Gerade weil ich die großen Herausforderungen kenne, vor denen die EU steht, werde ich für Jean-Claude Juncker als EU-Kommissionspräsidenten stimmen. Dabei geht es hier ganz und gar nicht um eine EU-typische Kumpanei, um die Koalition XXL und erst recht nicht um schwarz-grün. Es lassen sich manche Muster aus Berlin oder anderen EU-Hauptstädten nicht einfach auf die europäische Politik übertragen. Ich will die Stärken von Juncker stärken. Er ist geeigneter als jeder andere bisher vom Rat genannten Kandidaten auch wenn ich weiß, dass der Mann ein Christdemokrat ist und bleibt und ich mich sicher noch oft über ihn ärgern werde.
Ich halte Juncker mit und wegen seiner europäischen politischen Vita für geeignet. Er zählt zu denen, die das gemeinsame Interesse der Europäer tatsächlich nicht nur verstehen, sondern auch bereit sind, es zu verteidigen. Seine lange Erfahrung mit allen EU-Institutionen feit ihn ein Stück weit gegen die mit allen Wassern gewaschenen Büchsenspanner im Rat. Für das Europäische Parlament kann es nur gut sein, dass Juncker nicht einfach vom Rat ernannt, sondern vom Parlament durchgesetzt wurde. Bei dieser Wahl sollten Parlamentarier den Mut haben, über den Schatten des eigenen Programms zu springen. Das Scheitern Junckers wäre eine politische Kamikaze-Nummer des Europäischen Parlamentes. Auch ein schwaches Ergebnis wird nur die Gegner der EU in London, in Ungarn, auf der rechten Seite des Europäischen Parlamentes und anderswo stärken.
Das klingt nach vielen Vorschusslorbeeren. Ich weiß das. Und ich weiß, dass ich oft nicht nur stöhnen, sondern aufbrausen werde in den nächsten Jahren, wenn der Präsident der EU-Kommission klein bei gibt bei meinen Herzensanliegen und denen meiner Fraktion. Ich weiß, dass Jean-Claude Juncker kein grünes Programm verfolgen wird, auch wenn er zu Genmais, Schiefergas und Korruption in unserer Anhörung gute Positionen vertreten hat. Aber ihm ein ordentliches Ergebnis zu ermöglichen, bedeutet, ihn als Kommissionspräsidenten zu fordern, der den Bürgern eben mehr verpflichtet ist als seine Vorgänger.
Meine Stimme ist gleichzeitig als Ansage an Jean-Claude Juncker zu sehen: Wir Grüne wollen die EU-Politik verändern. Und wir werden Juncker und der nächsten EU-Kommission dafür einheizen. Wir wollen, dass die Entscheidungen, die in Brüssel getroffen werden, nachvollziehbarer werden für die Bürgerinnen und Bürger. Wir sehen, dass sich dafür alle Institutionen verändern müssen.
Wir wollen nicht, dass die größten europäischen Errungenschaften im Umwelt- oder Verbraucherschutz dem Handelsabkommen mit den USA geopfert werden. Wir wollen, dass die EU nachhaltiges Wirtschaften ernsthaft verfolgt. Das fängt mit einer Energie- und Innovationsstrategie für Erneuerbare und Effizienz an. Wir wollen damit das Klima schützen und aber auch Arbeit schaffen. Denn wir finden es unerträglich, dass in vielen Ländern die Arbeitslosigkeit und die Angst vor der Zukunft wachsen. Es beschämt uns, wie viele Menschen auf der Flucht nach Europa ums Leben kommen, weil die EU nicht in der Lage ist, verantwortliche Flüchtlings- und Migrationspolitik zu machen. Und wir wollen kein Hängen und Würgen mehr in der gemeinsamen Außenpolitik. Gerade die Auseinandersetzung mit Russland lehrt uns, dass wir Europäer in Zukunft nur gemeinsam Einfluss gewinnen können.
Meine Stimme für Jean-Claude Juncker ist auch ein Bekenntnis zu denen, die die EU möglich gemacht haben. Mir sind nach zehn Jahren im Europaparlament die Schwächen und Tücken Brüssels bewusst. Ich muss aber nicht weit schauen, um zu erkennen, wie gut es dem Kontinent tut, dass wir unsere Interessen gemeinsam und jenseits der nationalen Begrenztheit wahrnehmen. Dies ist und bleibt die beste Antwort gerade auch gegenüber den Populisten und Antieuropäern, gegen alte und neue Nationalisten und Rechtsextreme: Ich will die EU weiterbringen und verändern. Das setzt ein unmissverständliches Bekenntnis zur europäischen Idee und ihrem Wert an und für sich voraus. Jean-Claude Juncker ist kein Supermann. Ich traue ihm nicht alles zu. Aber ich bin überzeugt, dass er einiges von dem mitbringt, was es braucht, um Vertrauen in den weiteren gemeinsamen europäischen Weg zu schaffen.