Rebecca Harms

Mitglied des Europäischen Parlaments in der Grünen/EFA Fraktion 2004-2019

#atom    18 | 10 | 2017
Blog

ITER - Oder was es wert ist, die Sonne auf die Erde zu holen

Eigentlich sollte der Blog in dieser Woche von Jamaika handeln. Aber da nun ja schon jeder was drüber gesagt hat, habe ich gedacht, ich erzähle mal wieder aus den Tiefen des Industrieauschusses des Europaparlaments.

Wenn es um die Forschungsprojekte zur Kernfusion geht, dann konnten sich Unterstützer und Kritiker schon immer auf eines verlassen: Die Projekte wurden schon immer viel teurer als geplant. Der Zeitraum bis zum Beweis, dass der Prozess funktioniert, wurde immer länger. Und der mögliche Termin einer Anwendung zur industriellen Stromerzeugung wurde immer weiter in die Zukunft verschoben. Dabei ging es nie um Jahre sondern immer um Jahrzehnte.  

Insofern erwiesen sich die Leiter des Großforschungsprojektes ITER, die in dieser Woche im Industrieausschuss vortrugen, als ausgesprochen verlässlich. Nachdem im Jahr 2015 wegen offenkundigen Chaos auf der Baustelle des Fusionsreaktors ITER im französischen Cadarache die komplette Leitungsebene ausgetauscht worden war, berichteten nun die Neuen zunächst von Erfolgen. Es gibt wirklich eine Baustelle. Und dort wurde nicht nur ein Fundament gegossen. Es entstehen auch schon große Gebäude. Auf den Bildern einer Powerpoint-Präsentation waren diese Gebäude, wenn auch unscharf, zu erkennen. Die guten Botschaften aus Cadarache waren kurz gefasst:
Mit dem neuen Management haben wir es geschafft, mit sehr vielen Unternehmen Verträge abzuschließen. Die Unternehmen werden auch bezahlt. Die Wirtschaft hat neues Vertrauen in die Geschäftsführung von ITER gefasst. Und der Haushalt, den die EU von 2014 bis 2020 genehmigt hat, wird in diesem Zeitraum auch nicht überschritten werden.

ITER wäre aber nicht ITER und die Fusionisten nicht die Fusionisten wenn, ja wenn dann nicht doch noch das dicke Ende gekommen wäre: Schon jetzt ist klar, dass die Kostenplanungen für die nächste Phase nicht ausreichend waren. Schon heute soll also sichergestellt werden, dass nach 2020 erneut aus dem EU Haushalt mehr Geld als einmal geplant in die Kernfusion geht. Vielleicht damit es den Ausschussmitgliedern leichter fällt, tiefer in die Tasche zu greifen, wurden in der kurzen Kostenübersicht zu ITER im EU Haushalt immer Angaben über den prozentualen Anteil am Gesamthaushalt gemacht. Die Forschungsmilliarden fühlen sich dann klitzeklein an. Erst auf Nachfrage wurde mir zugesichert, dass die EU Kommission Informationen dazu nachliefern wird, wieviel Prozent der Forschungsmittel im Energiebereich von ITER aufgefressen werden. Absolut soll die EU zusätzlich zum bisher beschlossenen Beitrag von 6,6 Milliarden Euro für ITER ab dem Jahr 2021 noch einmal 7,1 Milliarden Euro aufbringen[1]. Weil die EU 45% der Beiträge leisten soll, liegen die geschätzten Gesamtkosten für ITER momentan also bei 30 Milliarden Euro. Ursprünglich waren einmal 10 Milliarden Euro veranschlagt.

Im Jahr 2025 soll zum ersten Mal Plasma in den Fusionsreaktor in Cadarache eingebracht werden. Voll funktionsfähig ist ITER dann 2035. Und was heißt das alles für die industrielle Reife der Technologie? Nach Auskunft der ITER Chefs in der Befragung ist die wahrscheinlich erst in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts möglich, auf jeden Fall nach 2050. Und ob das eher 2060 oder 2090 sein wird... who knows?

Damit wurde offiziell, dass ITER zu den Zielen von Paris, also zur Dekarbonisierung bis 2050 nicht beitragen wird. Ein Mitglied des Ausschusses wagte sich dann doch vor und fragte, ob nach so vielen Jahrzehnten tatsächlich noch mit einem Durchbruch zu rechnen sei. Er wollte zwar nicht für den Abbruch eintreten, aber auf jeden Fall einmal nachgefragt haben. Die bescheidene Frage wurde mit einer großen Antwort belohnt. Es gehe in Cadarache und bei ITER schließlich darum, die Sonne auf die Erde zu holen. Es gehe darum eine endlose Energiequelle zu schaffen, die uns schließlich aller Sorgen um Energie entledigen würde.

Also bitte nicht kleinlich werden. So kleinlich wie ich, als ich dann noch fragte, ob angesichts der Dimensionierung des  ITER Projektes in der endlosen Geschichte der Fusionsforschung inzwischen privates Geld und damit Interesse aus der Wirtschaft an einer Anwendung vorhanden sei. Das Interesse der Wirtschaft beschränkt sich weiter - nach ca 60 Jahren sehr teurer Forschung - auf die Ausführung des Baus und die damit verbundenen öffentlichen Aufträge.

Auf meine Zweifel an der Größe und Kosten von ITER für ein Projekt, das immer noch Teil der Grundlagenforschung sei, bekam ich die eigentliche Antwort nach der Sitzung auf dem Flur. Der Chefingenieur holte etwas aus und erklärte mir, dass seine Frau lange kein Feuer im Kamin habe entfachen können. Inzwischen wisse sie, dass man mehrere Scheite schichten müsse. Ein richtiges Feuer brauche eben Platz. Seine Frau kann Feuer machen. Und für mich heißt das wohl, dass ich eines Tages verstehen werde, warum ITER so groß und teuer sein muss. Bis 2050 stehen der EU, den USA, Japan, Russland, China, Korea und Indien erst noch einige Kostensteigerungen bevor. Aber - und in kleinerer Münze geht es bei der Fusion nie - es gehe neben allem auch um den Weltfrieden.


[1] Euratom-Beitrag, Preise von 2008: http://ec.europa.eu/transparency/regdoc/rep/1/2017/DE/COM-2017-319-F1-DE-MAIN-PART-1.PDF

   


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