Rebecca Harms

Mitglied des Europäischen Parlaments in der Grünen/EFA Fraktion 2004-2019

#europäisches parlament    16 | 01 | 2017
Blog

Meine zukünftigen Arbeitsschwerpunkte

Liebe Freundinnen und Freunde,
Liebe Kolleginnen und Kollegen bei den Grünen und auch anderswo,
sehr geehrte Wählerinnen und Wähler und an meiner Arbeit Interessierte.

Ich möchte den Beginn des neuen Jahres zum Anlass nehmen, um mich für die Zusammenarbeit und das Interesse an meiner Arbeit der letzten Jahre in Brüssel zu bedanken. All das war notwendig.   Viele haben mir manches Mal den Rücken gestärkt, haben konfliktträchtige Positionierungen aber auch Kompromissfindung in der europäischen Politik erleichtert. Ich würde mich freuen, wenn ich auch in neuer Funktion und mit neuen Arbeitsschwerpunkten darauf setzen kann. Ich werde im Auswärtigen Ausschuss, im Industrieausschuss arbeiten und die Umweltpolitik der EU verfolgen. Ich werde meine Arbeit in Osteuropa über die Ukraine hinaus intensivieren.

Vorbehaltlich der Entscheidungen in der Plenarwoche im Januar werde ich zusammen mit dem moldauischen Abgeordneten Marian Lupu den Vorsitz von Euronest, der parlamentarischen Versammlung von Abgeordneten des EU-Parlaments und der Staaten der östlichen Partnerschaft, Ukraine, Republik Moldau, Armenien, Aserbaidschan und Georgien, übernehmen. Eine erfolgreiche Entwicklung der Assoziierungsabkommen, die die EU mit der Ukraine, der Republik Moldau und Georgien abgeschlossen hat, wird ein Schwerpunkt sein. Für 2017 plane ich eine Konferenz in Kiew, die Grünen Politikern aus dem Europaparlament und den nationalen Parlamenten bessere Einblicke zu den Fortschritten der Reformen in der Ukraine aber auch zu den Frustrationen über Stagnation und den Folgen des Krieges gegen das Land geben soll. Die soziale Entwicklung und die Lage der Menschenrechte in den Ländern Osteuropas und in Russland wird mein Thema sein. Besonderes Interesse soll auch den Regionen gelten, die als "frozen conflicts"  bezeichnet werden und die vernachlässigt werden, obwohl sie für die Sicherheitslage Europas insgesamt bedeutend sind.

Meine Kollegen und Freunde in der Türkei, mit denen ich in den letzten Jahren mehr und mehr zusammen gearbeitet habe, erwarten, dass wir uns nicht von ihnen und ihrem Land abwenden. Wie die Europäische Union die Demokraten und Pro-Europäer in der Türkei nach unseren vielen Fehlern in der Türkeipolitik jetzt nicht noch mehr enttäuscht, das bleibt schwierig zu beantworten. Eine kluge Antwort auf Erdogans systematische Verfolgung der politischen und gesellschaftlichen Opposition und dem Aufbau seiner autokratischen Herrschaft ist nicht die Abkehr von der Türkei. Ich hoffe, dass es gelingt im Frühjahr 2017 mit türkischen und europäischen Verbänden eine breite Informations- und Solidaritätskampagne für inhaftierte Journalistinnen und Journalisten zu starten. Ich werde außerdem versuchen, mehr für die Unterstützung der verfolgten Juristen zu tun. Und eines der wichtigsten Ziele bleibt die Rückkehr der gewählten Abgeordneten der HDP aus den Gefängnissen in ihre Arbeit im Parlament.

Ich werde meine umweltpolitische Arbeit wieder intensivieren. Die Klima- und Energiepolitik ist eines dieser Felder. Die sozial-ökologische Transformation ist der Kernbereich grüner Politik und gemeinsam könnte die EU viel bewegen und die Europäer davon erheblich profitieren. Es wird maßgeblich von unserer Arbeit und unserem Einfluss in den Mitgliedstaaten und in Brüssel abhängen, ob bei den anstehenden Entscheidungen zur Europäischen Energieunion Nachhaltigkeitsziele und Sicherheitsfragen ernst genommen werden. Es kann nicht oft genug gesagt werden, dass das beste Zukunftsprojekt für die EU eine Klima- und Energieunion wäre, mit klaren Schwerpunkten auf Erneuerbaren Energien und Effizienz. Ohne jetzt in die Tiefe zu gehen, denke ich, dass es für uns Grüne unerlässlich wird, in unserem Programm zur ökologischen Transformation von Wirtschaft und Industrie die Zukunft der Arbeit noch stärker zu berücksichtigen. Die Auseinandersetzung um Dieselgate und die Zukunft der Autoindustrie bietet in diesem Zusammenhang wichtige Erfahrungen. Aber auch zusammenhängende Fragen zur  Sicherheit oder zur Migration müssen besser durchdrungen und vermittelt werden. Russlands neue aggressive Machtpolitik wird durch unsere Energieimporte mit ermöglicht. Und Flucht und Migration sind zu einem erheblichen Maß das Ergebnis von gewaltsamen Konflikten um Ressourcen und den Folgen des Klimawandels. Diesen Themen will ich mich mehr widmen.
 
