Rebecca Harms

Mitglied des Europäischen Parlaments in der Grünen/EFA Fraktion 2004-2019

#ukraine    27 | 11 | 2014

Harms im Haz-Interview: „Moskaus Propaganda verfängt leider auch im Westen“

Frau Harms, Europa ist nervös. Ist dem russischen Präsidenten noch zu trauen?

Es herrscht Krieg im Osten der Ukraine: Ohne die inzwischen offenkundige Unterstützung durch Russland gäbe es diesen Krieg nicht. Das macht schon Angst. Dass man nicht mehr weiß, ob das Verhandlungsergebnis zum Waffenstillstand mit Russland, ob das Wort Wladimir Putins noch gilt, vergrößert die Unsicherheit. In der EU gilt: Wir müssen uns dieser Herausforderung durch Russland geschlossen stellen.

Das klingt, als stimme das Wort vom neuen Kalten Krieg.

Nein, das ist Propaganda und nicht Wirklichkeit. Es ist falsch, die deutsche Kanzlerin und den russischen Präsidenten als zwei Kalte Krieger gegenüberzustellen, wie es der „Spiegel“ gerade tut. Ich weiß aus Brüssel und Washington: Es ist noch nie so viel geredet und so viel verhandelt worden wie jetzt, auf allen Ebenen. Alle bemühen sich, ein Ende des Krieges in der Ukraine zu erreichen. Die Position der EU war von Anfang an, dass es keine militärische Lösung gibt. Genau diese Option aber hing stets über dem Kalten Krieg. Darauf, dass Moskau auf eine militärische Lösung setzt, reagiert der Westen mit Wirtschaftssanktionen und Gesprächsoffensiven.

Will Putin seine Möglichkeiten zur Erweiterung seines Machtbereichs testen?

Auch in Russland meinen viele, dass die Annektierung der Krim und die Destabilisierung der Ukraine am meisten der Absicherung des Systems Putin im Land selbst dienen. Gleichzeitig macht die russische Führung sehr massiv und sehr erfolgreich Propaganda – und die verfängt leider auch im Westen.

Bei wem?

Die alten und neuen Rechten, aber auch einige Linke in ganz Europa sind offen begeistert von Putin. Sie schätzen den autoritären Führungsstil, den scharfen Antiamerikanismus. Seine nationalistischen Ideen passen den Antieuropäern von links und rechts außen. Auch der hemdsärmelige Umgang mit Homosexuellen hat viele Anhänger unter Europas Populisten. Aber die russische Begründung für das, was in der Ukraine passiert, wird eben nicht nur von Rechten unterstützt. Der Versuch der russischen Führung, einen Keil zwischen die Europäer zu treiben, darf keinen Erfolg haben. Mir macht Angst, dass Präsident Putins Angebot einer deutsch-russischen Entente auf offene Ohren stößt.

Wo sehen Sie das?

Die deutsche Öffentlichkeit übernimmt plötzlich Putins Argumentation. Da wird darüber debattiert, ob wir Europäer in der Ukraine „werteimperialistisch“ vorgehen. Es macht mich traurig, dass ausgerechnet in Deutschland 25 Jahre nach dem Fall der Mauer so viele glauben, die EU würde die Ukrainer zwingen, sich für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu entscheiden. Die Ukrainer haben sich immer wieder freiwillig dafür entschieden und wurden deshalb in einen Krieg gezogen, den sie nie führen wollten.

Hat ein Mann wie der Sozialdemokrat Matthias Platzeck nicht einen Punkt, wenn er sagt, um des Friedens willen müsse der Klügere auch mal nachgeben?

Ich bin fassungslos über diesen Mangel an Respekt gegenüber den Osteuropäern und diese Geschichtsvergessenheit. Der Mann versteht vielleicht Putin, aber ihm geht jedes Gefühl für Osteuropa ab. Da zeigt sich dieser Wunsch nach deutsch-russischem Einvernehmen, vor dem sich unsere Nachbarn im Osten fürchten. Deutschland, heute das mächtigste und wieder beliebte Land in Europa, muss seine Stärke mit allen und für alle in der EU einsetzen. Angela Merkel und Frank Steinmeier können nur einig und europäisch stabilisierend wirken.

Das Interview führte Susanne Iden und erschien am 27.11.2014 in der HAZ auf Seite 3.


#ukraine   #russland   #sanktionen   #demokratie