Rebecca Harms

Mitglied des Europäischen Parlaments in der Grünen/EFA Fraktion 2004-2019

#agrarreform    26 | 10 | 2013

Lüneburger Landeszeitung: "Gewinner sind wieder die Großen"

Interview von Rebecca mit der Lüneburger Landeszeitung (Werner Kolbe) zur kurz bevorstehenden Verabschiedung der EU-Agrarreform durch das EU-Parlament.

Lüneburg (ots) - Wenn das EU-Parlamentsplenum im November grünes Licht gibt, ist die Reform der europäischen Agrarpolitik nach jahrelangen Verhandlungen in trockenen Tüchern. Die Reform soll die Bauern dazu bringen, umweltfreundlicher zu wirtschaften. So soll ein Teil der Zahlungen, die sie aus Brüsseler Töpfen erhalten, künftig an Umweltauflagen gebunden sein. Die ursprünglichen Ziele von EU-Kommissar Dacian Ciolos, sagt Rebecca Harms, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europäischen Parlament, hat der Kompromiss aber stark verwässert.

Die EU-Agrarreform soll im November endgültig verabschiedet werden. Was sind die drei grössten Veränderungen, die auf die deutschen Landwirte zukommen?

Rebecca Harms: Die Reform wird den Landwirten leider nicht den Nutzen bringen, der beabsichtigt war. Mit der Reform sollte die Lage der Bauern in Bezug auf Preisvolatilität, die Folgen des Klimawandels und die  Abhängigkeit von teuren Importen verbessert werden. Die Landwirte sollten auch einen grösseren Anteil in der Wertschöpfungskette bekommen. Diese Ziele sind nicht erreicht worden, weil sich die Mehrheit der Agrarminister, die Mehrheit der Europaparlamentarier, aber auch die grossen Berufsverbände dagegen eingesetzt haben.

Wer sind denn unterm Strich die Gewinner, wer die Verlierer der Reform?

Harms: Wenn wir nicht aufpassen, wird diese Reform den Strukturwandel massiv verstärken. Die Grossen werden wieder die Gewinner sein. Die Direktzahlungen wurden nicht energisch gekappt. Ursprünglich sollte eine Entkoppelung und Kappung von flächengebundenen Zahlungen erreicht werden. So hatte es EU-Agrarkommissar Ciolos vorgeschlagen. Die nun gefundenen Kompromisse setzen die Ungerechtigkeit der Förderung fort.

Das EU-Parlament wollte die Direktzahlungen für grosse Höfe um 25 Prozent kappen, nun sind es nur 5 Prozent. Wer hat denn den grössten Widerstand geleistet?

Harms: Im Prinzip alle ausser uns Grünen. Vor allem Frau Merkel. Und der Deutsche Bauernverband allen voran. Für die meisten seiner Mitglieder absurd.

Immerhin soll die EU grüner werden. Bauern sollen ökologischer wirtschaften. Dafür sind im EU-Agraretat von 2014 bis 2020 mehr als 100 Milliarden Euro vorgesehen. Kann damit das Ziel erreicht werden, das sich EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos vorgenommen hat?

Harms: Die Investitionen in mehr Biodiversität werden den Landwirten nützen  - etwa im Hinblick auf Bodenqualität, Schädlingen und auch Klimaeinflüssen. Es ist gut, wenn in bestimmten Regionen wie dem Pariser Becken oder der Hildesheimer Börde, wo die Landschaft ausgeräumt ist, das Anpflanzen von Hecken und Bäumen gefordert und gefördert wird. Denn mehr Biodiversität hilft den Landwirten. Denken Sie an die Dürre, die Bodenerosion im Osten Deutschlands. Es gab sogar Sandstürme.

Begrüssen Sie das Teilziel des Greenings?

Harms: Ja, auch wenn die Mittel für diese zweite Säule der Agrarreform gekürzt worden sind und damit die von EU-Kommissar Ciolos geplante Reform stark verwässert wurde. Mitverantwortlich für die Schwächung sind auch Bundesagrarministerin Ilse Aigner und Kanzlerin Angela Merkel. Sie haben mit ihren Kürzungsforderungen am Ende möglich gemacht, dass auch noch Geld von der ländlichen Entwicklung zurückgewandelt wird in Hektarprämien. Ein grosser Rückschritt. Dennoch gibt es noch Möglichkeiten, ländliche Entwicklung und Einkommens- und Vermarktungschancen für Bauern zu stärken. Das Ziel, die Importabhängigkeit auch durch Fruchtfolgen und eine europäische Eiweissstrategie zu erreichen, ist nicht verankert. Die Grünen werden bei der Abstimmung im EU-Parlament deutlich machen, was wir innerhalb der Reform richtig finden. Wir werden aber auch zeigen, wo wir überhaupt nicht einverstanden sind.

Damit meinen Sie die Direktzahlungen?