Ich will mich aber auch weiter der wachsenden Herausforderung stellen, Zustimmung und Vertrauen für die Europäische Union zurückzugewinnen. Ich bin seit längerem überzeugt, dass es dazu eine Art Vergewisserung zwischen Bürgern und Politik braucht. Es bleibt bestürzend, wie schnell die EU als eine der größten politischen und demokratischen Errungenschaften  abgewählt werden kann, ohne dass die Bürger der EU dieser Europäischen Union näher gekommen sind. Es muss eine grundsätzliche Verständigung über diese unsere Europäische Union geben, in der das Erreichte erklärt, Schwächen thematisiert, Kritik ernst genommen, Veränderungen durchdacht aber keine schnelle Flucht in einfache Antworten gesucht wird: Mehr Europa, weniger Europa, Europäischer Bundesstaat, das Europa der Bürger, reset button drücken.... Vieles was gut klingt, lässt viele Fragen offen. Und die gemeinsame Politik von 28 bzw. 27 Staaten mit all ihren politischen und kulturellen Unterschieden und mit ihren vielen Sprachen wird nie einfach sein und wird nie ohne Kompromisse auskommen. Über die Verunsicherung vieler Bürger nicht nur in der EU wird seit der Brexit-Entscheidung, den Wahlen in Österreich und den USA und vor den Wahlen in den Niederlanden, in Frankreich und Deutschland weiter viel diskutiert. Und dieser Verunsicherung müssen sich alle stellen, die Politik verantwortlich gestalten wollen. Dabei darf nicht vergessen werden, dass die EU trotz der so oft beklagten Defizite ein stabiler  und erfolgreicher Teil der Welt ist, nach dem sich andere sehnen. Auch ich sehe Schwächen der Europäischen Politik. Aber keine ist derart, dass die Rückkehr in den Nationalstaat als gute Alternative erscheint. Eine wichtige Klärung muss die zum sozialen Europa sein. Dabei wird es aber darum gehen, mit den Mitgliedstaaten Ideen des Europäischen Sozialstaates neu zu verankern. Angesichts wachsender Zustimmung zu nationalistischen Ideen in allen Staaten der EU, scheint es nicht einfacher zu werden, die europäische Idee zu verteidigen. Aber die EU ist ja gerade deshalb unverzichtbar. Die EU war und ist die Antwort auf die Gefahren, die dem Nationalismus inne wohnen. Und den wachsenden Herausforderungen von außen wie der globalen Flucht, einer aggressiven Außenpolitik Putins, einer Verschärfung der Lage im Nahen und Mittleren Osten, den großen Aufgaben in Afrika, vor denen sich die Europäer schon zu lange drücken, oder auch dem Klimawandel ist weitaus besser zu begegnen, wenn es gemeinsam versucht wird. Das gilt auch wenn die Versuche nicht immer sofort im Erfolg münden. Die EU wurde geschaffen um Sicherheit und Frieden zu verwirklichen. Das letzte Jahr hat vor Augen geführt, dass es auch weiterhin darum geht.

Warum ich denke, dass man Vertrauen in die EU aufbauen und stärken muss, warum ich denke, dass die EU unverzichtbar ist, darüber diskutiere ich überall in Europa und weiterhin auch gerne vor Ort mit euch und Ihnen. Und natürlich auch über die anderen Fragen meiner thematischen Arbeit in Brüssel. Es ist mir ein Anliegen, dass kritisch aber auch verantwortungsbewusst über die EU diskutiert wird. Und es kann uns Grünen immer wieder nur gut tun, wenn wir anlässlich der notwendigen Europadebatte über den eigenen Tellerrand hinausschauen. Die Aufgabe ist nicht nur Verunsicherung zu thematisieren sondern auch die politisch Verunsicherten in den kommenden Wahlkämpfen zu erreichen. Das wird auch die Zukunft der Europäischen Union mit entscheiden.

Mit den besten Grüßen in schwierigen Zeiten.
Januar 2017
Rebecca Harms

PS zur politischen Heimat:
2017 ist für mich ein besonderes Jahr. Am 22. Februar jährt sich die Standortentscheidung für das Nukleare Entsorgungszentrum Gorleben. Im Februar/März 1977 organisierte ich mit anderen die erste Großdemonstration und wir gründeten die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg. Bis heute aber ist unser Ziel ein Endlager für Atommüll im ungeeigneten Salzstock Gorleben zu verhindern nicht erreicht. Gemeinsam mit Mycle Schneider, dem Initiator des World Nuclear Industry Status Report, und dem Physiker Wolfgang Neumann von der der Gruppe Ökologie in Hannover will ich das 40. Gorlebenjubiläum zum Anlass nehmen, einen Status-Bericht zu Endlagervorbereitungen weltweit zu initiieren. Denn das was in Deutschland nicht gelingt, das geht auch weltweit nicht wirklich voran. Fest steht 40 Jahre nach der Standortentscheidung Gorleben, dass die Aufgabe der Endlagerung von Atommüll in Deutschland an die nächste Generation weitergegeben wird. Und Deutschland ist da nicht die Ausnahme.


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