Um den lahmenden Emissionshandel wieder in Gang zu bringen, will die EU eine Marktstabilitätsreserve einführen, die überschüssige Zertifikate aus dem Markt nimmt. Nur, wann die Reserve kommt, darüber wird gestritten. Der Umweltausschuss des EU-Parlaments hat sich heute auf Ende 2018 geeinigt. Für Rebecca Harms, Fraktionschefin der Grünen im EU-Parlament, ist das viel zu spät. Damit werde der CO2- Emissionshandel zehn weitere Jahre keinen Anreiz zum Klimaschutz bieten.
Rebecca Harms war von 1994 bis 2004 Landtagsabgeordnete in Niedersachsen und ist seit 2009 Mitglied des Europaparlaments.
klimaretter.info: Frau Harms, die EU will eine Marktstabilitätsreserve einführen, um den lahmenden Emissionshandel wieder in Gang zu bringen – streitet aber über den Zeitpunkt. Auf was hat sich der Umweltausschuss des EU-Parlaments heute festgelegt?
Rebecca Harms: Die Sozialdemokraten waren für 2018, die Europäische Volkspartei für 2019. Böse Zungen sagen: Die Sozialdemokraten haben den Christdemokraten genau einen Tag abgerungen. Der Ausschuss hat sich nun auf Ende 2018 geeinigt – damit wird die Marktstabilitätsreserve de facto erst 2019 funktionsfähig sein. Wir sind der Meinung, die überschüssigen Zertifikate müssen so früh und konsequent wie möglich vom Markt.
Warum spielt es so eine große Rolle, ob die Reserve ein Jahr früher oder später kommt?
Die Zahl der überschüssigen Zertifikate ist ohnehin schon riesengroß. Und selbst mit den Maßnahmen, wie wir sie jetzt beschlossen haben, wären noch 2020 und darüber hinaus Milliarden Zertifikate zu viel im Markt.
Ist das Europaparlament noch der Antreiber im europäischen Klimaschutz?
Zumindest was den Emissionshandel betrifft, habe ich nach der Debatte im Umweltausschuss meine Bedenken. Es gab nicht nur diesen lächerlichen Kompromiss. Es gab auch erneut die Ansage, die Industrie für Klimainitiativen zu belohnen, indem man ihnen zurückgestufte Zertifikate frei zuteilt. Mein Glaube an die konsequente Reparatur des Emissionshandels lässt nach.
Am Ende entscheiden allerdings nicht die EU-Abgeordneten, sondern die Mitgliedsstaaten. Polen kann im Ministerrat mit seiner Sperrminorität die Einführung der Reserve auf 2021 hinauszögern. Wie kann man Polen überzeugen, das nicht zu tun?
Darüber müssen sich die Regierungen verständigen. Sollte die Stabilitätsreserve erst 2021 kommen, dann wäre das eine ganz schlechte Einstimmung auf den Klimagipfel in Paris. Denn damit würden die Europäer einfach weiter tolerieren, dass ihr wichtigstes Klimaschutzinstrument nicht funktionstüchtig ist.
Selbst wenn man die Marktstabilitätsreserve schon 2018 einführen würde, dürften sich die überschüssigen Zertifikate nur langsam abbauen – erst in zehn Jahren wäre wieder eine Art Gleichgewicht im Emissionshandel hergestellt, sodass sich Investitionen in den Klimaschutz wieder lohnen. Was schlagen Sie als Übergangslösung vor?
Man kann das Rad nicht neu erfinden. Damit wir das Zwei-Grad-Ziel erreichen, braucht man einen funktionsfähigen Emissionshandel und eine angemessene Obergrenze. Jetzt müssen wir uns erst einmal über die Energieunion streiten.
Die EU-Kommission legt dazu morgen ihren Entwurf vor. Was sagen Sie zu den Vorschlägen?
Eine Energieunion wäre eine tolle Sache – wenn man sie richtig macht, indem man die Erneuerbaren und die Effizienz voranbringt. Das wäre eines der Zukunftsprojekte der EU. Die Einleitung des Kommissions-Entwurfs liest sich in der Tat wie grüne Propaganda. Aber weiter hinten in den Papieren steckt wahnsinnig viel von gestern. Die Vorschläge zur Energieunion kreisen in erster Linie um Gas und Schiefergas, auch um Atomkraft. Und die Kohle wird ausgespart, als gäbe es keine Probleme mit ihr. Erneuerbare und Energieeffizienz wiederum kommen nur als ein Punkt unter vielen vor. Und zwar auf wenig ambitioniertem Niveau.
Das Interview erschien am 24. Februar 2015 unter: https://www.klimaretter.info/politik/hintergrund/18259-qmein-glaube-an-die-reparatur-laesst-nachq