Rebecca Harms

Mitglied des Europäischen Parlaments in der Grünen/EFA Fraktion 2004-2019

#blog    23 | 06 | 2010
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Aus der Krise führt nur mehr gemeinsame Politik!

Nach einer Plenarsitzungswoche und unmittelbar nach dem Europäischen Gipfel ist es nicht ganz leicht zu bilanzieren, wie weit wir Europäer geeint und gut abgestimmt gegen die Finanz- und Wirtschaftskrise und die Schuldenprobleme etlicher Mitgliedstaaten vorgehen werden. Für das Plenum in Straßburg hatten sich die Fraktionen der Europäischen Volkspartei, der Sozialdemokraten, der Liberalen und der Grünen auf zwei gemeinsame Resolutionen verständigt, die Vorschläge zur wirtschaftspolitischen Steuerung und zur Strategie EU 2020 enthalten.

 

Gemeinsame Pressekonferenz der Fraktionsvorsitzenden
© European Parliament - Audiovisual Unit

So breit getragene Anträge sind natürlich Kompromisse. Wesentlich war für uns, dass mit diesen Anträgen ein größtmöglicher Druck für mehr gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik verbunden wurde. In einer gemeinsamen Pressekonferenz der vier Fraktionsvorsitzenden - einmalig in der Geschichte des Europäischen Parlaments - wurde der unbedingte Wille der großen Mehrheit des Europäischen Parlamentes betont, die "Methode Communautaire", die Gemeinschaftsmethode, zu stärken. Aus der Krise führt nur mehr gemeinsame Politik und nicht mehr zwischenstaatliches oder konkurrierendes Handeln. Ein Gespräch mit dem Vorsitzenden der Eurogruppe, Jean-Claude Juncker, hatte uns darin bestärkt, dass in den bestehenden Strukturen und auf der Grundlage der gültigen Verträge viel mehr "europäische Wirtschaftsregierung" möglich ist als die Staats- und Regierungschefs bereit sind zuzulassen. Handlungsfähigkeit und demokratische Legitimation lassen sich gewährleisten. Es braucht keine neuen Institutionen und auch keine extra task force des Europäischen Rates um den neuen Ratspräsidenten Herman van Rompuy. Der Ecofin (der Rat der Europäischen Finanz- und Wirtschaftsminister) müsste häufiger tagen.

 

Die Vorlagen für die Gestaltung neuer gemeinsamer Regeln oder Instrumente zur Durchsetzung auch der weitgehend unverbindlichen Ziele von EU 2020 müssten von der Europäischen Kommission gemacht werden. Das Europäische Parlament müsste vor Entscheidungen von der EU-Kommission und die nationalen Parlamente von der Ministern des Ecofin konsultiert werden. Die Eurogruppe, deren Mitgliedstaaten ja schon durch den Stabilitäts- und Wachstumspakt tiefer integriert sind, kann und muss eine konstruktive Vorreiterrolle für die Integration der Wirtschaftspolitiken spielen. Aber auch hier gilt: die demokratische Legitimation und Transparenz müssen ein echtes Anliegen werden. Die weitere politische Integration der EU wird scheitern, wenn sie nur in den Dunkelkammern Brüssels gesucht wird. Herman van Rompuy – der erste nicht rotierende Ratspräsident der EU - hat sich mit der Einsetzung seiner task force und seinem bisherigen agieren gegen Transparenz und gegen echte Zusammenarbeit mit dem EP als Mann des Rates gezeigt.

 

Sarkozy+Merkel
© Chesi - Fotos CC

Immer peinlicher und schädlicher wird das deutsch-französische Europa-Theater mit Angela Merkel und Nicolas Sarkozy in den tragenden Rollen. Gemeinsam haben die beiden zur Zeit, dass sie auf dem absteigenden Ast sitzen. Und dass ihre Treffen zu Europa am Ende nur entscheiden, wer von beiden seine Nase ein Stück weiter vorn hat. Das führt dann zu solch absonderlichen Ergebnissen wie in der letzten Woche. Erst wird ihr tête á tête abgesagt. Dann findet es doch statt. Dann einigt man sich: Die Wirtschaftsregierung ist eine gute Idee, wird gebraucht und soll beschlossen werden. Schon am nächsten Tag beim Gipfel, ist der gemeinsame Auftritt vergessen. Man weiß nicht mehr, worüber man sich einig war. So wächst nicht nur die Verunsicherung der Bürger. So erreicht man auch nicht die Stabilisierung des Euro, sondern konterkariert die eigenen Maßnahmen in der Krise.

 

 

Bemerkenswert schien vielen Journalisten die Einigung auf die Finanztransaktionssteuer und der Anlauf, sie in Toronto auf die Tagesordnung zu setzen. Man wird sehen, wie ernst es Merkel und Sarkozy damit ist. Er pflegt wohl doch eher seine Idee der Bankenabgabe. Und sie könnte mit dem Warten auf die Entscheidung im Rahmen der G 20 auch auf das Scheitern setzen. Zur Einführung der Finanztransaktionssteuer wäre der Weg über die Eurogruppe der beste. Eine solche Entscheidung würde mehr Druck auf den Rest der G 20 machen als der Beschluss des EU-Gipfels.

 

Euromünze
© European Union, 2001

Ein dominantes Thema in den Debatten und auf den Fluren Brüssels ist die Frage, ob die bisherige Strategie zum Abbau der Überschuldung der Mitgliedstaaten nicht zu einseitig auf das große Sparen konzentriert ist. Keine Frage: Kein Staat kann und soll über seine Verhältnisse leben. Griechenland muss seinen öffentlichen Haushalt vom Kopf auf die Füße stellen. Und trotzdem darf auch dort die Gerechtigkeit nicht vernachlässigt werden. Ob die Sanierung drei oder fünf Jahre dauert ist nicht wichtiger als dass am Ende ein funktionierender Staat steht, den die Griechen als "ihren" Staat sehen.

 

Sparen ja! Aber an der richtigen Stelle! Nicht nur in Deutschland muss es darum gehen, die "schädlichen" Subventionen zu kassieren. Allein der Widerspruch zwischen Klimazielen und der fortgesetzten Subventionierung der Kohle spricht Bände. Auch die Befürchtung, die EU könne in eine Deflation geraten, wird von Vielen diskutiert. Im EP dominiert die Einschätzung, dass Länder, die besser dastehen, auch ihre Binnennachfrage stärken sollten. Deutschland fällt ziemlich auf, weil es selbst im Aufschwung Niedriglohnpolitik betreibt.


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