Die EU hat das Assoziierungsabkommen mit der Regierung Janukowitsch auf Eis gelegt. Sie sollte bald weiterverhandeln, findet Rebecca Harms, Grüne Europaparlamentarierin. Die DW erreichte sie bei einer Kundgebung in Kiew.
DW: Seit wann sind Sie in der Ukraine und wie sind Ihre Eindrücke vor Ort?
Rebecca Harms: Ich bin seit Samstag (14.12.2013) in der Ukraine. In der Woche davor hatte ich aber schon eine Delegation der jungen Leute von der Protestbewegung Euromaidan in Straßburg zu Gast und ich war vor zwei Wochen auch schon drei Tage lang hier. Es ist wahnsinnig schwer vorauszusagen, wie sich das hier entwickelt. Es gibt aber Dinge, die mich hoffen lassen, dass es keine weitere brutale Eskalation von Seiten dieser Spezialeinsatzkräfte hier in Kiew gibt. Aber alles ist Spekulation.
Können Sie genauer erläutern, was Sie hoffen lässt?
Es ist so, dass sich die Demonstration sehr gut entwickelt. Es gibt einen stetig anwachsenden Strom von Leuten auf den Maidan, den Unabhängigkeitsplatz. Es gibt viele Solidaritätsbekundungen aus dem Land. Ich habe ganz selten selber miterlebt, wie eine solche - wie die Leute hier sagen - revolutionäre Aktion auch mit Spenden und viel Geld stabilisiert und gestützt worden ist. Dieser wachsende Zuspruch ist die beste Versicherung dafür, dass es einen guten Ausgang nimmt. Ich fand auch am Samstag die Stellungnahme von Herrn Achmetow zu Gunsten der Ideen des Euromaidan sehr wichtig, um die Lage zu beurteilen. In der Ukraine zählt es jetzt sehr viel, auf welche Seite sich die großen Industriekapitäne und Oligarchen [wie Rinat Achmetow] stellen. Die Medienkanäle, die den Oligarchen gehören, berichten fair und gut über die Anliegen des Euromaidan.
Die EU hat das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine jetzt auf Eis gelegt. Ist das aus Ihrer Sicht ein richtiger Schritt?
Ich denke nicht, dass es richtig ist, das auf lange Zeit auf Eis zu legen. Es muss aber geguckt werden, unter welchen Bedingungen das unterschrieben wird. Ich bin überzeugt, dass die Ukraine dieses Abkommen braucht und will. Ich bin auf der anderen Seite auch überzeugt, dass es für die EU sehr wichtig ist, dass in diesem größten Land unserer östlichen Nachbarschaft demokratische und stabile Verhältnisse herrschen. Die EU hat ja fast ein natürliches Interesse an Sicherheit und Frieden in der Nachbarschaft. Der einzige Weg dahin ist dieses Assoziierungsabkommen.
Die Situation scheint festgefahren - wie könnte eine Lösung aussehen?
Die Europäer müssten hier viel mehr Präsenz zeigen und viel mehr Verantwortung übernehmen. Es ist eine schwierige Situation, da braucht es eine Moderation. Verhandlungen sind unter den Leuten hier umstritten. Ich glaube aber, dass eine Verhandlungslösung der richtige Weg ist. Ich werde am Montag - zusammen mit meinem Kollegen Elmar Brok - versuchen, mit wichtigen Abgeordneten aus allen Fraktionen und dem Parlamentspräsidenten der Rada [dem ukrainischen Parlament] zu sprechen, um herauszufinden, wie man einen Weg aus der Konfrontation hier finden kann.
Die Ukraine hat jüngst 20 Milliarden Euro Finanzhilfe gefordert. Geht es der Regierung in letzter Konsequenz nur ums Geld?
Wenn man 20 Milliarden Euro Finanzhilfe, egal ob sie vom IWF oder aus Russland kommen, Präsident Viktor Janukowitsch oder Ministerpräsident Nikolai Asarow übergibt, dann hilft das vielleicht in der akuten Not, aber es wird nicht die Grundlage für eine bessere Entwicklung sein. Damit dieses Geld - das kommen muss - auch wirklich hilft, muss man sich wirklich noch mal Gedanken machen, unter welchen Bedingungen dieses Geld fließt.
Wagen Sie mal einen Blick in die Zukunft. Ist das Assoziierungsabkommen nur eine Frage des "wann", aber nicht des "ob"?
Mein Gefühl ist, dass sich die Ukraine mehrheitlich entschieden hat für den Weg nach Westen. Ich gründe das auf eine lange Erfahrung hier und viele Erlebnisse in den vergangenen zehn oder 15 Jahren. Ich glaube, dass der demokratische Geist, den man bei der Demonstration hier spürt, längst in die Europäische Union passt. Ich bin eigentlich hoffnungsfroh, weiß aber nicht, ob das alles hier schnell gelöst werden kann. Mir ist am wichtigsten, dass es hier nicht zu einer gewalttätigen Eskalation kommt. Jeder, der jetzt in Kiew ist, merkt, dass dieses Land freie und faire Bedingungen will. Das Assoziierungsabkommen ist wie eine Projektionsfläche aller dieser Wünsche, die in diesem Land schon lange wach sind und die bei Präsident Janukowitsch keinen Raum mehr gefunden haben.