko überschaubar.
gruene-europa.de: Und Griechenland? Kommt ein Austritt aus der Eurozone für die Grünen in Frage?
Rebecca Harms: Wir wollen, dass Griechenland den Euro behält. Die vielen leichtfertigen Aussagen der letzten Woche, dass die Griechen doch aus dem Euro rausgehen können, weil die Brandschutzwälle mittlerweile hoch genug seien, um einen Dominoeffekt auszuschließen, sind ein Spiel mit dem Feuer: Es ist weiterhin sehr wahrscheinlich, dass sich bei einem Austritt Griechenlands die Krise noch verschärfen würde, und zwar für ganz Europa. Für die Griechen wäre der Austritt im Übrigen eine gesellschaftliche Katastrophe und die wirtschaftliche und politische Lage würde sich weiter verschlimmern. Letztendlich müssen aber natürlich die Griechen darüber entscheiden, ob sie in der Eurozone bleiben wollen.
gruene-europa.de: Liebe Rebecca, vielen Dank für das Gespräch.
Hier finden Sie den Grünen Investitionspakt für eine nachhaltige Wirtschafts- und Haushaltspolitik (pdf).