"Ein fundamentaler Kulturwandel in Politik und Wirtschaft sind die Voraussetzung für eine konsequente Neujustierung und Umsetzung europäischer und nationaler Umweltstandards."
Auch vier Monate nach Bekanntwerden des VW-Dieselskandals, sind wir noch weit von einer wirklichen Aufklärung entfernt. Kurz vor Weihnachten hat sich das Europaparlament für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses ausgesprochen. Der Ausschuss wird im Februar seine Arbeit aufnehmen und ein Jahr lang tätig sein. Wir Grüne hatten uns schon seit Beginn des Skandals für einen Untersuchungsausschuss stark gemacht. Denn klar ist, dass Behörden auf allen Ebenen versagt haben. Wie sonst ist es zu erklären, dass mehr als acht Millionen manipulierte Fahrzeuge auf europäischen Straßen fahren? Wie kann es sein, dass VW über mehrere Jahre Abgastests manipuliert und Verbraucher betrogen hat, ohne dass es jemandem auffiel? In den USA dagegen, wo nur rund eine halbe Millionen der manipulierten Fahrzeuge unterwegs sind, haben die Behörden den Betrug festgestellt und sind konsequent dagegen vorgegangen. Dieser Skandal ist nicht nur eine selbstverschuldete Katastrophe für Europas größten Autobauer, sondern auch eine handfeste Blamage für die Zulassungs- und Kontrollbehörden der EU im Automobilbereich. Umso wichtiger ist es nun systematisch aufzuklären, wie es zu diesem Totalversagen bei der Umsetzung europäischer Gesetzgebung kommen konnte. Wo wurden Fehler gemacht? Wer hat versucht Probleme unter den Teppich zu kehren? An welchen Stellen wurde trotz Hinweisen auf mögliche Manipulationen nicht angemessen reagiert?
Die EU-Kommission ist dafür zuständig, die Umsetzung von EU-Gesetzgebungen sicherzustellen. Dennoch scheint der damalige Industriekommissar und heutige EU-Parlamentarier, Antonio Tajani, Hinweisen auf die Anwendung von Abschaltmechanismen, die ein vorschriftsmäßiges Funktionieren nur im Testzyklus zulassen, nicht nachgegangen zu sein. Dazu wird er sich vor dem Untersuchungsausschuss erklären müssen.
Auch die nationalen Zulassungsbehörden und Prüforganisationen werden erklären müssen, wie dieser massive Betrug unbemerkt bleiben konnte. Das Abhängigkeitsgeflecht zwischen Herstellern, Prüfstellen und Zulassungsbehörden wurde schon oft kritisiert. Es ist allerhöchste Zeit, dieses angesichts des aktuellen Skandals genauer unter die Lupe zu nehmen.
Wir brauchen unabhängige Tests, die die Emissionen und den Verbrauch von Fahrzeugen im Normalbetrieb besser wiedergeben als die geltenden Standardtests. Wir brauchen aber auch Kontrollen, die überprüfen, ob Fahrzeuge auch später noch den geltenden Grenzwerten entsprechen. Der Untersuchungsausschuss bietet eine Chance für eine gründliche Analyse der Schwachstellen des aktuellen Systems und wird den tatsächlichen Handlungsbedarf aufzeigen.
VW ist nicht wegen der europäischen Umweltvorgaben in die Krise geraten, sondern wegen einer Kultur im Unternehmen, aber auch in der Politik, die Umweltgrenzwerte als ungerechtfertigtes Hindernis für Unternehmensgewinne ansieht. Die unermüdliche Inschutznahme der Automobilindustrie durch die Bundesregierung hat zu diesem Selbstverständnis beigetragen. Allein in Deutschland sterben jedes Jahr 10.000 Menschen vorzeitig wegen Luftverschmutzung, die größtenteils auf den Dieselverkehr zurückzuführen ist. Es gab also 2007 gute Gründe Grenzwerte festzulegen. Doch jetzt müssen wir sicherstellen, dass Umwelt- und Gesundheitsschutz auch bei der Umsetzung von Gesetzgebung ernst genommen werden. Wir dürfen nicht akzeptieren, dass die Umgehung dieser Grenzwerte zum Ingenieurssport wird und ein Kavaliersdelikt bleibt.
In dem 45-köpfigen Untersuchungsausschuss werden drei Abgeordnete der Grünen/EFA Fraktion vertreten sein: Rebecca Harms (Deutschland), Bas Eickhout (Niederlande) und Karima Delli (Frankreich). Das Mandat des Untersuchungsausschusses ist > hier zu finden.