Rebecca Harms

Mitglied des Europäischen Parlaments in der Grünen/EFA Fraktion 2004-2019

#eugipfel    25 | 03 | 2013

Newsletter 03/13


Liebe Freundinnen und Freunde,

nach einem Verhandlungsmarathon sei die schwierige Kiste der Rettung von Zypern gestern Nacht in Brüssel in letzter Sekunde geglückt, lautet die Botschaft heute Morgen im Frühstücksfernsehen des ZDF. Die Details sind noch nicht klar. Der größte Fehler des ersten Anlaufes voriger Woche wurde korrigiert: Die Spareinlagen unter Hunderttausend Euro werden doch nicht belastet. Wie die Lasten bei höheren Guthaben und bei Bondholdern verteilt werden, ist noch unklar. Die Schrumpfung des zyprischen Bankensektors ist verabredet, doch weitergehende Schritte zur Beendigung von Steuerflucht und zur Schließung der Steueroase sind erforderlich. Hier müssen sich alle Europäischen Regierungen auf eine gemeinsame Gesetzgebung einigen. Denn für diese Probleme ist nicht nur Zypern verantwortlich. Die Bundesregierung sollte aktiv die Reform der Mutter-Tocher-Richtlinie sowie der Besteuerung grenzüberschreitender Zahlungen von Zinsen und Lizenzgebühren in der EU vorantreiben, um die Schlupflöcher zu schließen, die große Unternehmen zur Steuerminimierung zu nutzen.

Der letzte Gipfel in Brüssel vor einer guten Woche war eine Niete. Durch eine verantwortungslose Reaktion auf die Lage in Zypern rutschte über Nacht der Euro zurück in die akute Krise. Die Zweifel an der Vernunft des Europäischen Rates sind berechtigt - nicht allein wegen der Fehler zu Zypern. Der Frühjahrsgipfel der EU diente in früheren Jahren für Vereinbarungen zu den gemeinsamen Zielen zur wirtschaftlichen Entwicklung und großen Herausforderungen wie Klimaschutz und Energiesicherheit. In diesem Jahr wurde die Chance zu Verabredungen zur gemeinsamen Bekämpfung der Rezession und der wachsenden Arbeitslosigkeit vergeben. Die EU könnte gerade für eine nachhaltige Erholung durch vorausschauende Zielsetzungen und Förderung von Klimaschutz und Energiewende dazu beitragen. Aber Vernunft war während des Gipfels nicht gefragt.

Unvernünftig sind auch die Ergebnisse der letzten Abstimmungen zur Agrarreform. An denen lässt sich gut ablesen, dass weiterhin nur eine Minderheit der Entscheider in Brüssel aber auch in den Mitgliedstaaten verstanden hat, dass die Beachtung ökologischer Grenzen die Grundlage für erfolgreiche und durchhaltbare Landwirtschaft ist. Die Abstimmungen bei uns im Parlament sind zugunsten der großen Landbesitzer ausgegangen. Der Druck auf bäuerliche Betriebe wird durch diese Reform weiter zunehmen, das Prinzip wachsen oder weichen sich verschärfen. Nicht nur bei Fleisch sind die Hebel in die Richtung agrarindustrieller Produktion gelegt. Die Entscheidungen zur Milch lassen befürchten, dass noch leistungsstärkere Kühe in größten Beständen deutsche Milch für den Weltmarkt liefern sollen. Ökologische Auflagen für die Direktzahlungen sind ins Benehmen der Länder gestellt. Auch für die Bauern der Entwicklungsländer sind die Entscheidungen des Europaparlaments und der Landwirtschaftsminister eine Bedrohung. In Brüssel beginnt jetzt die letzte Runde der Verhandlungen.

Weitere europäische Themen der letzten Wochen finden sich im Newsletter.

