In ihrer Abschiedsrede sprach Rebecca von ihrer Liebe zum europäischen Weg, über ihre Sorgen und ihren Traum vom Zukunftsprojekt einer Europäischen Klimaunion.
---Es gilt das
gesprochene Wort---
Liebe Delegierte,
zuerst einmal meinen herzlichen Glückwunsch an den neuen Landesvorstand. Und als langjährige Fraktionsvorsitzende in Brüssel erlaubt mir auch eine Vorbemerkung zu den gestrigen Wahlen: Fraktionsvorstände wollen nie funkelnde Landesvorsitzende, egal was sie darüber sagen.
Vorweg auch mein Dank an den alten Landesvorstand.
Danke dass ihr mir, nachdem mir dieser Landesverband 15 Jahre in der europäischen Politik ermöglicht hat, hier Raum für eine europapolitische Rede einräumt.
Ich will versuchen über meine Liebe, meine wachsende Liebe zum europäischen Weg, über meine Sorgen und über meine Überzeugungen zu sprechen.
Ihr wisst, ich bin in den letzten Jahren viel gereist. Nach Kiew und Tiflis. Und zuletzt auch immer mehr nach Istanbul und Ankara. Bei jeder Rückreise habe ich die EU mehr geliebt. Mit ihren Macken und in ihrer Unvollkommenheit. Habe besser verstanden, warum diese, unsere Europäische Union für die allermeisten Menschen in unserer Nachbarschaft der Ort der Sehnsucht ist. Habe gesehen, dass die, die draußen sind und fürchten nie dazuzugehören, nicht fassen können, was sie sehen. Nämlich dass die Privilegierten, die die drinnen sind, mit ihren Zweifeln die größte politische Errungenschaft des europäischen Kontinents in Frage stellen und gefährden.
Es macht mich heute froh, dass das Europa, das für meine Generation gefühlt der größte Gewinn war, als Gegenmodell zur nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands, dass dieser Gewinn heute von immer mehr jungen Leuten als drohender Verlust gefühlt wird.
Das ist eine gute Voraussetzung für den Zusammenhalt und die Weiterentwicklung der EU auch in schwierigen Zeiten.
Es heißt oft, der Brexit habe die Bürger der EU so erschreckt, dass sie sich nun neu zum gemeinsamen europäischen Weg bekennen. Das ist eine vernünftige Reaktion. Wir müssen trotzdem einigen großen Herausforderungen begegnen, damit die neu vermessene Zustimmung - die dem Erschrecken über das britische Chaos entspringt - eine anhaltende Zustimmung wird.
Lösung bedeutet in der EU - das Wort mögen viele hier nicht - Kompromiss. Der runde Tisch, an dem in Brüssel zwischen Parlament, Kommission und Rat und letztlich immer zwischen den gewählten Regierungen verhandelt wird, bleibt bei aller Behäbigkeit die größte zivilisatorische Errungenschaft dieses Kontinents in unserer Zeit. Je größer der Tisch wurde, je mehr Stühle für mehr Staats- und Regierungschefs aufgestellt wurden, desto größer wurde die Ungleichzeitigkeit. Und desto mehr Geduld, Verhandlungsgeschick und Kompromissfähigkeit werden gebraucht.
Wer heute aus dem wohlhabenden Westen nach Polen ruft: “Ihr wolltet unser Geld und jetzt verweigert ihr unsere Werte”, der übersieht, dass die Polen raus aus dem sowjetischen Kolonialreich wollten, um an diesem Tisch unter Gleichen sitzen zu können. Ja, dass die Aussicht auf diesen Tisch, auf Sicherheit und Freiheit der EU, der Ansporn für die erfolgreiche Überwindung des Warschauer Paktes und der sowjetischen Vormacht war. Als Deutsche, die wenige Jahre nach dem 2.Weltkrieg unverdient das Privileg bekamen, von Anfang in der europäischen Gemeinschaft dazuzugehören, als Deutsche ist es quasi naturgemäß unsere Rolle, für den Zusammenhalt und auch für Geduld zu sorgen. Das gilt in der Eurokrise. Das gilt aber auch in Krisen von Demokratie. Ich bezweifle, dass mit Druck aus Brüssel ohne Mehrheiten im Rat antiliberale Entwicklungen in Mitgliedstaaten zu stoppen sind. Die Ergebnisse der Kommunalwahlen in Polen und die starken Proteste in Budapest für die Europäische Universität aber geben Grund an die Kraft der Zivilgesellschaft zu glauben.
