Die Zukunft ist von gestern
Stand 9.12.2011
Nächste Woche stellt Energiekommissar Günther Oettinger seinen Fahrplan für den Energiesektor bis zum Jahr 2050 vor und setzt damit Schwerpunkte für zukünftige Gesetzesinitiativen in diesem Bereich. Mit diesem Energiefahrplan 2050 beweist der deutsche EU-Kommissar erneut, dass er ein Freund der großen Energieerzeuger und des alten Energiemixes ist. Sein Fahrplan ist geprägt von Skeptizismus gegenüber Erneuerbaren Energien, während er die Möglichkeiten der konventionellen Energien übermäßig optimistisch betrachtet.
Nichts gelernt aus Fukushima
Trotz der katastrophalen Folgen des Reaktorunglücks in Japan in diesem Frühjahr, fehlen im Energiefahrplan von Kommissar Oettinger jegliche kritischen Aussagen zur Nutzung der Atomenergie. Risiken der Atomnutzung bleiben vollständig unerwähnt. Stattdessen werden positive Annahmen zu den Preiseffekten der Atomenergie herbeigeredet, die sich kaum realistisch belegen lassen.
Mit seiner Atomeuphorie ignoriert Kommissar Oettinger nicht nur die Entscheidung der Regierungen von Deutschland und Belgien aus dieser Hochrisikotechnologie auszusteigen. Er missachtet auch den Mehrheitswillen der europäischen Bevölkerung. Geradezu zynisch ist, dass Atomkraft und CCS (Carbon Capture and Storage) bei der Betrachtung von Akzeptanzproblemen in der Bevölkerung mit Erneuerbaren Energien gleich gesetzt werden. Dabei haben etliche Umfragen gezeigt, dass die europäische Bevölkerung dem Ausbau Erneuerbarer Energien positiv gegenübersteht.
Szenarien zurechtgebogen
Die Aussage im Energiefahrplan, dass Atomenergie in den verschiedenen Dekarbonisierungsszenarien eine kostensenkende Wirkung haben würde, wird durch die vorgelegten Zahlen kaum belegt. Noch dazu beruhen diese Zahlen auf recht abenteuerlichen Annahmen. In allen Szenarien werden sehr optimistische Annahmen zur Kostenentwicklung und Ausbaurate sowohl von Atomenergie als auch für CCS zugrunde gelegt. Schon fast routinemäßig werden die Kosten für die Entsorgung von Atommüll und den Rückbau von Reaktoren ignoriert. Eine angemessene Haftpflicht für AKWs wird erst gar nicht in Erwägung gezogen.
Auf der anderen Seite werden die Probleme der Integration von Erneuerbaren Energien in den Strommix überbewertet und zur Kostenentwicklung für die Erzeugung der Erneuerbaren Energien sehr pessimistische Annahmen getroffen.
Kostenentwicklung (learning curve)
Obwohl der Bau neuer Atomreaktoren in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich teurer geworden ist, wird ein Kostenrückgang für den Neubau von Reaktoren angenommen. Nach den Erfahrungen von Fukushima und den damit verbundenen neuen Anforderungen an die Sicherheit von Atomreaktoren sollte man aber ganz im Gegenteil von einer noch deutlicheren Kostensteigerung für den Bau von Atomreaktoren ausgehen. Im Gegensatz dazu werden für den Ausbau der Erneuerbaren Energien grundsätzlich zu hohe Kosten angesetzt und der Kostenrückgang in der Zukunft für die meisten Technologien unterschätzt.
Ausbaurate
Auch die Ausbauraten für die Atomenergie sind in den meisten Szenarien geradezu abenteuerlich, wenn man sich die Ausbauraten der vergangenen Jahrzehnte anschaut. Selbst im Szenario mit dem höchsten Anteil Erneuerbarer Energien sollen bis 2040 mehr als 40 neue Atomreaktoren (54 GW) ans Netz gehen. Wo und wie diese Projekte realisiert werden sollen, bleibt unklar. Dagegen geht man im Erneuerbarenbereich davon aus, dass ein Großteil der Investitionen erst nach 2030 getätigt wird. Das verlangsamt den Ausbau und treibt die errechneten Kosten in die Höhe, da durch verzögerte Investitionen auch die Kostensenkungen für diese Technologien erst später eintreten.
