Russland hat die Krim besetzt. Mit dem Militäreinsatz steuert Russland auf einen der schärfsten Konflikte mit dem Westen seit dem Kalten Krieg zu. Alle sieben großen Industrienationen, darunter auch Deutschland, setzen als Konsequenz ihre Vorbereitungen für das G8-Treffen im russischen Sotschi aus. Die Finanzminister der G7-Staaten sagten Kiew sofortige finanzielle Unterstützung zu. Und die EU-Außenminister suchen eine gemeinsame diplomatische Lösung. Was muss Europa tun?
Das Gespräch mit Rebecca Harms "Putin geht aufs Ganze", [4:48]
Radio Bremen: Ein Treffen der G8 findet möglicherweise nicht statt. Mehr kann die Welt nicht tun?
Rebecca Harms: Es muss alles getan werden, damit ein Treffen stattfindet. Diplomatie gegenüber Russland muss bedeuten, dass die Außenminister der EU darüber entscheiden, wie Russland versteht, dass diese Aggression gegenüber der Ukraine einen hohen politischen und wirtschaftlichen Preis haben wird. Die EU – und gerade auch die Briten, die eine Schutzerklärung gegenüber der Ukraine abgegeben haben – die sind jetzt wirklich gefordert.
Radio Bremen: Ich wage mal zu behaupten, Wladimir Putin ist sich dessen bewusst, er spielt einfach ein ganz hohes Spiel.
Rebecca Harms: Putin geht aufs Ganze. Er hat sich nicht nur sehr gut auf die generalstabsmäßige Besetzung der Krim vorbereitet, sondern auch auf die Destabilisierung der Ukraine von innen. Und er hat seine Armee marschbereit gemacht und sich vielleicht einen Duma-Beschluss geholt. Man weiß noch nicht einmal, ob es einen Beschluss des russischen Parlamentes dazu gibt. Auf jeden Fall ist alles vorbereitet, um auch weitere Teile der Ukraine zu besetzen.
Radio Bremen: Sie meinen, Russland wolle sich nicht nur die Krim holen sondern die gesamte Ukraine?
Rebecca Harms: Russland ist auf den Einmarsch vorbereitet. Und Russland bereitet den Boden dafür vor: Schon vor einer Woche sind viele Russen als Touristen in ukrainischen Städten aufgetaucht, die dann später im Zentrum der prorussischen Demonstrationen standen und die daran beteiligt waren, russische Flaggen in ostukrainischen Städten zu hissen. Es gab Demonstrationen und Gegendemonstrationen. Was dazu führte, dass Russland – wie auf der Krim – sagen kann: " Wir werden jetzt als Schutzmacht im Osten der Ukraine gebraucht."
Ich halte das für ein systematisches Vorgehen und denke, dass alle Staaten, die mit Russland wirtschaftliche Beziehungen pflegen, jetzt gefragt sind, zu sagen: "So nicht, Russland! So nicht, Waldimir Putin!"
Radio Bremen: Das machen doch alle Staaten schon. Was also soll passieren?
Rebecca Harms: Bisher höre ich nur, dass an alle Seiten inklusive der Ukraine appelliert wird "Bitte haltet Frieden! Bitte keine militärischen Eskalationen!" Und viele – auch Frank Walter Steinmeier – beschreiben die russische Aggression nicht angemessen. Dann kommt man auch nicht zu angemessenen Reaktionen. Ich denke, dass sehr schnell entschieden werden muss, mit welchen Sanktionen gegen Russland vorgegangen wird. Ich meine, dass es schon heute zu Reisebeschränkungen für diejenigen kommen muss, die hinter der Aggression stecken. Wir sollten auch Konten einfrieren. Und der Westen, die EU, muss insgesamt bereit sein, auch große Energieprojekte – die Pipelines – in Frage zu stellen.
Radio Bremen: Ist Europa nicht ein zahnloser Tiger? Europa ist doch abhängig vom russischen Gas.
Rebecca Harms: So viel Gas wie in unsere Richtung fließt – soviel Devisen fließen in Richtung Russland. Russland ist genauso abhängig von diesem Geld wie wir von Russlands Gas.
Das Gespräch führte Tom Grote.