Rebecca Harms

Mitglied des Europäischen Parlaments in der Grünen/EFA Fraktion 2004-2019

#russland    28 | 07 | 2014

Gastbeitrag auf Zeit Online - Sanktionen gegen Russland: "Die Uneinigkeit der EU macht Putin stark"

Wie soll die EU in der Ukraine-Krise mit Russland umgehen? Die Fraktionschefin der Grünen im Europaparlament fordert ein Ende des Lavierens.

 

Schon Ende Februar, nachdem die ukrainische Halbinsel Krim von Russland besetzt und dann annektiert wurde, hatte die Europäische Union gezielte wirtschaftliche Sanktionen beschlossen. Eine weitere Eskalation gegen die Ukraine sollte so verhindert werden. Auf den erschreckenden Verstoß gegen die europäische Friedensordnung durch Russland wollte die EU allein mit nicht-militärischen Mitteln reagieren. Das war und ist richtig. Heute müssen wir aber sagen: Die anhaltende Destabilisierung des östlichsten Teils der Ukraine konnte auf diesem Weg bisher nicht verhindert werden.

Ohne eine Versorgung der selbsternannten Separatisten über die russische Grenze wäre unmöglich, was in der Ostukraine geschieht. Der Abschuss des malaysischen Passagierflugzeuges mit fast 300 Toten, der menschenverachtende Umgang mit den Opfern, ihren Familien und Freunden, die Missachtung der internationalen Gemeinschaft durch die Söldner der sogenannten Volksrepublik Donezk ist für die ganze Welt ein verstörendes Ereignis. Mit einem Schlag ist nun auch in Westeuropa bewusst, welche furchtbaren Verhältnisse im Osten der Ukraine herrschen.

Eine Umkehr Wladimir Putins, auf die viele erneut hofften, bleibt bisher aus. Tag für Tag gehen die Kämpfe zwischen den Separatisten und der ukrainischen Armee weiter. Es soll jetzt mehr Beschuss von russischem Territorium aus geben. Die Anzahl der Flüchtlinge, Verletzten und Toten wächst. Das Rote Kreuz ordnet diese Kämpfe als Krieg ein.

Die Staats- und Regierungschefs der EU müssen deshalb jetzt endlich dafür sorgen, dass für alle verbindlich ist, was gemeinsam beschlossen wird. Denn es ist möglich, durch Wirtschaftssanktionen auf die russische Führung einzuwirken. Die bisherigen gezielten Maßnahmen gegen einzelne Personen und Unternehmen zeigen bereits Folgen für die russische Wirtschaft. Internationales Kapital wird abgezogen.

 

"Die Waffengeschäfte mit Russland hätten gestoppt werden müssen"


Wirtschaftliche Sanktionen funktionieren aber erst richtig, wenn die gemeinsame Position der EU nicht durch einzelne Länder ausgehöhlt wird. Die Waffengeschäfte mit Russland hätten sofort nach der Annektierung der Krim gestoppt werden müssen. Jetzt steht nicht nur Frankreich wegen der Mistral-Kriegsschiffe zu Recht am Pranger. Auch aus Großbritannien – nach den Budapester Abkommen gemeinsam mit Russland und USA "Schutzmacht" der Ukraine – wird Russland weiter mit Waffen und Rüstungsgütern versorgt. Aber auch die Verträge mit Gazprom für die neue Erdgas-Pipeline Southstream, die während der militärischen Eskalation in der Ukraine geschlossen wurden, untergraben die europäische Position.

Trotz aller Beteuerungen und Beschlüsse blieb die EU bisher in ihrem Handeln widersprüchlich. Dabei hätte es schon vor dem furchtbaren Ende des Fluges MH17 kein business as usual mehr geben dürfen. Es schien aber, als schreckten Politik und Wirtschaft davor zurück, der Wirklichkeit seit der Annexion der Krim ins Auge zu sehen. Selbst und gerade in den wohlhabenden EU-Staaten zögern die Regierungen, den Bürgern zu erklären, dass sie sich auf Veränderungen einstellen müssen, wenn Russland seinen Kurs der Destabilisierung des Nachbarlandes nicht aufgibt.