Infrastrukturkosten
Die Kosten für neue Infrastruktur werden hauptsächlich mit dem Ausbau der Erneuerbaren Energien begründet. Dabei wird ignoriert, dass Investitionen in die Netzinfrastruktur in allen Szenarien notwendig sein werden, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten und den europäischen Energiemarkt besser zu integrieren. Auch werden die Kosten für andere Energieinfrastrukturprojekte wie Gasleitungen oder CO2-Leitungen für CCS-Projekte im Gegensatz zur Stromnetzinfrastruktur nicht in die Szenarienrechnungen mit einbezogen.
Erneuerbar und effizient? Nicht mit Oettinger!
Das plausibelste Szenario, in dem ein hoher Anteil Erneuerbarer Energien mit ehrgeizigen Effizienzverbesserungen kombiniert wird, wird in dem Fahrplan überhaupt nicht durchgerechnet. Dabei hat die EU bei der Festlegung ihrer 2020-Ziele genau diese Strategie verfolgt. Ein solches Szenario würde zeigen, dass eine nachhaltige Energiezukunft auch zu moderaten Kosten für den Verbraucher möglich ist. Den Neubau von Kohle- und Atomkraftwerken würde eine solche Strategie überflüssig machen. Kein Wunder, dass Atomfan Oettinger solche Szenarien lieber unter den Tisch kehren möchte.
Welche Ziele für 2030?
Hinter den Kulissen brodelt schon seit einiger Zeit die Debatte um eine Fortführung der Ziele für Erneuerbare Energien, CO2-Minderung und Energieeinsparung über das Jahr 2020 hinaus. Der Widerstand gegen eine weitere Zielsetzung für 2030 ist gerade bei den europäischen Energieriesen enorm. Um das Gesamtziel von 20% für Erneuerbare Energien bis 2020 zu erreichen, wird man im Stromsektor einen Anteil von etwa 35% erreichen müssen. 2030 würden Erneuerbare Energien dann einen Anteil von 55-65% am Strommix ausmachen. Damit würde es bereits 2030 eng für Kohle und Atom auf dem europäischen Strommarkt. Auch die Gaslobby verspricht sich mittlerweile nicht mehr allzu viel von ehrgeizigen Zielen für 2030. Zwar wäre der Bedarf an Gas in der Stromerzeugung mittelfristig erhöht, dafür wird bei einer ehrgeizigen Effizienzpolitik aber der Gasbedarf im Wärmesektor abnehmen. Einen erhöhten Bedarf an Gas wird es deshalb nicht geben. Im „Vision-Szenario", das die Grüne/EFA Fraktion Anfang des Jahres vorstellte, geht das ÖkoInstitut bereits ab 2020 von einem rückläufigen Gasverbrauch aus. Deshalb hat sich nun auch ein Teil der Gaslobby auf die Seite der großen Stromerzeuger geschlagen und macht gegen ein Ausbauziel für Erneuerbare in 2030 mobil.
Aufbruch in eine saubere Energiezukunft jetzt!
Anstatt der Atomindustrie zur Renaissance verhelfen zu wollen, von der die Atomlobby schon so lange träumt, muss Kommissar Oettinger endlich die Zeichen der Zeit erkennen. Für eine nachhaltige, saubere und sichere Energiezukunft, müssen wir auf den zügigen Ausbau Erneuerbarer Energien setzen. Außerdem muss Energie in Zukunft sparsamer und effizienter genutzt werden. Dafür muss sich die EU auch über das Jahr 2020 hinaus ehrgeizige Ziele für den Ausbau Erneuerbarer Energien setzen. Faule Rechenspiele zugunsten der Energietechnologien von gestern bringen uns nicht weiter.