Rebecca Harms

Mitglied des Europäischen Parlaments in der Grünen/EFA Fraktion 2004-2019

#weserkurier    20 | 04 | 2017

Offen sein für eine demokratische Türkei

Gastkommentar von Rebecca Harms, erschienen im Weser-Kurier am 19.04.2017

Das Verfassungsreferendum in der Türkei ist vorbei. Es gibt viele Hinweise auf Manipulationen und auf extrem überproportionale Ergebnisse für das Ja in einigen großen Städten. Die vorschnelle Anerkennung des Ergebnisses und die sofortige Zurückweisung einer Überprüfung, die von der Opposition zu Recht gefordert wird, werfen ein schlechtes Licht auf die zentrale Wahlkommission. Die Kampagne ist im Ausnahmezustand und ohne Pressefreiheit nicht frei und fair gewesen. Die Überprüfung des Ergebnisses und die Aufklärung der Unstimmigkeiten wird auch von den Beobachtern der OSZE gefordert und muss von der EU unterstützt werden. Trotz der berechtigten Zweifel an der Legitimität des Ergebnisses muss in der EU aber mit der politischen Entwicklung in der Türkei umgegangen werden, die in dieser Abstimmung gipfelte.

Präsident Erdogan hat die Position gegenüber der EU neu bestimmt. Er hat die Türkei mit seinen Worten und Taten von der EU weggeführt. Er hat dabei sein Land gespalten. Die Hälfte der türkischen Bürger hat im Referendum seinen Machthunger nicht unterstützt. Aber auch der zweifelhafte Zittersieg ermöglicht ihm die umfassende Machtposition, die er sich auf den Leib geschneidert hat. Das Referendum soll die Tradition der parlamentarischen Demokratie und der Gewaltenteilung in der Türkei beenden. Wenn die Verfassungsänderung umgesetzt wird und Erdogan seinen Weg der autokratischen Führung fortsetzt, dann wird das zur Suspension der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei führen. Im Europäischen Parlament haben wir schon im November 2015 für das Einfrieren gestimmt. Denn wie unter Erdogan die Abkehr von der Rechtsstaatlichkeit aussieht, das sehen wir schon seit dem gescheiterten Putsch. Statt einer notwendigen rechtsstaatlichen Verfolgung, Aufklärung und Verurteilung werden Oppositionelle und Kritiker, Politiker und Journalisten, Richter, Anwälte und Beamte, Männer und Frauen massenhaft und systematisch verfolgt, enteignet, eingeschüchtert und eingesperrt.Jetzt droht die Einführung der Todesstrafe.

Der Tag des Referendums, das die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU verändern wird, ist ein schlechter und trauriger Tag für beide Seiten. Die EU muss konsequent sein, muss mit ihrer Reaktion aber abbilden, dass die Hälfte der Wähler gegen die Rückkehr in den autoritären Staat und für demokratische Werte gestimmt hat. Unsere Reaktion muss diese türkischen Bürgerinnen und Bürger der Türkei ermutigen. Wir müssen offen sein für die demokratische Türkei. Gemeinsam muss die EU jetzt klären, ob und wie Einfluss zugunsten neuer demokratischer Entwicklung möglich ist.  


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