Die Debatte um den Euro ist zurück. Ich hoffe, dass das Erschrecken über die Auswirkungen der italienischen Regierungsentscheidungen dazu führt, dass die gemeinsame Währung durch eine gemeinsame Finanz und Wirtschaftspolitik stabil wird. Ich bin für einen europäischen Finanzminister und einen Europäischen Währungsfond. Ich sage aber auch, dass diese gemeinsame Verantwortung nicht nur Solidarität, sondern auch Solidität voraussetzt. Und ich bin auch überzeugt, dass eigene Einnahmen für die EU unverzichtbar sind. Umso besser, wenn sie aus einer ökologischen Steuer fließen würden.
Beim Klimaschutz war die EU lange vorn. Wir haben die erste verbindliche Klimagesetzgebung gemacht mit großem grünen Einfluss aus dem Europaparlament. Wir haben den europäischen Emissionshandel etabliert, mit wesentlicher Unterstützung des damaligen Umweltministers Trittin. Aber wir gehören auch zu denen, die die Wende, die spürbare Senkung der Klimaemissionen durch unsere bisherigen Maßnahmen und Zielsetzungen nicht hinkriegen.
Der letzte Internationale Klimabericht des IPCC sagt, es sei noch möglich, die Pariser Ziele zu erfüllen, die Dekarbonisierung unserer Industriegesellschaften zu schaffen. Vor 40 Jahren war ich bei der Gründung der Bürgerinitiative in Gorleben dabei. Seit mindestens 30 Jahren arbeiten wir - zunächst wegen des Atomausstieges, inzwischen auch wegen des Klimaschutz - an der Energiewende. Für das Dekarbonisierungsziel bleiben noch mal rund 30 Jahre. Das Formulieren ehrgeiziger Ziele durch uns Grüne ist nicht genug. Die Debatte um das Auto und die Zukunft der Mobilität zeigt exemplarisch, was wir leisten für klimafreundliche Transformation müssen. Wir müssen so wie bei der Energiewende vorstellbare Szenarien entwickeln. Und wir müssen mit Gewerkschaft, mit Industrie und Gesellschaft einen Weg finden, der ökologische und soziale Interessen verbindet. Mein Traum: eine Europäische Klimaunion als das gemeinsame Zukunftsprojekt. So wie Euratom- nichts für ungut - die Verbreitung der Atomkraft forcierte, so müsste mit einem EU-Vertrag für Klimaschutz heute unser Wissen weiterentwickelt werden und so müssten klimafreundliche Technologien für nachhaltiges Wachstum und für neue Wettbewerbschancen unserer Industrien an den Start gebracht werden.
