Manchmal wünschen wir uns die Zeit anzuhalten um in schwierigen Situationen mehr Nachdenken, mehr Austausch und dann sorgfältigere Entscheidungen zu erreichen. Die Gespräche zu Griechenland haben stattdessen unter einem enormen Druck und als Zerreißprobe für die EU stattgefunden. Das Europäische Parlament hat zwar eine aufwühlende Debatte mit Alexis Tsipras geführt, ist bei den Entscheidungen zur Eurozone aber weiter Zaungast. Es werden die nationalen Parlamente sein, die sich zu dem auszuhandelnden Paket verhalten müssen. Erst während der letzten Stunden wurde nun klar, dass es eine Einigung mit der griechischen Regierung über die Grundlagen für ein 3. Hilfspaket gegeben hat. Zu den Grundlagen gehört ein Treuhandfonds, der in Griechenland als die neue große Zumutung empfunden wird. Trotzdem hat Alexis Tsipras dem Kompromiss zugestimmt, der in erster Linie wohl noch durch französisches Engagement möglich wurde.
Für Griechenland wünsche ich mir, dass es uns zusammen gelingt, über die richtigen und unverzichtbaren Veränderungen im Land eine Einigung hinzubekommen. Jeder weiß, dass das ein Prozess ist, der voller Zumutungen ist. Aber viele Griechen wollen auch Veränderung. Alexis Tsipras hat in seiner Rede in Straßburg die Korruption und den Nepotismus zum Thema gemacht. Die Probleme sind alle bekannt. Nur wie können diese bewältigt werden ohne dass die Verelendung von so vielen Menschen in Griechenland weiter geht? Die Notwendigkeit für Solidarität hört nicht mit dem Hilfspaket auf.
Die deutsche Rolle, wie sie in den Verhandlungen von Wolfgang Schäuble angelegt wurde, entspricht zwar den Erwartungen einer Mehrheit der deutschen Bürger. Verantwortlich ist das trotzdem nicht. Deutschland ist geworden wie und was es heute ist, weil unsere Nachbarn uns in der Geschichte der EU nie eisern begegnet sind. Die deutsche Rolle in der Europäischen Union muss immer darauf ausgerichtet sein, diese Union zusammenzuhalten. Die neue deutsche Macht muss für eine gemeinsame, bessere Zukunft eingesetzt werden. Alles andere ist verantwortungslos und gefährdet Europa insgesamt.
Der Streit über Griechenland, die innergriechische Debatte aber auch die harschen Reaktionen aus vielen nord- und osteuropäischen Ländern zeigen, dass die EU von Brüchen durchzogen ist. Wir müssen dafür sorgen, dass sich Griechenland als Nation in der EU nachhaltig erholen und neu entwickeln kann. Aber wir müssen insgesamt in der EU eine neue Verständigung über die gemeinsame Zukunft suchen. Die europäische Idee ist stärker als die Krisen. Aber sie muss diskutiert, überdacht und immer mal wieder poliert werden.
E in Zitat des Schriftstellers Hector Abad, Kolumbien, das ich mir gerade wieder über den Schreibtisch gehängt habe:
„Jetzt sieht es so aus, als ob ihr Europäer dieses Ideal aufgeben wollt, das erst seit wenigen Jahrzehnten erprobt wird. Seid ihr verrückt? Europa ist kein Irrtum und keine Scheiße. Viele Dinge sind schlecht, man muss sie ändern. Die Welt wird nie ein Paradies sein, doch was ihr in den letzten sechzig Jahren in diesem geeinten, solidarischen Europa zu schaffen in der Lage wart, ist das bisher auf Erden durchgeführte Experiment, das am wenigsten der Hölle gleicht.“