Rebecca Harms, Grünen-Fraktionschefin im Europaparlament, war gestern gerade auf dem Weg nach Kiew, als sie von dem „Unfall“ in dem ukrainischen AKW erfuhr.
Erst Panik, dann Entwarnung aus Kiew – haben wir noch einmal Glück gehabt?
Nach meinen Informationen haben wir Glück gehabt – in einer offensichtlich schwierigen Situation. Die externe Stromversorgung für Saporoschje hat nicht funktioniert. Dadurch gab es Schwierigkeiten bei den Transformatoren. So etwas ist immer sehr heikel. Wenn die Stromversorgung oder Stromabfuhr nicht funktioniert, ist das eine der technisch schwierigsten Situationen in einem Atomkraftwerk.
Der Vorfall ereignete sich am 28. November. Wie beurteilen Sie die Informationspolitik der ukrainischen Regierung?
Unzureichend. Informationen über nukleare Störfälle sollten immer sofort bekanntgemacht werden, dann kommt es gar nicht zu großen Verunsicherungen.
Das AKW Saparoschje versorgt fast den ganzen Süden der Ukraine. Was passiert, wenn es abgeschaltet werden muss?
Die Ukraine hat ohnehin schon große Energieversorgungsprobleme in diesem Winter, weil es unsicher ist, ob man sich auf die russische Gasversorgung verlassen kann. Und natürlich gibt es Probleme im Osten und Südosten wegen des Krieges im Donbass. Und wie man sieht, sind in Krisensituationen Atomkraftwerke noch einmal besondere Risikofaktoren.
Greenpeace warnt, dass die Reaktoren mit einer 1,20 Meter dicken Betonhülle nicht vor panzerbrechenden Waffen geschützt wären ...
Das stimmt. Es gab vor einiger Zeit auch schon Befürchtungen, dass es zu Attentaten kommen könnte. Im Krieg oder Bürgerkrieg können Kernkraftwerke immer zu Zielen werden. Ein Freund von mir sagt immer: Ein Atomkraftwerk ist wie eine vorinstallierte Bombe. In diesem aktuellen Fall gab es ja keine militärische Bedrohung, aber offenbar Probleme – auch als Folge des Krieges.
Wie sicher sind diese Meiler in der Ukraine?
Das sind alles Reaktoren sowjetischer Bauart. Störfälle gibt es in Atomkraftwerken aller Bauarten. Es gibt seit langem große Besorgnis wegen Saparoschje. Ich war schon im Jahr 2000 bei Atomkraftgegnern in der Ostukraine und habe über Sicherheitsmängel diskutiert. Die EU hat sich leider darauf versteift, mit Nachrüstungsmaßnahmen dafür zu sorgen, dass die Laufzeiten dieser Atomkraftwerke immer weiter verlängert worden sind. Die haben quasi EU-Zertifikate. Eine zweifelhafte Strategie. Es ging bei den Nachrüstungen auch darum, Akzeptanz für billige Kohle- und Atomstromimporte zu schaffen. Sicherheit kann aber keiner garantieren.
Sie sind nun in der Ukraine. Wird der Vorfall Thema Ihrer Gespräche sein?
Auf jeden Fall. Auch, weil ich mich dort mit der gesamten humanitären Situation und der Versorgungslage im Osten der Ukraine beschäftigen werde. Bei der Frage, wie die Leute über den Winter kommen sollen, ist die Energieversorgung überlebenswichtig. In dem Zusammenhang ist der Zwischenfall doppelt besorgniserregend. Außerdem will ich auch die Informationspolitik ansprechen. Am Dienstag machte die Regierung in Kiew Schlagzeilen, weil sie ein Informationsministerium geschaffen hat, und gestern erfuhr man, dass solche wichtigen Informationen wie der Zwischenfall in Saparoschje vier Tage lang der Öffentlichkeit vorenthalten wurden.
Das Interview führte Petra Rückerl und erschien am 04.12.2014 in der Neuen Presse.