Das Interview führte Stefan Vetter
Die Spitzenkandidatin der Grünen, Rebecca Harms, über die Europawahl und die Chancen ihrer Partei.
Berlin. Am 25. Mai findet die Europawahl statt. Sie ist wichtiger als alle vorherigen, weil die EU und ihre Institutionen wichtiger geworden sind. Unsere Zeitung sprach mit der Spitzenkandidatin der Grünen, Rebecca Harms, über die Lage ihrer Partei und die Krise in der Ukraine.
Frau Harms, verspüren Sie von Ihren Berliner Parteifreunden Rückenwind für die Europawahl?
Rebecca Harms: Unsere Partei- und Fraktionsvorsitzenden sind sehr eng eingebunden in die Vorbereitungen für den grünen Wahlkampfendspurt. Meine Position als Spitzenkandidatin und Europapolitikerin kann das nur stärken.
Aber die Grünen wirken blass und öffentlich kaum noch wahrnehmbar.
Harms: Kritik nach gerade einmal hundert Tagen an der neuen Führung heißt doch nicht, dass die Partei insgesamt schlecht da steht. Die Neuen haben es einfach schwer. Ein so breiter Generationswechsel an der Spitze sucht ja auch seinesgleichen.
Manche sehnen sich schon nach den Fischers und Trittins zurück.
Harms: Auch unsere früheren Führungsleute waren doch nicht unumstritten. Auf der anderen Seite haben wir Erfolge und große Zustimmung in den Bundesländern, sind dort an sieben Regierungen beteiligt. Die Europawahl ist jetzt die Gelegenheit für uns alle, mit einem guten Ergebnis für mehr grünen Einfluss zu sorgen.
Die Ökologie steht ganz vorn im grünen Europawahlprogramm. Aber die Energiewende wird jetzt von anderen gemacht. Ist Ihre Partei am Ende überflüssig geworden?
Harms: Ganz im Gegenteil. Wirtschaftsminister Gabriel lässt es zu, dass für Europa sehr schwache Klimaziele verankert werden. Er bremst mit Kommissar Oettinger die erneuerbaren Energien aus. Und die notwendige Energie-Einsparung wurde völlig aus den Augen verloren. Die Regierung Merkel/Gabriel liefert täglich Gründe, Grüne zu wählen.
Deutschland steigt aus der Atomkraft aus. Aber Länder wie Frankreich machen beim Atomstrom munter weiter. Kann da eine europäische Energiewende überhaupt gelingen?
Harms: Die Hälfte der EU-Länder hat die Atomkraft nie genutzt, oder sie verfügt über Ausstiegsbeschlüsse wie wir. In Litauen wurde mit Volksabstimmung entschieden, kein neues Akw zu bauen, in Bulgarien scheiterte ein Neubauprojekt am öffentlichen Protest, in Tschechien an den Kosten. In Europa gibt es also einen guten Nährboden, die deutsche Energiewende breit zu verankern. Was in den Anfangsjahren der EU die Zusammenarbeit bei Kohle, Stahl und Atom gewesen ist, muss abgelöst werden durch einen europäischen Pakt für erneuerbare Energien und Energie-Einsparung.
Macht die EU im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine eine gute Figur?
Harms: Mit ihren Beschlüssen zur Ukraine haben die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union klar gemacht, dass sie die demokratische Erneuerung in der Ukraine unterstützen. Die Grünen stehen hinter dem beschlossenen Sanktionskatalog gegen Russland. Wenn Präsident Putin nach der Krim weitere Eskalation sucht, dann entscheidet er sich gegen die internationale Gemeinschaft. Niemand in Brüssel will Russland isolieren. Es liegt an Putin, ob er sich durch sein Vorgehen Sanktionen einhandelt.
Bei der letzten Europawahl 2009 kamen die Grünen auf 12,1 Prozent der Stimmen. Was erwarten Sie für den 25. Mai?
Harms: Auf jeden Fall wieder ein zweistelliges Ergebnis.