Auch das Thema Flucht muss von uns noch besser bearbeitet werden. Die globalen Zahlen zur Flucht steigen. Die EU ist in der Lage mehr Menschen gut aufzunehmen als bisher. Und das wollen wir auch erreichen. Politisches Asyl, Schutz für Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge, ein europäisches Einwanderungsgesetz - wir wissen was für Gesetze wir brauchen. Klar ist aber auch, dass die Herausforderungen der Flucht besser im Konsens zu meistern sind. Das gilt für Deutschland und für die EU. Selbst bei großer Zustimmung wird die Flucht der allermeisten Menschen nicht in die EU führen. Unsere Anstrengungen für die vielen, die nicht hier aufgenommen werden, müssen stärker werden. Abkommen, wie das mit der Türkei werden gebraucht, weil wir für die 3 Millionen Menschen keine Aufnahme haben. Wie wir solche Abkommen besser machen, wie wir durch rechtsstaatliches Grenzmanagement und in Zusammenarbeit mit der UN Schutz und Aufnahme humanitär, rechtsstaatlich und zuverlässig machen können, auch davon wird abhängen, wie breit ein Konsens für eine durchhaltbare Flüchtlingspolitik wird. Und ein letztes Wort dazu: Durch Schengen haben wir die Grenzen zwischen EU Staaten aufgehoben. Seit 2015 sind diese Binnengrenzen zum Teil wieder da. Die EU muss ihre Außengrenzen organisieren. Ich bin mir sicher, dass eine rechtsstaatliche Ordnung an den Außengrenzen von den Bürgern zu Recht erwartet wird.
Lange habe ich gedacht, dass mich die Konfrontationen zwischen Bürger und Staat in Gorleben persönlich am härtesten gefordert haben. Und ich danke hier all denen von euch und aus meinen Landtagsfraktionen, die mir immer wieder in die Abenteuer des Gartower Waldes gefolgt sind und die sich vom Gorlebengefühl anstecken ließen. Das alles war lange, bevor ich im Januar 2014 auf dem Maidan in Kiew an der Trauerfeier für 100 erschossene Menschen teilgenommen habe. Es war lange bevor ich mit ukrainischen Freunden zu Freunden an die Front im Osten der Ukraine gereist bin. Meine regelmäßigen Reisen nach Osten sind wie Zeitreisen zurück ins 20. Jahrhundert mit seinen Schlachtfeldern und Schützengräben. Der Maidan und der russische Angriff gegen die Souveränität eines Nachbarlandes, aber auch viele andere Ereignisse in Georgien und viele Begegnungen, gerade auch mit Aktivisten aus Russland, hat zwei Sachen klargemacht: die Überwindung der Vergangenheit ist nicht abgeschlossen. Die Wiedervereinigung in den 90ern und der Beitritt der zentral- und osteuropäischen Staaten in den 2000ern sind nicht abgeschlossen, sondern gehen im Osten weiter. Und die EU, das beeindruckendste Friedensprojekt unsrer Zeit kommt angesichts der neuen aggressiven Außenpolitik Russlands nicht ohne gemeinsame klassische Sicherheits- und Verteidigungspolitik aus. Mit dieser müssen wir uns auseinandersetzen. Ein Nein zur Finanzierung ist für eine pro-europäische Partei nicht die richtige und bestimmt nicht die ausreichende Position.
Das Europäische Parlament hat mir noch ein schönes Geschenk zu Beginn meiner letzten 6 Monate in Brüssel gemacht. Es hat den Sacharow Preis in diesem Jahr dem ukrainischen Filmemacher Oleg Sentsov zugesprochen. Die Initiative für den Künstler von der Krim, der als Putins Geisel zu 20 Jahren Lager in Sibirien in einem stalinesken Verfahren verurteilt wurde, haben einige polnische und baltische KollegInnen und ich gestartet.
Liebe Freundinnen und Freunde,
als irgendwann im Jahre 1993 Hannes Kempmann, Sabine Carnap und Jürgen Stolp überraschend in meinem Garten in Dickfeitzen auftauchten, da hätte ich niemals gedacht, dass mein Weg weit über Hannover hinausführen würde. Geplant war das nicht. Und ich danke Euch dafür, dass ihr mir diesen Weg und all die Erfahrungen ermöglicht habt.
Die grüne Welle, die die Partei gerade trägt, die wünsche ich mir auch für Niedersachsen. Für den Europawahlkampf scheinen mir dafür einige Klärungen notwendig, die ich auch heute angesprochen habe. Lasst uns dafür sorgen, dass die Welle nicht an uns Niedersachsen vorbeirollt, sondern auch uns nach vorne trägt.