Rebecca Harms

Mitglied des Europäischen Parlaments in der Grünen/EFA Fraktion 2004-2019

#ukraine    15 | 02 | 2017
Blog

Kampf an drei Fronten

CETA überlagert zurzeit alle Debatten im Europäischen Parlament. Für die Sicherheit Europas sind Entscheidungen zur Ukraine und gegen die russische Aggression in Brüssel und Washington aber mindestens genauso bedeutend.

Die Ukrainer kämpfen heute an drei Fronten.

An der einen erkämpfen sie sich Tag für Tag ihren neuen Staat. Durch Reformen. Sie orientieren sich an ihren eigenen Zielen, für die sie vor 3 Jahren auf dem Maidan gegen die Gewalt des Viktor Janukowitsch standgehalten und ihr Leben riskiert haben. Die Ukrainer verwirklichen Vereinbarungen, die sie mit der EU im Assoziierungsabkommen eingegangen sind: Der Kampf gegen Korruption, Transparenz, die Unabhängigkeit der Justiz, eine neue Polizei. Vieles wird durch das Engagement der Bürger und neuer Politiker vorangebracht. Sie sind der Motor dieses Aufbruchs, trotz aller Rückschläge und aller Lasten.
Der Kampf an der Reformfront ist der, der gewählt wurde. Und der findet statt trotz Krieg und Besatzung durch Russland.

Die zweite Front an der die Ukrainer kämpfen ist eine, an der seit drei Jahren Menschen sterben. Mehr als 10.000 sind tot, über 1.5 Millionen haben ihre Heimat verloren und sind Flüchtlinge in der Ukraine, weil Wladimir Putin die Ukraine nicht aus seinem post- oder neosowjetischen Macht- und Einflussraum entlassen will.

Awdijiwka   ist der Name einer kleinen Stadt, den die meisten von uns in Europa nie gehört hatten. Während die ganze Welt nur Augen für Donald Trump hatte, haben die Menschen von Awdijiwka   erlebt, wie der Krieg in voller Härte über sie hereingebrochen ist. Wer sehen will, der sieht in Awdijiwka   , dass der Krieg im Osten der Ukraine losbricht, wenn Wladimir Putin das für opportun hält. Awdijiwka   ist die Demonstration dafür, dass der russische Präsident kein Interesse an Frieden für die Ukraine sondern ein Interesse an der brennenden Lunte hat.

Und damit zur dritten Front an der die Ukrainer kämpfen.
Während die Bürger von Awdijiwka   unter Beschuss kamen, während dort wieder viele Menschen starben, verwundet wurden oder ihre Häuser verloren, schwoll in Rom, Paris und Budapest ein Chor an, der kein neues Lied hat: Beendet die Sanktionen gegen Russland. "Lasst uns Trump zuvorkommen", tönte Romano Prodi. Und zögerte nicht in den Worten von Trump zu fordern, dass wir die die EU wieder groß machen müssen. Mit Putin.

Gegen Prodi und andere sogenannte Europa- und Russlandexperten, die diesen Irrsinn predigen in dem rechts und links verschwimmen, sage ich:  Die Sanktionen aufzugeben bedeutete für die EU, einen weiteren Teil von uns aufzugeben. Spätestens seit Awdijiwka   wäre richtig über eine Verschärfung der Sanktionen zu reden. Vor allen Dingen aber muss ehrlich über das Minsker Abkommen geredet werden. Es sollte die Abwesenheit von Krieg erreichen. Trotz Minsk, mit Minsk, vielleicht wegen Minsk ist der Krieg in voller Härte losgebrochen. Muss nach Avdiivka nicht über das Scheitern geredet werden? Diplomatie ist nötig. Diplomatie darf aber Ehrlichkeit in der Politik nicht ersetzen. Ich glaube nicht daran, dass Frieden oder auch nur Waffenstillstand mit einem Besatzer erreicht werden kann, der über die Besatzung lügt und der nicht Frieden sondern Unfrieden will.

Dass die Ukrainer an der dritten Front in Brüssel  und Washington überhaupt kämpfen müssen, das ist eine Schande. Die Ukrainer verteidigen Freiheit und das Recht auf Selbstbestimmung in Europa. Sie sind die Europäer obwohl sie an der EU zweifeln und verzweifeln. Wir schulden ihnen nicht nur die Visafreiheit und das Assoziierungsabkommen.  Wir schulden ihnen Freundschaft. Und die fängt mit Ehrlichkeit zu Minsk und dem Normandie-Format an. Ein einfaches Weiterso ist nach Awdijiwka   falsch. Minsk ist noch kein Friedensplan. Das zuzugeben gehört dazu, den Ukrainern die dritte Front endlich zu ersparen.

Für den Gipfel in Rom anlässlich des Jubiläums der Römischen Verträge bereiten sich die Staats- und Regierungschefs auf neue Vereinbarungen zur gemeinsamen Sicherheitspolitik vor. Das ist richtig. Eines aber ist für mich gewiss. Wenn bei diesem Neuanlauf in der Sicherheitspolitik das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine beiseite gewischt wird, wird die EU der Herausforderung durch Russland ausweichen und sich schwächen. So richtig es war, eine militärische Eskalation zu vermeiden, so falsch ist es jetzt klein beizugeben. Es wäre nicht nur gegenüber Osteuropa verantwortungslos. Es würde mehr Unsicherheit für uns alle bedeuten. Und das wäre tatsächlich ein Verrat an den großen Versprechen und Ideen der Europäischen Union für Frieden und Freiheit auf dem Kontinent.
 


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