Rebecca Harms

Mitglied des Europäischen Parlaments in der Grünen/EFA Fraktion 2004-2019

#anfrage    13 | 01 | 2011

Neubau einer Schweineproduktions- und Mastanlage im Natura-2000-Gebiet V21 „Lucie“, Kreis Lüchow-Dannenberg (Niedersachsen, Deutschland)

Parlamentarische Anfrage an die EU-Kommission von Rebecca Harms vom 13. Januar 2011

 

In Klein Heide im Landkreis Lüchow-Dannenberg ist der Neubau einer Schweineproduktions- und Mastanlage beantragt. Die Fläche, auf der die Anlage entstehen soll, liegt im Natura-2000-Gebiet V21 „Lucie“, Kreis Lüchow-Dannenberg (Niedersachsen, Deutschland). Der Neubau ist nach deutschem Baurecht UVP-pflichtig und wird von den Genehmigungsbehörden nicht im Sinne der Privilegierung von landwirtschaftlichen Betrieben im Außenbereich gesehen, sondern als gewerblicher landwirtschaftlicher Betrieb.

 

In der UVP fehlen u. a. Angaben dazu, ob der Eingriff vermeidbar wäre oder ob eine eingriffsärmere Variante zum gleichen Ziel führen könnte. So könnte durch einen Flächentausch der Betrieb auf die westliche Seite der Kreisstraße, außerhalb des Natura-2000-Gebietes, gebaut werden, also im Nahbereich der im April genehmigten landwirtschaftlichen Biogasanlage und einer Schweinehaltungsanlage der Familie Fallapp.

 

1. Ist eine Tiermastanlage in einem Natura-2000-Gebiet oder einem FFH-Gebiet grundsätzlich genehmigungsfähig? Falls ja:

 

a. unter welchen Voraussetzungen/Bedingungen auf welcher rechtlichen Grundlage?

 

 

b. Gilt dies auch für die Anlage in Klein Heide und gegebenenfalls unter welchen Bedingungen, und wie ist die in der UVP nicht berücksichtigte Vermeidung/Verminderung des Eingriffes zu bewerten?

 

 

2. Welche Beeinträchtigungen für das Natura-2000-Gebiet wären von der Tiermastanlage zu erwarten, u. a. hinsichtlich Luft und Wasser (z. B. durch Eintrag von Stickstoff, Feinstaub), Flächenverbrauch und ‑zerschneidung und Verlust von Lebensraum für Tiere und Pflanzen, und wie wären diese Beeinträchtigungen vereinbar mit den Zielen des europäischen Schutzgebietssystems?

 

 

Antwort von Herrn Potočnik im Namen der Kommission

 

Die Kommission nimmt zur Kenntnis, dass das besondere Schutzgebiet „Lucie“ (DE2933401) im Landkreis Lüchow-Dannenberg in Niedersachsen nach den Bestimmungen der Vogelschutzrichtlinie(1) ausgewählt wurde. Deshalb gelten die Schutzvorschriften der Richtlinie 92/43/EWG(2) des Rates zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (Habitat-Richtlinie) in vollem Umfang.

 

Zur ersten Frage ist zu sagen, dass eine Tiermastanlage in einem Natura-2000-Gebiet nur unter folgenden Bedingungen und auf der folgenden rechtlichen Grundlage genehmigt werden kann:

 

a) Gemäß Artikel 6 Absatz 3 der Habitat-Richtlinie müssen Pläne oder Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebietes in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind — wie z. B. der Bau einer Schweineproduktions- und Mastanlage — die ein solches Gebiet jedoch erheblich beeinträchtigen könnten, einer Prüfung auf Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen unterzogen werden. Ist im Fall negativer Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses ein Plan oder Projekt dennoch durchzuführen und ist eine Alternativlösung nicht vorhanden, so sind alle notwendigen Ausgleichsmaßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass die globale Kohärenz von Natura 2000 geschützt ist; in solchen Fällen muss der Mitgliedstaat die Kommission über die von ihm ergriffenen Ausgleichsmaßnahmen unterrichten (Artikel 6 Absatz 4); wird eine prioritäre Art oder ein prioritärer natürlicher Lebensraum beeinträchtigt, ist eine Stellungnahme der Kommission erforderlich.

 

 

b) Dies gilt auch für eine Tiermastanlage in einem Natura-2000-Gebiet unter den oben genannten Bedingungen. Zunächst sollten die zuständigen Behörden jedoch untersuchen, ob das Vorhaben erhebliche Auswirkungen haben könnte, und dafür sorgen, dass eine angemessene Prüfung durchgeführt wird, sollte dies der Fall sein. Fällt das Ergebnis negativ aus, prüfen die zuständigen Behörden die Möglichkeiten auf Alternativlösungen auszuweichen, durch die die Integrität des betreffenden Gebiets nicht gestört wird. Eine Möglichkeit wäre ein alternativer Standort, z. B. durch einen Flächentausch, der es erlaubt, den Betrieb außerhalb des Natura-2000-Gebiets zu errichten, wie von der Frau Abgeordneten in ihrer schriftlichen Anfrage umrissen. Gemäß dem Subsidiaritätsprinzip liegt es bei den zuständigen nationalen Behörden, die notwendigen Vergleiche zwischen diesen Alternativen anzustellen.

 

 

Zur zweiten Frage: Die möglichen negativen Umweltauswirkungen hätten im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung gemäß Artikel 6 Absatz 3 festgestellt werden müssen. Welche konkreten negativen Auswirkungen der Anlage auf das Natura-2000-Gebiet zu erwarten sind, kann nicht auf der Ebene der Europäischen Kommission bewertet werden. Es liegt in der Verantwortung der zuständigen nationalen Behörden zu beurteilen, welche Art von schädlichen Auswirkungen eine solche Schweineproduktions- und Mastanlage voraussichtlich haben wird und ob sie mit den Erhaltungszielen des Natura-2000-Gebiets vereinbar ist.

 

(1) Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (ABl. L 20 vom 26.1.2010, S. 7), die die Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2. April 1979 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten kodifiziert (ABl. L 103 vom 25.4.1979).

 

(2) Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21.5.1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen, ABl. L 206 vom 22.7.1992.

 

 


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