Parlamentarische Anfrage an die EU-Kommission von Rebecca Harms, Franziska Keller und Hélène Flautre vom 13.07. 2010
Nach dem Rückzug deutscher, österreichischer und schweizerischer Exportkreditgarantien und Unternehmen vom Ilisu-Staudamm-Projekt haben jetzt türkische Banken und Unternehmen die Finanzierung und Bauarbeiten übernommen. Die türkische Regierung fühlt sich nun nicht mehr an die von Weltbank-Experten erarbeiteten 153 Verbesserungsforderungen gebunden. Seit Frühjahr 2010 werden Bauarbeiten, Enteignungen und Umsiedlungen fortgesetzt. Menschheitsgeschichtlich wertvolle Stätten in „Hasankeyf“ sollen nicht wie angekündigt an einem neuen, sicheren Ort wiederaufgebaut werden, sondern lediglich Repliken. Das Europäische Parlament hat in seiner Entschließung vom 10. Februar 2010 zu dem Fortschrittsbericht 2009 über die Türkei die Kommission aufgefordert (P7_TA(2010)0025), „eine Studie über die Konsequenzen des Südost-Anatolien-Projekts (GAP) vorzulegen“ sowie „die Arbeit an dem Ilisu-Staudamm-Projekt einzustellen, bis die oben erwähnte Studie der Kommission vorliegt“ (Ziffer 16).
1. Wann wird diese vom Parlament geforderte Studie vorliegen?
2. Welche Informationen gibt es bereits über Erkenntnisse/Ergebnisse dieser Studie?
3. Wird die Kommission im Zuge der Beitrittsverhandlungen — insbesondere bzgl. des Umweltkapitels — das Ilisu-Staudamm-Projekt untersuchen und sich gegenüber der türkischen Regierung dafür einsetzen, dass Vorgaben aus der Habitat-Richtlinie eingehalten werden?
4. Wird sich die Kommission dafür einsetzen, dass die Arbeiten am Ilisu-Staudamm bis zur Fertigstellung dieser Studie — wie vom Europäischen Parlament gefordert — eingestellt werden?
5. Das österreichische Unternehmen Andritz ist als einziges EU-Unternehmen weiterhin an den Bauarbeiten beteiligt; wird die Kommission Österreich dazu auffordern, Andritz zur Einhaltung bestehender EU-Vorgaben zu verpflichten sowie den Forderungen des Europäischen Parlaments nachzukommen und sich an den Baustopp zu halten, solange die Kommissionsstudie nicht vorliegt? Wenn nein, warum nicht?
Die Antwort von Herrn Füle im Namen der Kommission
Wie im Follow-up der Kommission vom 20. April 2010 zur Entschließung des Europäischen Parlaments zum Fortschrittsbericht 2009 über die Türkei(1) festgestellt, verfügt die Kommission über keine Rechtsgrundlage mit entsprechenden Finanzmitteln zur Durchführung einer derartigen Studie, da kein Zusammenhang mit einem von der EU finanzierten Projekt besteht und es nicht um einen Verstoß der Türkei gegen ihre rechtlichen Verpflichtungen gegenüber der EU geht. Darüber hinaus sprengt der Umfang dieses multisektoralen und integrierten Regionalentwicklungsprojektes, das 22 Dämme in 9 Provinzen betrifft und die ländliche Entwicklung, die Verkehrs- und andere Infrastrukturen zum Gegenstand hat, den Rahmen einer von der Kommission vorzulegenden Wirkungsstudie.
Die Kommission verfolgt die Frage des Dammbauprojekts aufmerksam im Rahmen der Beitrittsverhandlungen über das Kapitel „Umwelt“ und hat sie der Türkei gegenüber mehrfach zur Sprache gebracht. Dabei hat sie die Türkei dazu ermutigt, alle Beteiligten, auch Nichtregierungsorganisationen, zu konsultieren und eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorzunehmen. Auf der Tagung des Assoziationsrates EU‑Türkei im Mai 2010 hat die EU deutlich gemacht, dass beim Bau neuer Wasserinfrastrukturen in der Türkei die EU‑Anforderungen stärker beachtet werden müssen.