Aus Berlin kam gestern dann die Nachricht zu einem neuen Kompromiss für den Versuch des Neubeginns der Endlagersuche. Ja, die Stefanos aus Niedersachsen haben nachgegeben. Es ist ihnen angesichts der Mehrheitsverhältnisse nicht geglückt, den Endlagerstandort Gorleben jetzt zu kippen. Und das Endlagersuchgesetz ist trotz einiger angekündigter Änderungen nicht das, was ich für richtig halte. Das schmeckt bitter gerade aus der wendländischen Perspektive. Aber es ist den Niedersachsen geglückt, das Thema Endlagersuche aus den Hinterzimmern der Politik herauszuholen. Die Enquetekommission bietet die Chance, die Fragen, Probleme und Herausforderungen der Jahrhundertaufgabe mit der angemessenen Sorgfalt und in der notwendigen Öffentlichkeit zu diskutieren. Danach muss das Gesetz überprüft werden. Wenn die Kommission gut arbeitet, können die Ergebnisse auch nicht einfach vom Tisch gefegt werden. Ich bin ja seit langem davon überzeugt, dass nur eine breite gesellschaftliche Klärung den Weg ebnen kann für ein verantwortbares Vorgehen und den Versuch, die beste Lösung für die Atommülllagerung zu finden. Ob das gelingt, kann jetzt keiner versprechen. Aber dazu beitragen können wir. Auch zu Gorleben können die kritischen Themen aufgerollt werden. Bis 2015 soll die plural besetzte Kommission arbeiten. Einige Kommentare unterstellen jetzt schon wieder Verzögerungstaktik. Den meisten Bürgern und Journalisten und selbst Politikern ist nicht klar, dass mit dem Beginn der Endlagerung in Deutschland - das gilt nach meiner Kenntnis auch für alle anderen EU-Staaten - nicht vor 2060 bis 2080 zu rechnen ist. Aus den Forschungslaboren unter Tage in der Schweiz und in Schweden hieß es in einem Workshop bei mir in Brüssel vor einigen Wochen: je länger wir forschen desto mehr Fragen haben wir. Das einmütige Plädoyer der Wissenschaftler mir gegenüber war, dass man sich die Zeit nehmen muss, die gebraucht wird, alle diese Fragen vernünftig zu beantworten. Alles andere sei unverantwortlich gemessen an den Risiken. Die Asse sei Warnung genug.

Eure Rebecca

PS: Diese Woche ist die erste Ausgabe der Europäischen Schriften erschienen, die zukünftig als Reihe der Europagruppe GRÜNE herausgegeben wird. Jede Ausgabe der Europäischen Schriften widmet sich einem aktuellen europapolitischen Thema, diese der europäischen Jugendpolitik.

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1. Zypern-Hilfe
Der Beschluss der Eurogruppe, auch zyprische Kleinsparer am Hilfsprogramm für ihr Land zu beteiligen, könnte unabsehbare Konsequenzen nicht nur in Zypern, sondern in allen EU-Ländern haben. Wir Grüne forderten den Rat auf, diese Fehlentscheidung zu korrigieren. Entsprechend der europaweit geltenden Einlagensicherung sollten auch die Guthaben der zypriotischen Sparer unter 100.000 Euro nicht belastet werden.

Schäuble nimmt's mit der Wahrheit nicht so genau - Hilfspaket muss rasch korrigiert werden (Pressemitteilung von Rebecca Harms und Dany Cohn-Bendit vom 18.03.2013)
Berlin trieb Beteiligung der Sparer voran (FR-online vom 19.03.2013)

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2. Belgische Risiko-Reaktoren
Ende Januar forderte die belgische Atomaufsichtsbehörde (FANC) den Betreiber der Reaktoren Doel 3 und Tihange 2 auf, weitere Tests durchzuführen, bevor über das Wiederanfahren der Reaktoren entschieden werden kann. Die Materialexpertin Dr. Ilse Tweer untersuchte für die Grüne/EFA Fraktion die mögliche Aussagekraft dieser zusätzlichen Tests. Sie kam zu dem Schluss: Das Wiederanfahren der beiden Reaktoren, in denen Tausende von Rissen entdeckt wurden, wäre unverantwortlich. Doel 3 und Tihange 2 verdeutlichen auch die Schwächen des europäischen Stresstests: Die Gefahren, die wie in den belgischen Reaktoren durch Materialmängel oder -alterung drohen, blieben unberücksichtigt.

Belgische Risiko-Reaktoren: Sicherheitsbedenken weiter nicht ausgeräumt - Wiederanfahren zu riskant (Pressemitteilung von Rebecca Harms vom 19.03.2013)
Folge-Studie von Dr. Ilse Tweer (Download)
Die Grüne/EFA-Fraktion lancierte am 19. März eine neue Seite zur Bewertung der EU Stresstests für Atomkraftwerke: http://www.nuclear-stress-tests.eu/

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3. AKW-Stresstests
Vergangenen Dienstag stimmte das Europaparlament über eine Resolution zu den europäischen Stresstests für Atomkraftwerke ab. Zwar erkannte die Mehrheit der Abgeordneten, dass die eingeschränkten Tests die Sicherheit von Atomreaktoren nicht garantieren können, doch vor einer klaren Benennung der Mängel schreckte die konservativ-liberale Mehrheit des Parlaments zurück. Sie verdeutlichte mit ihrem Abstimmungsverhalten, dass sie die Lehren aus der Fukushima Katastrophe nicht ziehen will und so schnell wie möglich zur alten Atompolitik zurückkehren möchte.

