Notizen aus Kiew, Charkiw, Slawjansk und Artemiwsk .
Liebe Leserinnen und Leser!
Die Reise, von der ich berichte, ist eine von unzähligen, die ich seit
meinem ersten Besuch in der Ukraine im Jahre 1988 gemacht habe. Damals
schickte mich der Schriftstellerverband der Sowjetunion in das
Sperrgebiet von Tschernobyl. Danach sollte und konnte ich in Kiew und
Moskau öffentlich berichten über das, was ich dort gesehen hatte. Heute
erscheint es mir dringend wieder darüber zu berichten, was ich sehe,
wenn ich die Ukraine besuche. Seit dem Beginn des Euromaidan im November
2013 war ich fast Monat für Monat dort. Aber diese Reise im Juli war
anders als alle anderen.
Sie begann an dem Tag, an dem der Flug Malaysian Airlines 17 über den
Feldern des Donbass abgeschossen wurde. Und dorthin, in den Osten des
Landes, war ich unterwegs.
Ich habe im Juli bewegende Gespräche mit Soldaten und Freiwilligen, mit
Bürgerinnen und Bürgern, mit Politikern und Aktivistinnen in Kiew,
Charkiw und Slawjansk geführt. Unter ihnen waren Befürworter und Gegner
des Euromaidan genauso wie Unterstützer und Kritiker des Präsidenten
Poroshenko. Gerade auch denen, die im Osten des Landes um eine bessere
Zukunft ringen, möchte ich Gehör verschaffen. Die Ukrainer haben den
Pauschalverdacht des Faschismus nicht verdient. Und sie haben ein Recht
darauf ernst genommen zu werden, bevor man sie hier im Westen und der EU
zu Bürgern eines Pufferstaates degradiert.
Der Osten der Ukraine ist anders als der Westen und der Donbass ist noch
mal anders als der Osten oder Südosten der Ukraine. Das Problem dort
ist aber nicht die Sprache. Die Donbass-Mafia und die ukrainische
Politik haben verheerende gesellschaftliche Verhältnisse zu
verantworten. Armut und Perspektivlosigkeit sind die Probleme dieses
niedergehenden Kohle- und Stahlreviers.
In der Ukraine und in Europa ist seit Juli viel geschehen. Inzwischen
ist eine direkte Beteiligung russischer Soldaten am Krieg im Donbass
bestätigt. Das Europaparlament und das Parlament der Ukraine haben das
Assoziierungsabkommen ratifiziert. Wirtschaftssanktionen gegen Russland
sind verschärft worden. Die Diplomatie zwischen Russland und der EU
läuft auf Hochtouren. Das Handelsabkommen EU-Ukraine wird als Geste
gegenüber Russland nicht sofort in Kraft gesetzt. In Minsk haben die
Verhandlungen der Kontaktgruppe zu einem Waffenstillstand geführt. Die
Welt hofft auf ein Ende der Kämpfe. Statt auf wirklichen Frieden scheint
Russland auf einen neuen Frozen Conflict hinzuarbeiten. Die
Europäische Außen- und Sicherheitspolitik steht gegen Ende des Jahres
2014 auch auf dem europäischen Kontinent in einer neuen Situation.
Die beginnt mit der Annektierung der Krim durch Russland und dem
bewussten Bruch der Europäische Friedensordnung. Die europäische
Uneinheitlichkeit, die sich in der Debatte um Wirtschaftssanktionen
gegen Russland gezeigt hat, darf sich nicht fortsetzen. Es wird sicher
nicht leicht, eine gemeinsame Sicherheitspolitik neu zu formulieren.
Aber es ist unvermeidlich. Die EU darf das nicht einem Polterer wie dem
NATO-Generalsekretär Rasmussen überlassen. So schnell wie möglich muss
die EU sich angesichts der neuen Erfahrungen mit Russland über eine
gemeinsame nachhaltige Energiepolitik verständigen.
Mehr Unabhängigkeit von Rohstoffimporten schafft mehr Sicherheit und
Freiheit. Diese Idee ist doch Teil der Grünen Energiestrategie. Als
Grüne Europapolitikerin fühle ich mich selbstverständlich den
demokratischen Bürgerbewegungen verpflichtet. Die EU bringt nicht allein
Staaten sondern zuerst die Menschen zusammen. So oder ähnlich hat das
Jean Monet gesagt. Dieses Denken bestimmt meine Arbeit in der Ukraine.
Wir Grüne sollten noch mehr das Gegenüber der demokratischen
Bürgerbewegungen in der Ukraine werden. Und wir sollten uns noch viel
mehr um die Zivilgesellschaft in Russland bemühen. Die Beziehungen
zwischen den
demokratischen Bewegungen der beiden Länder mehr zu beleben ist
schwierig. Aber wir können auch dafür mehr tun und so Freiheit und
Demokratie verteidigen.
Ich hoffe mit meinem Bericht dazu zu ermutigen.
Rebecca Harms
AUSFÜHRLICHER REISEBERICHT: VIER TAGE UKRAINE
ENGLISH VERSION: FOUR DAYS IN UKRAINE