Noch ist offen, was die Staats- und Regierungschefs der EU diese Woche beschließen werden. Aber es bleibt sicher die Frage, was eigentlich noch passieren muss, damit Stufe drei der Sanktionen kommt. Mehr noch aber drängt die Forderung nach Geschlossenheit. Ich bin in der vergangenen Woche, gleich nach Abschuss des Fluges MH17, nach Slowjansk, Artomowsk und Charkiw gereist, habe mit vielen Politikern, Soldaten, Gegnern und Anhängern der Euromaidan-Bewegung gesprochen und komme als Ergebnis dieser Gespräche zu dem Schluss, dass die EU trotz der Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der Ukraine und trotz des Sanktionskataloges bisher weder den russischen Präsidenten noch die Bürger der Ukraine überzeugt.

So oft Putin Zusagen zur Deeskalation gemacht hat, so oft wurde daraus nichts. Der Umgang mit den Toten des Flugs MH17 zeigt das erneut. Putin sieht die EU eben nicht geeint. Das macht ihn stark. Und die Ukrainer verfolgen das alles sehr genau. Weil aber die EU den Ukrainern so wankelmütig und mehr von Wirtschaftsinteressen als vom Bekenntnis zu den eigenen Werten bestimmt erscheint, wächst das Gefühl, auf sich allein gestellt zu sein.

 

Russlands Provokationsfalle


Die russische Destabilisierungsstrategie, die Provokationsfalle, wirkt umso mehr. Die Ukraine wird mehr und mehr in einen immer größeren militärischen Konflikt gezogen. Diesen Krieg wollten die Ukrainer nie; das Land und seine Armee sind darauf auch nicht vorbereitet. Wenn die Regierungschefs der EU jetzt erneut beraten, muss klar sein, dass der gefährliche Sog durch unseren Wankelmut verstärkt wird. Wir tragen Verantwortung für die Entwicklung in der Ukraine.

Als wichtigsten Schritt zur Deeskalation und Voraussetzung für einen Waffenstillstand muss erreicht werden, dass die Grenze zwischen Russland und der Ukraine dicht gemacht wird. Der Nachschub an Kämpfern, Waffen und Geld aus Russland muss enden. Wie das geht und ob eine robuste, aufgestockte OSZE-Mission das mit durchsetzen kann, müssen Sicherheitsexperten entscheiden.

Die EU muss dafür die Zustimmung der russischen Führung erreichen. Ich bin überzeugt, dass das verlangt, die Wirtschaftsbeziehungen zu Russland zu verändern. Der Vorschlag für eine europäische Energieunion muss auf jeden Fall verfolgt werden. Aber während wir über Erdgas, Waffen und andere Güter reden, geht es im Osten Europas für sehr viele Menschen um Krieg oder Frieden.

Die EU hat aber nicht nur ein Assoziierungsabkommen unterschrieben. Wir haben uns auch verpflichtet, für das Selbstbestimmungsrecht und die territoriale Integrität der Ukraine einzustehen. Nicht nur in der Ukraine, auch in Polen und den baltischen Staaten wird sehr genau verfolgt, ob dieses Versprechen – gerade auch von Deutschland – gilt.

Die Glaubwürdigkeit der EU ist eine Frage des Selbstrespektes und des Respektes vor europäischen und globalen Werten. Wer soll die EU noch respektieren, wenn wir uns selber nicht respektieren? Die Staats- und Regierungschefs sollten deshalb bei ihrer Entscheidung über Wirtschaftssanktionen im Kopf haben: 100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges ist die EU gefordert, die Friedensordnung auf dem Kontinent mit nicht-militärischen Mitteln zu schützen.

Unser Scheitern wäre am schlimmsten für die Ukraine. Es würde aber auch die EU selbst vor eine Zerreißprobe stellen.

 

Rebecca Harms ist Co-Vorsitzende der Grünen im Europäischen Parlament. Sie befasst sich seit Jahren mit der politischen Situation in der Ukraine. Gerade erst war sie wieder dort.


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