Stresstest nicht geeignet um Risiken zu verringern (Pressemitteilung von Rebecca Harms vom 14.03.2013)
Die Grüne/EFA-Fraktion lancierte am 19. März eine neue Seite zur Bewertung der EU Stresstests für Atomkraftwerke: http://www.nuclear-stress-tests.eu/

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4. Mehrjähriger Finanzrahmen
Mit einer breiten Mehrheit von 506 (gegen 161) Stimmen hat das Europäische Parlament vergangene Woche den Vorschlag des Europäischen Rates zum Mehrjährigen Finanzrahmen der Europäischen Union in seiner jetzigen Form abgelehnt. Zum ersten Mal in der Geschichte der EU soll der EU-Haushalt schrumpfen, obwohl gleichzeitig die Aufgaben der EU ausgeweitet werden. Wir Grüne stellen uns dagegen, dass Zukunftsinvestitionen gekürzt und überkommene nationale Interessen weiterhin großzügig bedient werden sollen.

Mehrjähriger Finanzrahmen: EU Parlament lehnt rückwärtsgewandten Haushalt ab (Pressemitteilung von Rebecca Harms und Helga Trüpel vom 13.03.2013)

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5. GAP-Reform
Das zentrale Gesetzespaket zur Reform der europäischen Landwirtschaftspolitik wird auch nach der Abstimmung im Straßburger Plenum den Grünen Forderungen nicht gerecht. Die Kappung der Direktzahlungen bei 300.000 ist viel zu hoch. Außerdem wird der Anbau von Monokulturen zukünftig leider weiter möglich sein. Die gesetzliche Grundlage für Umweltauflagen wurde sogar verschlechtert. Ein positives Element ist, dass nur Fruchtartendiversifizierung, Dauergrünland und Ökologische Vorrangflächen als "Greening" anerkannt werden. Die Grüne Forderung nach einem Ende der Exportsubventionen fand leider auch keine Mehrheit im Europaparlament.

Deutsche Unionspolitiker blockieren den Fortschritt (Pressemitteilung von Martin Häusling und Ska Keller vom 15.03.2013)
Verpasste Chance für eine grünere Agrarpolitik - Grüne MdEPs ziehen Bilanz (Video)

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6. Sicheres Trinkwasser
Das Europaparlament hat in der Straßburgwoche im Rahmen des Konsultationsprozesses einen Bericht zu EU-Regeln zur radioaktiven Belastung von Trinkwasser verabschiedet. Unsere Fraktion fordert eine Änderung der Rechtsgrundlage, um dem Parlament Mitentscheidungsrecht bei diesem wichtigen Gesundheitsthema zu geben. Das Parlament entscheidet bei allen anderen möglichen Quellen der Belastung von Trinkwasser mit. Es ist nicht nachvollziehbar, warum das bei dieser speziellen Art der Belastung anders sein sollte.

Abgeordnete fordern Mitsprache bei EU-Regeln zu Radioaktivität im Trinkwasser (Pressemitteilung von Rebecca Harms vom 12.03.2013)

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7. EU-Regeln zu Treibhausgasen
Das Europaparlament hat zwei wichtige Entscheidungen zur Kontrolle und den Berichtspflichten bezüglich der Treibhausgasemissionen getroffen. Wir Grüne begrüßen beide Entscheidungen grundsätzlich, obwohl wir bedauern, dass die Regeln für Emissionen durch Land- und Waldnutzung nicht ehrgeiziger sind.

Abgeordnete stärken Regeln zur Kontrolle der Treibhausgasemissionen (Pressemitteilung von Rebecca Harms vom 12.03.2013)

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8. Lebensmittelskandale in Europa
Skandale wie der Pferdefleischskandal, der Legehennen-Kennzeichnungsskandal oder der Futtermittelskandal sind nicht das alleinige Resultat krimineller Machenschaften. Sie zeigen auch die Systemfehler der industrialisierten Landwirtschaft und der durch sie praktizierten Massentierhaltung auf. Die Grünen fordern ein Umsteuern, bei dem regionale Produktionsstrukturen gestärkt werden und die Tierhaltung an das Vorhandensein eigener Futtermittel gekoppelt wird. Darüber hinaus fordern die Grünen eine Stärkung der regionalen und lokalen Verarbeitung und Vermarktung. Die Europafraktion setzt sich außerdem für eine bessere Kennzeichnung von Lebensmitteln ein, damit die Verbraucher besser beurteilen können, welche Lebensmittel sie kaufen.

