Es klingt verlockend: 400 000 Arbeitsplätze. Steigerung der Wirtschaftsleistung in der EU um 0,75 Prozent – ein Wahnsinn in Krisenzeiten. Die EU-Kommission und der deutsche Wirtschaftsminister Philipp Rösler überschlagen sich, wenn es um die angeblichen Vorteile eines Freihandelsabkommens zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika geht. Als „historische Chance“ hat Rösler einen solchen Vertrag kürzlich gar bezeichnet. Die zwei größten Wirtschaftsräume der Welt wachsen zusammen ohne Barrieren.
Aber wollen wir das überhaupt? Und: Braucht unsere Wirtschaft ein solches Abkommen wirklich?
Wir Grüne bezweifeln das. Schon jetzt ist das Handelsvolumen zwischen der EU und den USA gewaltig: 2011 gingen Waren im Wert von 382 Milliarden Dollar von den USA nach Europa. In die Gegenrichtung waren es sogar 480 Milliarden. Diesem Handel schaden offenbar die Grenzen, die es noch gibt, nicht. Und ob so viel mehr möglich ist? Ich habe meine Zweifel. Wer will denn hierzulande US-amerikanische Autos fahren oder Chlorhühnchen essen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Absatzmarkt tatsächlich so viel mehr hergibt als zurzeit sowieso schon gehandelt wird.
Das Europäische Parlament hat bei den Verhandlungen kein direktes Mitspracherecht. Allerdings kann das Abkommen am Ende nur in Kraft treten, wenn die Mehrheit der Abgeordneten zustimmt. Diese Verantwortung müssen alle Fraktionen erst nehmen – und zwar von Anfang an.
Immerhin gab es bei der letzten Plenarsitzung in Straßburg einen Kompromiss mit Forderungen für das Verhandlungsmandat: Der Bereich Kultur soll komplett aus den Verhandlungen ausgeklammert werden, forderte das EU-Parlament. Dazu gehören die Filmindustrie, audiovisuelle Medien und der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Damit soll verhindert werden, dass der europäische Markt mit amerikanischen Fernsehsendungen überschwemmt wird. Außerdem sollen die Standards beim Datenschutz gewahrt bleiben. Darauf konnten wir uns fraktionsübergreifend einigen.
Es muss aber noch viel weiter gehen: Wir Europäer wollen weder gentechnisch veränderte Lebensmittel noch geklonte Tiere auf unseren Tellern, die dann aus den USA importiert werden könnten. Wir wollen die höheren Standards in der europäischen Landwirtschaft weiterhin schützen und sie nicht der Billigkonkurrenz aus den USA ausliefern. Dafür treten wir Grüne ein.
Wir wünschen uns den Grundsatz: Standards dürfen angeglichen werden – allerdings immer an den jeweils höheren. Dann können wir uns auf ein solches Abkommen einlassen.
Eines allerdings ist klar: Sollten die Verhandlungen tatsächlich noch in diesem Sommer starten: Sie müssen es unter den Augen der Öffentlichkeit tun. Es darf nicht sein, dass die Diskussionen hinter verschlossenen Türen laufen und dem Europäischen Parlament sowie den nationalen Parlamenten jede Kontrollmöglichkeit entzogen wird. Die US-Amerikaner haben es bei ihrem Freihandelsabkommen mit Kanada Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre vorgemacht: Bei den Verhandlungen zu „NAFTA“ herrschte Transparenz.
Zumindest diesen Grundsatz sollten Europäer und Amerikaner auch dieses Mal einhalten.
Und die Politiker in Brüssel und den EU-Hauptstädten sollten eines nicht vergessen: Freihandelsabkommen können nie nachhaltige und vernünftige Wirtschafts- und Finanzpolitik zu Hause ersetzen. Statt also auf die angeblichen Wundereffekte eines solchen Abkommens zu hoffen, täten sie besser daran, endlich an einem zukunftsfähigen Weg aus der Krise für die Europäische Union zu arbeiten.
Zu Orientierung sei ein Hintergrundpapier aus unserer grünen Landwirtschaftsabteilung zu empfehlen.