Rebecca Harms

Mitglied des Europäischen Parlaments in der Grünen/EFA Fraktion 2004-2019

#atomkraft    08 | 05 | 2008

Mit hochabgebranntem Kernbrennstoff aus EPR-Reaktoren verbundene Risiken

Anfrage vom 8.Mai 2008:
 
Der von Areva/Siemens entwickelte Europäische Druckwasserreaktor EPR sieht einen Abbrand von mindestens 60 GWd/tSM vor, was höher ist als bei allen bisherigen kommerziellen Atomreaktoren. In Europa befinden sich gegenwärtig zwei EPR-Reaktoren im Bau, einer in Olkiluoto, Finnland und ein weiterer in Flamanville, Frankreich.
 
Die Nuklearaufsichtsbehörde der USA, Nuclear Regulatory Commission (NRC), prüft derzeit die Sicherheit von hochabgebranntem Kernbrennstoff. Ein Forscherteam unter Leitung von Michael Billone vom Argonne National Laboratory in Illinois hat kürzlich Ergebnisse vorgelegt, nach denen Kernbrennstoffe mit einem Abbrand über 45 GWd/tSM bisher nicht bekannte Sicherheitsprobleme verursachen und die geltenden Sicherheitsbestimmungen der NRC verletzen würden, wenn nicht die Umhüllung der Brennelemente verändert wird. Eine Gefahr besteht bei einem plötzlichen Kühlwasserverlust, wie er 1979 im KKW Three Mile Island auftrat. Wenn die Hülle brüchig geworden ist, könnten die Brennstäbe aufreißen, wobei Plutonium und anderes radioaktives Material in das Reaktorgebäude austreten können.
 
Die derzeit geltenden NRC-Vorschriften scheinen nicht an Abbrände von >45 GWd/tSM angepasst zu sein. Bei Tests zur Simulierung von Kühlwasserausfall wurde das Zirkonium brüchig, ehe die Oxidation den heutigen Grenzwert von 17 % der Hüllendichte erreicht hatte. Einem Bericht der Zeitschrift New Scientist vom 14. April 2008 zufolge hat die NRC dreijährige Konsultationen zur Verschärfung der Vorschriften gestartet.
Wenn der Bau des Reaktors in Olkiluoto, Finnland, nach dem von der Firma TVO veröffentlichen neuesten Zeitplan fortgeführt wird, wird dieser 2011 ans Netz gehen, zum gleichen Zeitpunkt also, zu dem die Ergebnisse der Untersuchungen der NRC in den USA erwartet werden.
 
Mit einem 55 GWd/tSM abgebrannte Kernbrennstäbe wären während der gesamten Dauer ihrer Lagerung rund 50 % radioaktiver als solche mit einem Abbrand von 33 GWd/tSM. Eine höhere Radioaktivität erzeugt bei der Atommülllagerung größere Hitze, sodass die Brennstäbe weiter voneinander entfernt gelagert werden müssen und eine wesentlich längere Zwischenlagerung vor ihrer Endlagerung erfordern.
 
In Europa basieren die Standards noch immer auf einem Abbrand bis zu 45 GWd/tSM. Bei der Planung neuer europäischer Kernkraftwerke müssen jedoch das höhere Risiko einer Kernschmelze und die größere Radioaktivität des Atommülls in Betracht gezogen werden.
 
Hat die Europäische Kommission Kenntnis von den amerikanischen Studien zu hochabgebranntem Brennstoff und den von der NRC aufgenommenen Konsultationen? Wird die Kommission an die europäischen Atomsicherheitsbehörden, insbesondere an die entsprechenden Behörden Frankreichs und Finnlands, appellieren, die Sicherheitsbestimmungen für Reaktoren mit hohem Abbrand zu überprüfen, um das höhere Risiko einer Kernschmelze und des Austretens von radioaktivem Material sowie die mit der Atommülllagerung verbundenen besonderen Risiken zu verringern? Plant die Kommission Maßnahmen zur nochmaligen Prüfung ihrer Genehmigung von Atomreaktorprojekten mit Abbränden über 45 GWd/tSM, bis die Ergebnisse der derzeit in den USA laufenden Arbeiten vorliegen und alle Maßnahmen zur Ausschaltung oder Verringerung der neuen Risiken ergriffen sind?
 
Antwort von Herrn Piebalgs im Namen der Kommission:
 
Die Kommission hat Kenntnis von den in den USA durchgeführten Studien zu hoch abgebranntem Kernbrennstoff und von den von der Nuklearaufsichtsbehörde (Nuclear Regulatory Commission, NRC) aufgenommenen Konsultationen. Im Rahmen des Euratom-Arbeitsprogramms der Gemeinsamen Forschungsstelle (GFS) werden die neuesten technischen und wissenschaftlichen Entwicklungen im Nuklearbereich, insbesondere im Bereich der Sicherheit des nuklearen Brennstoffkreislaufs, aufmerksam verfolgt. Ferner trat die NRC vor kurzem an das GFS-Institut für Transurane mit dem Anliegen heran, sich an der Forschung zu der von den Frauen Abgeordneten angesprochenen Problematik zu beteiligen. Der Vorschlag wird zurzeit erörtert.
 
Da es keine gemeinsamen europäischen Rechtsvorschriften für die Sicherheit kerntechnischer Anlagen gibt, sind derzeit die nationalen Aufsichtsbehörden allein für die Zulassung von Reaktoren zuständig.
 
Dennoch haben Mitgliedstaaten im Einklang mit Artikel 37 Euratom-Vertrag Pläne für die Ableitung radioaktiver Stoffe vorgelegt, die die geplante Steigerung des Abbrands betreffen. Die eingereichten Pläne wurden hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf andere Mitgliedstaaten sowohl im Normalbetrieb (im Allgemeinen höhere Tritium-Freisetzungsraten) als auch bei einem Störfall (größeres Vorhandensein von Radionukliden) bewertet.
 
Was die neuen, im Bau befindlichen EPR-Reaktoren betrifft, so prüft die nach Artikel 37 Euratom-Vertrag eingesetzte Sachverständigengruppe derzeit einen für den Reaktor in Flamanville eingereichten Plan. Für Olkiluoto wurde bislang noch kein Plan vorgelegt.


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