Parlamentarische Anfrage an die EU-Kommission von Rebecca Harms vom 26.07.2010
In Deutschland werden erhebliche Mengen von Gipsabfällen auf sogenannten Kalihalden — ursprünglich für Abfälle aus Salzbergwerken gedachte Deponien unter freiem Himmel — entsorgt. Abfallbeseitigungsmaßnahmen sind üblicherweise durch die Deponierichtlinie (99/31/EG(1)) und die Entscheidung 33/2003/EG(2) des Rates zur Festlegung von Kriterien und Verfahren für die Annahme von Abfällen auf Abfalldeponien geregelt. Anscheinend sind jedoch die beispielsweise für Gipsabfälle geltenden Vorschriften in Deutschland nicht so streng wie in anderen europäischen Ländern. Da die Entsorgung von Gipsabfällen auf deutschen Kalihalden billiger ist als das Recycling, entsorgen Bauunternehmen aus Nachbarländern ihre Gipsabfälle lieber auf Kalihalden in Deutschland, als sie in ihrem Ursprungsland zu recyceln. Das Recyceln von Gipsabfällen ist jedoch laut der in der Abfallrahmenrichtlinie festgelegten Abfallhierarchie die zu bevorzugende Alternative. Daher scheinen die weniger strengen deutschen Vorschriften zur Annahme von Gipsabfällen auf Kalihalden die Abfallhierarchie unmittelbar zu untergraben.
1. Kann die Kommission bestätigen, dass die Annahme und Entsorgung von Bau- und Gipsabfällen auf deutschen Kalihalden durch die Deponierichtlinie (99/31/EG) und die Entscheidung 33/2003/EG des Rates zu den Kriterien für die Annahme von Abfällen geregelt wird?
2. Könnte die Kommission außerdem bestätigen, dass die Richtlinie über die Bewirtschaftung von Abfällen aus der mineralgewinnenden Industrie (2006/21/EG(3)) nur für Abfälle gedacht war, die unmittelbar bei der Gewinnung von Mineralien entstehen, und nicht für die Regelung der Entsorgung von Bau- und Gipsabfällen auf mit dem Bergbau in Verbindung stehenden Abfallentsorgungseinrichtungen wie den Kalihalden?
3. Ist die Kommission der Auffassung, dass die deutschen Vorschriften für Kalihalden mit den oben genannten EU‑Rechtsvorschriften im Einklang stehen?
4. Falls nicht, welche Maßnahmen gedenkt die Kommission zu ergreifen, um die einschlägigen EU‑Rechtsvorschriften umfassend durchzusetzen?
(1) ABl. L 182 vom 16.7.1999, S. 1.
(2) ABl. L 11 vom 16.1.2003, S. 27.
(3) ABl. L 102 vom 11.4.2006, S. 15.
Die Antwort von Herrn Potočnik im Namen der Kommission
Die Verwendung von Gips auf Kalihalden wird von den deutschen Behörden als Verwertung angesehen. Nach Artikel 3 Nummer 15 der Richtlinie 2008/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Abfälle(1) (Abfallrahmenrichtlinie) gilt als Verwertung „jedes Verfahren, als dessen Hauptergebnis Abfälle innerhalb der Anlage oder in der weiteren Wirtschaft einem sinnvollen Zweck zugeführt werden, indem sie andere Materialien ersetzen, die ansonsten zur Erfüllung einer bestimmte Funktion verwendet worden wären, oder die Abfälle so vorbereitet werden, dass sie diese Funktion erfüllen“, was grundsätzlich auch die Verwendung von Gips für technische Zwecke wie z. B. als Ersatz für Baustoffe und Kies auf Kalihalden einschließt. Die Deponierichtlinie 1999/31/EG(2) und die Entscheidung 2003/33/EG des Rates(3) zur Festlegung von Kriterien und Verfahren für die Annahme von Abfällen auf Abfalldeponien gemäß Artikel 16 und Anhang II der Richtlinie 1999/31/EG regeln die Abfallbeseitigung und gelten insofern nicht für die Verwertung. Es würde allerdings dem Europäischen Gerichtshof obliegen, darüber zu befinden, ob die Verwendung von Gips in diesem speziellen Fall als Verwertung und nicht als Beseitigung einzustufen ist.
Die Richtlinie 2006/21/EG(4) über die Bewirtschaftung von Abfällen aus der mineralgewinnenden Industrie regelt die Bewirtschaftung von Abfällen, die beim Aufsuchen, Gewinnen, Aufbereiten und Lagern von mineralischen Rohstoffen sowie beim Betrieb von Steinbrüchen entstehen, also von „mineralischen Abfällen“ gemäß der Begriffsbestimmung in Artikel 3 Nummer 6 der Richtlinie (gilt also nicht für Bau- und Abbruchabfälle).
Wie oben erklärt, wären die Richtlinie 1999/31/EG, die Entscheidung 2003/33/EG des Rates und die Richtlinie 2006/21/EG aufgrund der Einstufung der Verwendung von Gips als Verwertung durch die deutschen Behörden in diesem speziellen Fall nicht anwendbar.
Hierbei ist aber zu berücksichtigen, dass ab 12. Dezember 2010 die Richtlinie 2008/98/EG gilt. Nach Artikel 4 Absatz 1 dieser Richtlinie liegt „folgende Abfallhierarchie […] den Rechtsvorschriften und politischen Maßnahmen im Bereich der Abfallvermeidung und ‑bewirtschaftung als Prioritätenfolge zugrunde: a) Vermeidung, b) Vorbereitung zur Wiederverwendung, c) Recycling, d) sonstige Verwertung, z. B. energetische Verwertung [und] e) Beseitigung.“ Bei Anwendung dieser Hierarchie treffen die Mitgliedstaaten Maßnahmen zur Förderung derjenigen Optionen, die insgesamt das beste Ergebnis unter dem Aspekt des Umweltschutzes erbringen. Dies kann erfordern, dass bestimmte Abfallströme von der Abfallhierarchie abweichen, sofern dies durch Lebenszyklusdenken hinsichtlich der gesamten Auswirkungen der Erzeugung und Bewirtschaftung dieser Abfälle gerechtfertigt ist.
Es lässt sich mit den der Kommission vorliegenden Informationen nicht feststellen, ob aus den oben genannten Erwägungen in diesem Fall die Verwertung anstelle des Recyclings gerechtfertigt ist. Die Kommission beabsichtigt, bei den deutschen Behörden abzuklären, inwiefern die deutschen Vorschriften zur Umsetzung der Abfallrahmenrichtlinie mit den Grundsätzen der Abfallhierarchie übereinstimmen werden.