Wie beurteilen Sie die derzeitige Situation in Japan?
"Wir sehen uns mit einer Katastrophe konfrontiert, deren Ausmaß heute noch keiner abschätzen kann. Unsere Gedanken sind jetzt bei den Menschen vor Ort. Besonders in Japan, wo die Bevölkerung über die Gefahren radioaktiver Strahlung aufgrund ihrer Geschichte gut informiert ist, kann ich die Menschen, die nun vor Ort helfen, die Katastrophe einzudämmen, nur bewundern. Es ist entscheidend, dass die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten jetzt alles tun, um den Japanern zu helfen."
Welche Konsequenzen müssen wir daraus für die Atomkraftwerke in Europa ziehen?
"Der Einstieg in den Europäischen Atomausstieg muss sofort begonnen werden. Als unmittelbare Maßnahme fordern wir Grüne die sofortige Abschaltung der gefährlichsten Anlagen. Besonders jene Kraftwerke, die vor 1980 gebaut wurden, in erdbebengefährdeten Gebieten liegen, keine doppelte Schutzhülle haben oder Siedewasserreaktoren sind müssen so bald wie möglich vom Netz. Denn von diesen Kraftwerken geht das größte Risiko aus. Darüber hinaus muss die Europäische Kommission die Notifizierung der beiden geplanten Neubauten in Bulgarien (Belene) und der Slowakei (Mochovce) umgehend zurückziehen. Im Fall Belene handelt es sich um ein Erdbebengebiet, in der Slowakei wird veraltete Technik aus Sowjetzeiten verbaut."
Wie stehen Sie zu den gestern von EU-Energiekommissar Oettinger angekündigten Stresstests für Atomkraftwerke?
"Stresstests sind insgesamt ein schwaches Instrument, das schnell zu einer Rechtfertigung des Status Quo führen kann. Das haben wir zuletzt bei den Banken erleben können. Konkret sorge ich mich sowohl um den vorgeschlagenen Zeitplan als auch die Maßstäbe, die angelegt werden sollen. : Ein Atomkraftwerk sollte einen Stresstest nur bestehen, wenn große Kernschmelzunfälle ausgeschlossen werden können. Und das trifft bislang auf keinen Reaktor weltweit zu. Zuletzt können Stresstests das Risiko menschlichen Versagens nicht mit einbeziehen. Kurz: Stresstests sind eine unzureichende Antwort auf die Risiken der Atomkraft und keine Alternative zum Ausstieg. Außerdem gibt es keinen Grund bis Ende des Jahres, wenn erste Ergebnisse der Stresstests vorliegen sollen, zu warten. Wir wissen bereits genug, um direkt zu handeln."
Ist der Atomausstieg in Europa energiepolitisch möglich?
"Ja. Und zwar ohne mittelfristig auf Kohle zu setzen. Die Europäische Kommission muss jetzt schnell zurück ans Reißbrett und Vorschläge für eine stärkere Förderung von Energieeffizienz und Erneuerbaren Energien auf den Tisch legen. Vor einigen Wochen haben wir noch einmal eine Studie zusammen mit dem Öko-Institut vorgelegt, die eindeutig zeigt: Wenn der politische Wille da ist, können wir schon bis 2050 unsere gesamte Energieversorgung auf Erneuerbare umstellen."
Energierat: Kriterien für AKW-Stresstests dürfen nicht von Atomlobby festgelegt werden, Pressemitteilung von Rebecca Harms vom 21.3.2011 Stresstests für AKW in Europa, WDR Morgenecho-Interview mit Rebecca Harms vom 21.3.2011 Fukushima: "Die Gefahr bleibt riesengroß", EurActiv-Interview vom 21.3.2011
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