Wenn es streng nach der Tages- und der alten EU-Hackordnung gegangen wäre, dann wäre die letzte Plenarwoche des Europäischen Parlamentes die Woche der neuen EU-Kommission geworden. Denn die Wahl der Barroso II genannten EU-Kommission stand an. Spitze Zungen hatten im Vorfeld schon angemerkt, dass das wie Terminator II klingt. Ironie und Wirklichkeit lagen dann allerdings weit auseinander. Langeweile war das bestimmende Gefühl als der EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso seine neuen EU-Kommissare vorstellte. Was auch immer er über Europa und seine Equipe vom Blatt verlas: es blieb banal.
Stunde der Heuchler nannte Dany Cohn-Bendit den Moment der Wahl. Um das Gefühl der politischen Leere oder Orientierungslosigkeit in der Debatte zu übertönen reichte aber auch sein berechtigter Furor über den großen Deal zur Besetzung der EU-Kommission, den Christ- und Sozialdemokraten mit den Liberalen gemacht haben, nicht aus. Jenseits des Personalpaketes gab es keine politische Debatte. Die Bewertung des politischen Programms von Barroso II aus der Sicht der großen Fraktionen fiel aus. Es gab nur Gegrummel wegen der gescheiterten bulgarischen Bewerberin Rumiana Jeleva, Gemurre über Catherine Ashton und Allgemeinplätze zur Finanz- und Wirtschaftskrise. Und das sollte den Beginn der Ära des Lissabonvertrages markieren.
Aber dann kam doch noch neues Leben in die Straßburger Säle. Zuerst trug der Flurfunk, der im Europäischen Parlament gern jedes Gerücht befördert und verstärkt, zur negativen Stimmung vor der Abstimmung über das SWIFT-Abkommen bei. Verschieben sei das Beste, was zu erreichen sei nach der Diplomaten-Offensive der USA, hieß es. Nach vielen Gesprächen mit den zuständigen Abgeordneten aus dem für Bürgerrechte zuständigen Ausschuss und Abwägungen mit Jan Philipp Albrecht, unserem "Mr. SWIFT", überwog für mich aber der Eindruck, dass die Verschiebung unbedingt verhindert werden müsse. Eine Verschiebung würde den Innenministerien der EU-Mitgliedstaaten mehr Zeit geben Druck auszuüben und das würde dafür sorgen, dass die Zahl der Abgeordneten, die trotz Bedenken dem SWIFT-Abkommen zustimmen würden, steigen würde. So setzten wir alles auf Sieg und forderten die Abstimmung auf der Tagesordnung zu lassen. Mit nur 15 Stimmen Vorsprung wurde die Vertagung aufgehalten. Und es kam eine so überwältigend klare Mehrheit gegen SWIFT zustande, dass ich richtig stolz auf unser Europäisches Parlament war.
So endete die Woche als große Woche des EU-Parlaments und der europäischen Demokratie. Meine Hoffnung ist, dass dank dieser Auseinandersetzung erstens der Rat jetzt neuen Respekt vor dem EU-Parlament und seinen Rechten hat. Zweitens hoffe ich, dass wir in Brüssel jetzt anfangen, Grundrechte wieder konsequenter zu verteidigen. Seit 9 / 11 ist in der Auseinandersetzung um Sicherheit oder Freiheit der Grundrechtschutz immer wieder unter die Räder gekommen. Die Abstimmung gegen SWIFT soll jetzt einen Wendepunkt markieren. Sicherheit ja, aber effizient und unter Berücksichtigung der Bürgerrechte. Dafür werden wir Grünen in Brüssel uns einsetzen.
Zur Ukraine und meinen Eindrücken vom Wahltag gibt es noch zu sagen, dass ich das Urteil der OSZE, dass die Wahlen korrekt abgelaufen sind, nur bestätigen kann. Ich hoffe, dass der Streit über das Ergebnis nicht weiter nur Stillstand für die Ukraine bedeutet. In Straßburg war es eine herbe Enttäuschung, dass Cathy Ashton nicht persönlich in die Plenardebatte über die Ukraine eingegriffen hat. So hat sie erneut den Eindruck genährt, dass dieses große Nachbarland nur zählt, wenn es um Gaslieferungen geht. Das ist ein großer Fehler. Denn trotz des Erfolges von Viktor Janukowitsch ist im Osten unseres Kontinentes keines der Länder, die zur Sowjetunion gehörten, so weit mit der demokratischen Entwicklung wie die Ukraine.
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