Grüne Forderungen für die Reaktion auf Lebensmittelskandale auf EU-Ebene (Web-Artikel)

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9. Ungarische Verfassungsänderungen
Das ungarische Parlament hat am 11. März international kritisierte Verfassungsänderungen angenommen, mit der die Rolle des Verfassungsgerichtshofes und die Rechte von Minderheiten beschnitten werden. Die Grünen/EFA kritisieren die Abstimmung und unterstützen die Prüfung eines Artikel 7-Verfahrens gegen Ungarn. Die EU darf diese Art von Machtmissbrauch nicht dulden. Die Entscheidungen zu Ungarn sind wichtig auch für das weitere Vorgehen in Bulgarien und Rumänien.

Ungarische Verfassungsänderungen: Orbán bringt Ungarn weiter auf die schiefe Bahn (Pressemitteilung von Rebecca Harms und Ulrike Lunacek vom 11.03.2013)

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10. Plastikmüll
Am 7. März stellte Umweltkommissar Potocnik sein Grünbuch zu Plastikmüll vor. Ursprünglich sollte zeitgleich ein Vorschlag zur Reduzierung von Einwegplastiktüten vorgelegt werden, der aber verschoben wurde. Wir fordern die Kommission auf, diesem Gesetz Priorität zu geben und entsprechende Vorschläge noch vor dem Sommer vorzulegen. Die Vorschläge sollten eindeutige und ehrgeizige Reduktionsziele beinhalten und den EU-Mitgliedsstaaten, die ein generelles Verbot von Plastiktüten einführen wollen, dies explizit erlauben.

Plastikmüll: Plastikmüllstrategie der Kommission ohne Gesetzesvorschläge ist Augenwischerei (Pressemitteilung von Rebecca Harms vom 07.03.2013)
Ein Meer voller Müll - EU-Kommission will das Thema Plastikverpackungen angehen (Deutschlandfunk, 08.03.2013)

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11. Fukushima-Jahrestag
Am 11. März jährte sich der Tag, an dem Erdbeben, Tsunami und die atomare Katastrophe von Fukushima Japan und die Welt in Schrecken versetzte. Mit diesem Tag ist nicht nur in Japan der Glaube zerbrochen, dass die Folgen eines großen Atomunfalls kontrollierbar sind. Die Grüne/EFA Fraktion gedachte am 6. März mit Filmvorführung, einer Lesung und Diskussion den Opfern der Katastrophe.

Fukushima – die Katastrophe geht weiter (Blog-Artikel von Rebecca Harms)
When I think of Fukushima …(Videomitschnitt vom 06.03.2013)
Buch: Ein Tag in Fukushima - Eine Woche in Japan. Reisenotizen. (Infos)

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12. Einigung bei Endlagersuche
Vorerst wird es keine Transporte nach Gorleben geben. Damit ist zwar der Konflikt noch nicht gelöst. Der Einsatz einer Enquetekommission mit einem umfassenden Auftrag und breiter gesellschaftlicher Beteiligung bietet jedoch nach Jahrzehnten der Ignoranz die große Chance, sich in Deutschland über das Problem Atommüll und seine Lösung fundiert zu verständigen. Eine solche gesellschaftliche Verständigung ist der unverzichtbare Ausgangspunkt für ein verantwortbares Vorgehen.

Endlagersuche: Harms bewertet Kompromissvorschlag positiv (Pressemitteilung von Rebecca Harms vom 24.03.2013)
Harms nennt Gorleben-Kompromiss "große Chance" (Interview mit NDR Info, 25.03.2013)

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13. Termine
6. April: Straßburger Forum "Was bringt die deutsch-französische Beziehung?", Rebecca Harms im Gespräch mit der ehemaligen AREVA-Vorsitzenden. Straßburg.
9./10. April: HBS-Konferenz "Energiewende europäisch denken!", Rebecca Harms im Streitgespräch zur Erneuerbare-Energien-Politik in der EU. Heinrich-Böll-Stiftung. Berlin.
20. April: taz.lab "Erfindet. So kann es nicht weitergehen" u.a. zum Thema „Ist die Energiewende noch zu schaffen?“ mit Rebecca Harms, Peter Altmaier und Claus Leggewie.


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