Harms: Ja. Die erste Säule ist quasi unangetastet geblieben. Man hat aus der Vergangenheit nichts gelernt. Dem Gesamtpaket werde ich nicht zustimmen. Für mich geht es nun darum, die zaghaften richtigen Ansätze in der Agrarreform aufzugreifen und in den nächsten Jahren dafür Politik zu machen. Denn ich bin fest davon überzeugt, dass die ursprünglichen Ziele des EU-Agrarkommissars eine bessere Zukunft für die Landwirtschaft bringen können.

Kann man die Kappung der Direktzahlungen um fünf Prozent für grosse Höfen dennoch als Beginn eines Paradigmenwechsels begreifen?

Harms: Das könnte man, aber die Kappung ist meiner Ansicht nach eher symbolisch. Dadurch, dass die Direktzahlungen fast nicht angetastet werden, verschärfen wir den Prozess des Strukturwandels, auf Deutsch das Höfesterben. Diejenigen, die ohnehin schon die grössten Flächen besitzen, erhalten weiter die meisten Mittel und können die bäuerliche Landwirtschaft ausstechen. Die Konkurrenz um Flächen hat sich extrem verschärft. Der Preis für  landwirtschaftliche Flächen ist extrem gestiegen.

Einige Bauern haben nicht mehr genügend Geld, um Anbauflächen zu pachten, damit sie ihre Tiere ernähren können.

Harms: Das ist ein Trauerspiel. Biogas konkurriert mit Milch. Und die Direktzahlungen verschärfen jede ungleiche Konkurrenz.

Die EU-Agrarindustrie ist bekannt für aggressive Preispolitik, um im Export ganz vorn mitspielen zu können. Eigentlich sollte doch mehr auf Kleinbauern, vor allem in den Entwicklungsländern, Rücksicht genommen werden. Was ist von diesem Ansinnen übriggeblieben?

Harms: Nichts. Das Instrument der Exporterstattungen ist weiter funktionsfähig, auch wenn für den Export zurzeit keine Subventionen nötig sind. Wenn wir endlich das Flüchtlingsdrama im Mittelmeer ernst nehmen, ist es beschämend, dass die Agrarreform die falschen Import- und Exportstrukturen nicht ändert. Wir importieren mehr nach Europa, als wir exportieren. Und mit Exporterstattungen verderben wir die Märkte in den ärmeren Ländern und heizen die strukturelle Überproduktion in der EU weiter an. Wir tragen dadurch nun wirklich nicht zur Ernährungssicherheit in den Entwicklungsländern bei. Aber wir zerstören bäuerliche Strukturen ausgerechnet in den Ländern, in denen dringend Entwicklung stattfinden müsste. Auch deshalb wächst dort die Armut und mehr Menschen fliehen davor.

Ist die Agrarlobby in Europa zu stark, um diese Entwicklung zu stoppen?

Harms: Die Agrar-Funktionäre der alten Verbände geben immer noch nicht zu, dass Europa nicht die Welt ernährt, sondern zulasten gerade der Entwicklungsländer Agrarpolitik betreibt. Das hat sich in den vergangenen Jahren noch verschärft, weil immer mehr Energiepflanzen angebaut werden und noch mehr Flächen der Nahrungsmittelproduktion entzogen werden. Im Europäischen Parlament wurde die Forderung des Entwicklungsausschusses, Kohärenz zwischen Agrar- und Entwicklungspolitik der EU herzustellen, vom Agrarausschuss vollkommen ignoriert.

Rechnen Sie damit, dass die Agrarreform im November unverändert verabschiedet wird oder dass es doch noch Änderungen gibt?

Harms: Weite Teile dieser Reform sind von Mehrheiten in den Ausschüssen vorbereitet worden. Deshalb glaube ich, dass die Reform auch so verabschiedet wird. Ich kann nur hoffen, dass die vielen guten Ideen, die es im Parlament gab, und die guten Ansätze, die der EU-Agrarkommissar vertreten hat, weiterverfolgt und irgendwann in Agrarpolitik umgesetzt werden. Dazu gehört die Besinnung auf die Ziele, die angestrebt, aber nicht in Angriff genommen wurden.

Das heisst: Hoffen auf 2020?

Harms: Nein, sondern nach der Reform ist vor der Reform. In den Mitgliedstaaten gibt es noch viel Spielraum, vor allem in der ländlichen Entwicklung, bessere Agrarumweltmassnahmen umzusetzen und Kooperation zwischen kleineren Betrieben statt Verdrängungswettbewerb zu fördern. Das Bemühen, die verpassten Ziele zu erreichen, geht für mich und etliche meiner Kolleginnen und Kollegen im EU-Parlament jetzt und nicht erst 2020 weiter. So ist Politik. Und ich bin lange genug dabei, um zu wissen, dass so grosse Projekte wie die Agrarwende oder die Energiewende nicht so schnell zu schaffen sind. Realistisch betrachtet, benötigt man für solche Paradigmenwechsel nicht eine Dekade Zeit, sondern eine Generation. Parole: Niemals aufgeben!

Das Gespräch führte Werner Kolbe

Das Interview ist veröffentlicht in der Landeszeitung Lüneburg (25.10.2013)

 


#agrarreform   #landwirtschaft