Rede von MdEP Rebecca Harms am 26. März 2008 im Europäischen Parlament in Brüssel:
Rebecca Harms, im Namen der Verts/ALE-Fraktion . – Herr Präsident, Herr Ratspräsident, Herr Kommissionspräsident! Ich hatte im Verlauf der Debatte das Gefühl, wir reden über zwei völlig verschiedene Veranstaltungen. Ich habe zwar den Rat für meine Fraktion beobachtet, habe aber von dieser Veranstaltung überhaupt nicht den Eindruck mitgenommen, dass es dort zum Beispiel um neue, fortgesetzte, ehrgeizige, gemeinsame Klimapolitik gegangen wäre.
Ich weiß nicht, ob Sie sich daran erinnern, dass Javier Solana unmittelbar vor dem Rat sein Klima-Szenario unter Sicherheitsaspekten vorgelegt hat. Wenn Grüne so etwas veröffentlicht hätten, wo beschrieben wird, wie sich durch Klimaveränderungen die Konflikte überall auf der Welt zuspitzen werden und wie gerade die entwickelte Welt unter Druck gerät, hätte man uns wahrscheinlich gesagt: Die sind verrückt geworden, die Grünen, bei solchen apokalyptischen Szenarien.
In dem Papier von Javier Solana steckt eine Menge Wahrheit, und mich wundert, dass kein Stück dieser Wahrheit in dieser Ratssitzung aufgegriffen wurde. Da, wo man hätte konsequenter sein müssen im Vergleich zu dem, was man im letzten Jahr angelegt hat, war man inkonsequenter. Gerade meine Bundeskanzlerin Angela Merkel, auf die ich im letzten Jahr so stolz war, war diejenige, die für Verzögerung, Verlangsamung und Ausnahmen gekämpft hat. Machen wir uns doch nichts vor: Wenn wir jetzt Ausnahmeregelungen für den europäischen Emissionshandel, für die europäische Industrie in den Mittelpunkt eines Rates stellen, dann nehmen wir doch vorweg, dass das, was die Kommission vorgelegt hat, scheitert. Ich glaube auch, dass es ein ganz negatives Signal an den Rest der Welt ist, wenn wir jetzt in Europa von Ausnahmen für den Emissionshandel für das nächste Jahrzehnt sprechen. Wie wollen wir dann ehrgeizig in Posen oder in Kopenhagen den Rest der Welt mit ins Boot nehmen?
Es war meiner Meinung nach eine self-fulfilling prophecy, was da betrieben worden ist. Ich sage an dieser Stelle für meine Fraktion ganz deutlich: Wir wollen, dass es nicht zuerst um Ausnahmen, sondern dass es konsequent um den europäischen Emissionshandel geht. Wir sind eher bereit, eine europäische Industrie, die sich nachhaltig entwickelt, nach außen zu schützen, als an dieser Stelle in einer entscheidenden Situation der internationalen Klimaverhandlungen unter dem Druck der Automobilindustrie, der Stahlindustrie und anderer Lobbyisten klein beizugeben, die – wie wir einem neuen Bericht entnehmen können – in Brüssel ganz direkt und viel zu viel Einfluss auf Entscheidungen nehmen.
Meiner Meinung nach war der Gipfel nicht ehrgeizig, sondern kleinmütig. Das lag nicht nur an der neuen Rolle von Angela Merkel, die nicht mehr die Klima-Kanzlerin gewesen ist. Das lag auch daran, dass so in Europa viele Solisten unterwegs sind. Da verhandeln einige Staaten separat über Visa-Abkommen. Andere diskutieren mit den Amerikanern ihren eigenen Ansatz zur Raketenabwehr. Im Kosovo ist man sich nicht einig, Energieversorgungssicherheit – die Deutschen machen ihr Geschäft mit der russischen Gasprom. Die Italiener und die Ungarn machen ihr eigenes Geschäft. Die Mittelmeer-Union war eigentlich auch nur eine Idee von Sarkozy, um über Waffenexporte und Atomtechnikexporte die Uranzufuhr nach Frankreich zu sichern. Ich finde, dass dieser Gipfel unter einem sehr, sehr schlechten Rahmeneinfluss gestanden hat und dass in Ihrer Bilanz dieser negative Einfluss von viel zu vielen Solisten und viel zu wenig Gemeinsamkeit heute eine viel zu kleine Rolle gespielt hat. Ehrgeiz ist für mich etwas anderes. Kleinmut ist das, was ich aus diesem Gipfeltreffen mitgenommen habe. Das ist nicht gut, aber noch schlechter ist, dass die Bilanz in diesem Haus heute nicht ehrlich ist.