Rebecca Harms

Mitglied des Europäischen Parlaments in der Grünen/EFA Fraktion 2004-2019

#charlie hebdo    20 | 01 | 2015
Blog

"Je suis Charlie. Je suis Ahmed. Je suis Juif."

Die Stimmung in der vergangenen Plenarwoche in Straßburg war von der Trauer und dem Erschrecken nach den Terroranschlägen auf die Redaktion des französischen Satiremagazins Charlie Hebdo, auf französische Polizisten und einen Supermarkt in Paris geprägt. Die Sitzung begann mit einer Schweigeminute zum Gedenken an die Opfer. Die anschließende kurze Aussprache wurde getragen von dem Wunsch nach politischer und gesellschaftlicher Verständigung nicht nur über Antworten sondern auch über die Ursachen dieser Gewalt.

Traurig ist, dass sich jetzt in Frankreich die Angst ausbreitet. Juden fühlen sich noch mehr bedroht. Muslime fühlen sich bedroht. Und diese Angst ist nicht nur in Frankreich ansteckend. In allen Fraktionen im Europaparlament sind wir uns darüber im Klaren, dass wir in unseren Gesellschaften gegen diese Ängste etwas tun müssen. Diejenigen, die sich bedroht fühlen, müssen geschützt werden so gut es geht. Wir sind uns aber auch alle darüber im Klaren, dass es eine Endlichkeit von Instrumenten der Sicherheitspolitik gibt und dass es keine hundertprozentige Sicherheit gibt. Vor diesem Hintergrund müssen wir diskutieren, wie Gesellschaften mit Misstrauen und Angst umgehen und wie sie neues Vertrauen entwickeln.

Diese Diskussionen über die richtigen Antworten im Umgang mit den nicht unbekannten Herausforderungen für unsere Gesellschaften erfordern Offenheit und Zeit. Die Forderung nach der Vorratsdatenspeicherung wurde schon während des Marche Républicaine laut. Noch während die Franzosen und die Staats- und Regierungschefs in Paris für die Freiheit und Pressefreiheit marschierten, diskutierten die Innenminister über Einschränkungen der Grund- und Freiheitsrechte. Es ist gerade das reflexartige in der Reaktion der Innenminister, das mich verunsichert. Frankreich hat ja die Vorratsdatenspeicherung. Im Vorfeld der brutalen Anschläge von Paris hat es an allem gemangelt, nur nicht an Erkenntnissen über die Täter. Gerade deshalb müssen wir uns jetzt Klarheit darüber verschaffen, wie das Ermitteln und Datensammeln für die Sicherheit nützlich sein kann und woran es in Frankreich, Belgien und anderswo wirklich mangelt.

Es wird darauf ankommen, über Lösungen nachzudenken, wie wir in der EU in Sicherheitsfragen nicht nur besser zusammenarbeiten können, sondern auch Rechtsstaatlichkeit und Freiheit respektieren. Mein Kollege Jan-Philipp Albrecht warnt vor den Datenheuhaufen. Das nicht anlassbezogene Sammeln von Daten kostet Arbeit und damit auch Geld, viel Geld. Das Geld und die Anstrengungen, die für das umfassende Datensammeln eingesetzt werden, fehlen dann anderen Bereichen der polizeilichen Arbeit, selbst wenn man wie in Paris noch in der Lage ist, die Nadel im Heuhaufen zu identifizieren.

Seit dem 7. Januar wird in der EU auch neu über unsere europäischen Gesellschaften diskutiert. Was ist falsch gelaufen, nicht nur in Frankreich? Wir wissen viel über die Entstehung von Parallelgesellschaften. Jetzt muss es darum gehen, diese eingefrorenen Verhältnisse zwischen verschiedenen Gruppen der Gesellschaft, aufzuweichen. Nicht nur in Frankreich. Einer der wichtigsten Sätze in Straßburg letzte Woche dazu war der über die Täter: Es sind Franzosen. Es sind unsere Kinder. Die Polizeieinsätze in Belgien und Deutschland zeigen, dass nicht nur Frankreich sich neu mit allen Ursachen der Bereitschaft zur brutalen Gewalt beschäftigen muss.

In dieser Woche trat auch die lettische Ratspräsidentin das erste Mal vor das Europäische Parlament. Die Terrorbekämpfung und die EU Sicherheitsarchitektur sind über Nacht zu Prioritäten geworden für das lettische Team an der Spitze des Rates. Mit den Neuwahlen in Griechenland am 25. Januar wird auch die Frage, wie die Wirtschaftsunion stabiler gemacht werden kann und wie Investitionen in Griechenland und in der gesamten Europäischen Union wieder anziehen können, neu entfacht werden. Und nicht zuletzt grenzt Lettland direkt an den großen Nachbarn Russland, der unbeirrt die Rebellen in der Ostukraine mit Waffen versorgt und unter Missachtung des Kompromisses von Minsk den Krieg im Donbas weiter schürt. In der vergangenen Woche hat das Europäische Parlament eine gute Resolution zur Ukraine mit sehr breiter Mehrheit verabschiedet. Wir wollen weiter die Waffenruhe. Allein es bleibt die Frage, ob sich Wladimir Putin und die politische und wirtschaftliche Führung seines Landes je ehrlich für den Kompromiss von Minsk und eine Waffenruhe einsetzen werden. Priorität hat die Einstellung der Waffenlieferungen an die Söldner und Warlords im Osten und der Rückzug aller russischen Soldaten und schweren russischen Waffen von ukrainischem Gebiet. Zurzeit wird an vielen Orten im Donbas wieder sehr heftig gekämpft. Am Flughafen Donezk, dessen Ruinen an Grosny denken lassen, tobt eine Panzerschlacht. Wir sehen Bilder, die es in Europa nicht mehr geben sollte. Während ich den Marche Républicaine am Bildschirm verfolgte, fragte mich eine Freundin aus Kiew, die auch gebannt die Berichterstattung verfolgte, ob die Bürger in Paris sich eigentlich noch erinnern, dass der Euromaidan für die gleichen Werte organisiert wurde. Und ob man sich noch erinnere, dass deshalb die Krim annektiert wurde und der Osten der Ukraine mit der Hilfe Russlands gespalten werden soll.

Das Jahr fängt schwierig an. Ich wünsche dem lettischen Team der Ratspräsidentschaft Glück bei der Aufgabe. Es hat mich sehr beeindruckt, wie jung, weiblich und gut vorbereitet die Leute um Ministerpräsidentin Laimdota Straujuma sind.

 

Die Plenarthemen in der Presse:

Square Europa: Europas Antwort auf den Terror? Arte-Beitrag mit Rebecca Harms vom 18.01.2015.

"Datenheuhaufen dürfen nicht zu groß werden", Deutschlandfunk-Interview mit Rebecca Harms vom 14.01.2015.

„Vorratsdatenspeicherung ist unverhältnismäßig, Das Parlament-Interview mit Jan Philipp Albrecht vom 19.01.2015.

Gemeinsame Resolution zur Lage in der Ukraine vom 14.01.2015

"Untersuchungsausschuss zur Steuervermeidung: Abgeordnete aus allen Fraktionen unterstützen grüne Initiative für mehr Aufklärung", Pressemitteilung vom 14.01.2015.


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