Rebecca Harms

Mitglied des Europäischen Parlaments in der Grünen/EFA Fraktion 2004-2019

#atom    07 | 10 | 2014

Gastbeitrag im Handelsblatt: Riskantes EU-Spiel mit AKW-Neubau

von Rebecca Harms

In Europa soll erstmals seit der Fukushima-Katastrophe ein AKW gebaut werden. Dass die EU das britische Projekt Hinkley Point C unterstützt, ist nicht hinnehmbar, meint die Grünen-Europaabgeordnete Rebecca Harms.

Es klingt wie ein schlechter Scherz: Nur drei Wochen vor dem Ende ihres Mandats versucht die scheidende Europäische Kommission die Weichen für die Energiepolitik neu zu stellen. An diesem Mittwoch will EU-Kommissar Joaquín Almunia seine Kollegen dazu bringen, massiven staatlichen Beihilfen für Atomkraft zuzustimmen. Und das wohl auch mit der Unterstützung von Angela Merkel und Sigmar Gabriel.

Worum geht es? Die Briten wollen einen neuen Atomreaktor bauen: Hinkley Point C im Südwesten von England. Das wird teuer, sehr teuer. Damit es sich für den Betreiber, den französischen Energiekonzern EDF lohnt, will die britische Regierung dem Unternehmen einen Festpreis für den Atomstrom über 35 Betriebsjahre garantieren: Rund 117 Euro pro Megawattstunde – weit über den üblichen Marktpreisen und auch über der heutigen Vergütung für Windstrom.

Solche staatlichen Subventionen sieht die Europäische Kommission normalerweise gar nicht gerne – schließlich verzerren sie den Wettbewerb innerhalb der Europäischen Union. Deshalb machte Brüssel bisher solchen Finanzierungsversuchen einen Strich durch die Rechnung.

Anders aber diesmal: Der zuständige Wettbewerbskommissar will – so geht aus einem internen Papier hervor, das den Grünen im Europäischen Parlament vorliegt – auf den letzten Metern seiner Amtszeit das britische Anliegen durchbringen. Damit würden die europäischen Regeln so ausgelegt, wie sie für die Atomindustrie passen – ohne Rücksicht auf die Auswirkungen für die europäische Energiepolitik und -wirtschaft.

Scheinbar macht auch die deutsche Bundesregierung gute Miene zu diesem riskanten Spiel. Angela Merkel und Sigmar Gabriel sollen für ihr „Ja“ zum britischen Deal ihre Ausnahmeregelungen im Erneuerbaren-Energien-Gesetz bekommen haben: Die EU-Kommission gab grünes Licht dafür, dass nach wie vor unzählige deutsche Unternehmen von der EEG-Umlage befreit werden. Im Gegenzug – so hört man auf den Brüsseler Fluren – soll Angela Merkel „Ja“ gesagt haben zu den britischen Atomsubventionen. Damit untergräbt die Berliner Regierung wieder einmal die eigene Entscheidung zum Atomausstieg und erschwert die europäische Energiewende.

„Der Fall zeigt, dass Atomkraft auch ökonomischer Irrsinn ist“

Der Fall Hinkley Point C zeigt, dass Atomkraft auch ökonomischer Irrsinn ist. Anders als von den Befürwortern behauptet, ist Atomstrom mehr als ein halbes Jahrhundert nach Beginn der kommerziellen Erzeugung nicht wettbewerbsfähig – im Gegenteil. Schon heute ist Windkraft an Land günstiger als Atom. Und 2020, wenn der neue Reaktor in England ans Netz gehen soll, werden auch andere Technologien deutlich günstiger sein. In einigen europäischen Ländern, zum Beispiel in Schweden und der Tschechischen Republik, wurden Neubaupläne auf Eis gelegt, weil die wirtschaftlichen Bedenken gewachsen sind.

Die EU Kommission will trotzdem den britischen Steuerzahler und Stromkunden das atomare und das ökonomische Risiko gegen die eigenen heiligen Wettbewerbsregeln zumuten. Dabei geht es nicht nur um Großbritannien. Entscheidet die EU-Kommission zugunsten von Hinkley Point C, dann schafft sie einen Präzedenzfall. Es wäre eine Frage der Zeit, bis die Regierungen anderer EU-Staaten mit ähnlichen Finanzierungsmodellen kämen.

Aber Atomkraft ist keine Zukunftsenergie, sondern ist teuer und hochriskant. Die EU Kommission sollte sich nicht vor der energiepolitischen Einfallslosigkeit von Cameron und Hollande verbeugen. Sie sollte sich dafür stark machen, dass die Mitgliedsstaaten konsequenter auf erneuerbare Energien und Energie-Effizienz setzen. Das schafft mehr dauerhafte Beschäftigung, macht die EU weniger abhängig von Energie-Importen und schützt das Klima.

Wir fordern deshalb von den 27 EU-Kommissaren: Stimmen Sie gegen den Vorschlag von Joaquín Almunia. Setzen sie sich mit dem Nein für eine sichere und nachhaltige Energiewirtschaft ein. Immerhin die Regierung Österreichs hat bereits angekündigt, gegen eine Pro-Atom-Entscheidung der EU-Kommission zu klagen. Angela Merkel und Sigmar Gabriel dürfen dann nicht abwartend am Rande stehen, sondern müssen das unterstützen. Der Ausstieg aus der Atomkraft darf nicht an den Grenzen Deutschlands enden.

Mitarbeit: Claude Turmes, Michèle Rivasi, Molly Scott, Benedek Javor.

Der Beitrag erschien am 07.10.2014 im Handelsblatt: http://www.handelsblatt.com/meinung/gastbeitraege/gastbeitrag-riskantes-eu-spiel-mit-akw-neubau-seite-all/10800250-all.html

Ein Hintergrundbriefing zu dem teuersten AKW-Neubau von Marc Johnston (auf Englisch):

http://www.greens-efa.eu/press-briefing-note-12885.html

Brief der MdEPs Molly Scott Cato, Rebecca Harms Green MEP, Claude Turmes Green MEP, Benedek Jávor Green MEP and Michèle Rivasi in the Gurdian:

http://www.theguardian.com/world/2014/oct/07/eu-nuclear-deal-will-hit-renewables?CMP=twt_gu

 



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