Während ich am Flughafen in Wien sitze und auf den Flug nach Chisinau
warte, will ich mit diesem Blog eine Woche zurückspringen in der Zeit,
aber kaum im Raum. Vor einer Woche war ich in Kiew. Der Anlass für
diesen Besuch in meiner Lieblingsmetropole Osteuropas war der Eurovision
Song Contest. Und es wäre irreführend zu behaupten, ich wäre allein
wegen der Musik gereist.
Ich bin gereist, weil ich das tun wollte, was die EBU (European Broadcaster Union) ablehnt, oder was manche Mitglieder des Vorstandes für schädlich halten: Ich wollte den ESC politisch ausnutzen und die politische Botschaft der Gewinnerin von 2016 wieder aufgreifen.
Das Lied der ukrainischen Sängerin Djamala handelt von der Deportation der Krimtataren von der Halbinsel im Mai 1944 und dem Terror und der Verfolgung Stalins, denen die Tataren wie viele andere ausgesetzt waren. Djamalas Lied "1944" handelt von dieser Vertreibung. Es ist ein gutes Lied. Es ist auch ein wichtiges Lied, denn es erinnert an die furchtbaren Gräuel Stalins, von denen gerade Westeuropäer bis heute zu wenig oder gar nichts wissen. Es erinnert an diese dunkle Zeit für die Tataren in einer Zeit, in der die Tataren erneut aus ihrer wiedergewonnenen Heimat auf der Krim fliehen müssen.
Anders als die EBU finde ich es gut, wenn eine große europäische Veranstaltung wie der Songcontest vor den Entwicklungen auf dem Kontinent und in der Welt nicht die Augen verschließt. Das dachte ich schon, als Ruslana 2004 für die Ukraine unmittelbar nach der Orangenen Revolution gewonnen hat. Das dachte ich, als Conchita Wurst den Pokal für Österreich und die globale schwul-lesbische Community holte. Und ich nicht ESC-Junkie freute mich letztes Jahr riesig mit Djamala über ihren Erfolg für ihre Leute auf der Krim und für ihr Land, die Ukraine. Auch jetzt war es toll, am Abend vor den ESC Finals das große Djamala Konzert im Kiewer Sportstadium zu erleben. Nicht nur die Tataren, sondern alle Ukrainer himmeln sie an, für ihre Musik, für ihre Haltung, für ihren Einsatz.
Seit der Besetzung der ukrainischen Halbinsel Krim durch russische Truppen im Jahre 2014 werden die Krimtataren gezwungen, ihre politische Selbstverwaltung aufzugeben. Sie werden an der Religionsausübung gehindert, schon das Sprechen ihrer Sprache ist eine Auflehnung gegen die Russifizierung und Militarisierung der Krim. Es wurden Ukrainer ermordet, die sich gegen die Annektierung aussprachen oder Proteste anführten. Menschen sind verschwunden oder wurden noch Russland verschleppt, wo ihnen als politische Gefangene des Kreml der Prozess gemacht wurde und wird.
Ich habe zusammen mit Mustafa Djemilev, dem Sprecher der Krimtataren, am Tag vor dem Eurovision Song Contest in einer > Pressekonferenz über die Lage auf der Krim gesprochen (Anschauen! Der Dokumentarfilm > "Mustafa" erzählt die Geschichte der Krimtataren entlang des Lebens von Mustafa Djemilev ). Wir haben mit der Organisation > Crimea SOS auch wieder versucht, auf die notwendig Verbesserung der Situation der vielen Binnenflüchtlinge zu drängen. Mehr als anderthalb Millionen Menschen sind vor dem Krieg und vor der Besetzung von der Krim und aus dem Donbas geflohen.
Noch zwei Sätze zum Song Contest und zur Musik: Die Halle war voll. Es war nicht meine Musik, aber für die Gäste aus aller Welt und die Ukrainer war es eine tolle Party. Ich war sofort für Salvador Sobral aus Portugal. Sein Lied so ohne Blitz und Feuer und Hintergrundkrawall. Weniger ist mehr. Sage ich als Grüne ja schon immer. Irre, dass er sein Refugees Welcome T-Shirt nicht tragen konnte.
Nun ja. Die EBU und die Politik. Es hieß, die Ukraine und Russland sollten nun für mehrere Jahre gesperrt werden. Ziemlich idiotisch, die ESC Regeln über die Gesetze eines Gastgeberlandes zu stellen. Ich kann mich nicht erinnern, dass beim ESC in Russland oder in Azerbaijan irgendjemand bei der EBU auf die Idee gekommen wäre, die systematischen und schweren Menschenrechtsverletzungen zu thematisieren.
Wichtig war am Eurovisions-Wochenende noch mein Treffen mit dem Chef der Nationalen Polizei der Ukraine. Andrii Kryshchenko ist bekannt als der mutige Mann mit der Fahne, der Held von Horlivka, der 2014 in einer mutigen Aktion gegen sogenannte Separatisten auf dem Dach des Rathauses seiner Stadt im Donbas die ukrainische Flagge hisste. Ich traf ihn jetzt um die Kyiv Pride zu besprechen, die im Juni wieder stattfinden wird. Kryshchenko sicherte mir zu, dass die Polizei wie im letzten Jahr die Bürgerrechte und die Demonstrationsfreiheit sichern werde. Ich werde wieder dort sein und freue mich über alle, die aus Europa und der Welt zur Unterstützung nach Kiew kommen werden.
Weiter ging in Kiew auch die Auseinandersetzung um die Reformen gegen die Korruption in der Ukraine. Ich arbeite eng zusammen mit Abgeordneten der Rada, mit Experten aus der Zivilgesellschaft und mit den Zuständigen in der Regierung und in der Präsidialverwaltung. Wir diskutieren und streiten um die Gesetze, mit denen die Unabhängigkeit des Nationalen Anti-Korruptionsbüros (NABU) und die Transparenz einflussreicher Politiker und Beamter gewährleistet werden. Wichtige Erfolge des Kampfes gegen Korruption sind das Gesetz für e-declarations und für das NABU. Je mehr große Fische vom NABU gefasst werden und je mehr Fälle NABU untersucht, desto härter wird der Kampf. Gut ist, dass in Brüssel im Parlament, in der Kommission und im Rat in dieser Auseinandersetzung alle an einem Strang ziehen. Vor kurzem habe ich Donald Tusk und die wichtigsten Leute der ukrainischen Antikorruptionsinitiativen zusammengebracht. Der Weg aus der Korruption ist der Weg der Ukraine in eine bessere Zukunft. Putin ist die Bedrohung von außen, die Korruption ist die Bedrohung von innen. Die allermeisten Bürger der Ukraine erwarten unsere Unterstützung gegen Putin, sondern auch beim Aufbau von Rechtsstaatlichkeit.
Die Visafreiheit für die Ukrainer wurde überall im Land gefeiert. Es war schön nicht nur zum Eurovision Song Contest sondern auch zum Europatag in Kiew zu sein und die Freude über diese lange überfällige Entscheidung zu erleben bevor dann ein paar Tage später in Straßburg das Abkommen unterzeichnet wurde.
Neues aus den Ländern Osteuropas dann im nächsten Blog nach meiner Rückkehr aus Chisinau und den Sitzungen der EP-Republik Moldau Delegation und des Vorstandes von Euronest.