Rebecca Harms

Mitglied des Europäischen Parlaments in der Grünen/EFA Fraktion 2004-2019

#atom    21 | 09 | 2017
Blog

Die Atomenergie ist am Ende, es lebe die Atomenergie?

Die großen Atomkonzerne sind pleite, neue AKW sind nicht konkurrenzfähig gegenüber Strom aus Wind und Sonne: Der WNISR 2017 dokumentiert den internationalen Abgesang der Atomindustrie. Doch damit sind die Probleme noch lange nicht gelöst...

In der vergangenen Woche war ich zweimal bei der Vorstellung des „World Nuclear Industry Status Report 2017“ (WNISR) dabei: In Paris wurde der Statusbericht zur Atomwirtschaft von einem Teil des Autorenteams vor viel Presse vorgestellt. Neben mir saß auch noch Arnaud Delebarre, Professor an der Technischen Universität von Paris (Ecole des Mines de Paris) auf dem Panel, um die Bedeutung des Berichts hervorzuheben.

Die Universität für Politikwissenschaften Sciences Po richtete anschließend sowohl eine Diskussion mit der Atomindustrie zum Bericht als auch eine öffentliche Veranstaltung aus, an der viele Studierende und das Pariser Fachpublikum teilnahmen. In Paris war das Interesse an den Ergebnissen des Berichts groß. Es ist auch relevant wie nie für Frankreich. Die Regierung hält an den Plänen fest, den Anteil Atomstrom zu reduzieren. Konkrete Maßnahmen zur Umsetzung des Plans fehlen. Gleichzeitig mangelt es dem strauchelnden Konzern EDF an Geld für notwendige Sicherheitsupdates an den alten Reaktoren vorzunehmen, falls Laufzeitverlängerung beschlossen werden sollten.

Im wendländischen Trebel ein paar Tage später stellte mein Freund, Mitstreiter und Hauptautor Mycle Schneider den Bericht dem heimatlichen Fachpublikum – der "Bewegung" vor.

Die Geschichte des WNISR Reports begann als Projekt, das den lautstarken Prophezeiungen über den bevorstehenden globalen Boom der Atomenergie etwas entgegensetzen sollte. Seit 2004 - seit der zweiten Ausgabe des Berichts - unterstütze ich gemeinsam mit meiner Fraktion im Europaparlament diesen Statusbericht. Seither wird im WNISR der weltweite Niedergang der Atomindustrie mit Statistiken und Indikatoren untermauert und der rasanten Entwicklung der Erneuerbaren Energien gegenübergestellt. Der Bericht handelt also von unseren Erfolgen, zeigt aber auch die Herausforderungen auf, die noch vor uns liegen.

Laut der Analyse des Atomexperten Mycle Schneider zeigt sich in 2017 mehr als deutlich, dass die Atomindustrie nicht nur in Deutschland, sondern weltweit abgehängt ist:

Ohne die Anstrengungen Chinas würde der Anteil der Atomenergie weltweit schrumpfen. Und selbst in China ging die Zahl der jährlich in Betrieb gehenden neuen AKW in den vergangenen Jahren zurück, bis auf einen in diesem Jahr. Gut möglich, dass auch in China der Ausbau der Atomenergie also bereits schon wieder vorbei ist. Das Land ist jedenfalls Spitzenreiter bei den Investitionen in erneuerbare Energien – vor den USA, Großbritannien und Japan. Erst dann folgt Deutschland.

Von den über 400 Reaktoren, die weltweit nach offizieller IAEA Statistik eigentlich am Netz sein sollten, produzieren viele seit 18 Monaten keinen Strom mehr. Große westliche Atomkonzerne sind in den vergangenen Jahren bankrottgegangen oder werden mit Staatsbeihilfen am Leben gehalten. Atomneubauten sind nur mit massiven Subventionen zu realisieren und kranken dennoch an Verzögerungen und damit verbundenen extremen Kostenüberschreitungen.

Dass neue AKW nicht konkurrenzfähig sind gegenüber Strom aus Wind und Sonne, daran gibt es also gar keinen Zweifel. Und trotzdem planen Großbritannien und Ungarn Neubauten, Polen denkt sogar über einen Einstieg nach. Warum diese Länder entgegen des weltweiten Trends und jeglicher wirtschaftlicher Überlegungen das Risiko und die enormen Kosten auf sich nehmen, hat das Publikum in Trebel sehr beschäftigt. Und Mycle blieb ihm einfache Antworten schuldig. Denn auch das militärische Argument greift in seinen Augen nicht – so hat Großbritannien bereits mehr als genug Plutonium.

Obwohl die Atomkraft am Ende ist, ist sie also noch lange nicht tot. Umso mehr muss es jetzt darum gehen, die Sicherheit der noch laufenden und immer älter werdenden Atomkraftwerke im Auge zu behalten und technische Nachrüstungen einzufordern. Auch muss die fehlende Exitstrategie der Länder, die Atomenergie nutzen, thematisiert werden. Wenn Länder, die heute noch überlegen, in die Risikotechnologie einzusteigen, nicht nur sehen, was es kostet, die Reaktoren zu bauen, sondern auch Klarheit darüber bekommen, was am Ende deren Rückbau und die Atommüllentsorgung kosten, dann müsste für Polen eigentlich klar sein, dass ein Einstieg in die Atomkraft ein Irrweg ist. Ähnlich dem WNISR möchte ich daher einen Statusbericht für Atommüll initiieren, der die Abfallmengen der Länder kategorisiert und bilanziert sowie Entsorgungsstrategien und deren finanzielle Lücken aufzeigt.

Eine weitere Herausforderung bleibt, die Sonderstellung der Atomenergie in der EU endlich zu beenden. Österreich und Luxemburg klagen am Europäischen Gerichtshof gegen das britische Vergütungskonzept für Hinkley Point C, aber mit zweifelhafter Aussicht auf Erfolg. Denn bislang ermöglicht der Euratomvertrag der Atomenergie Subventionen, die für andere Technologien ausgeschlossen sind. Von einheitlichem Wettbewerb auf dem europäischen Energiemarkt kann keine Rede sein. Wir fordern deshalb eine Überarbeitung des Vertrags.
 


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