GASTBEITRAG
Kompetenz statt Lobbyismus
Die neue EU-Kommission hat weder Nachhaltigkeit, Energiewende noch Bürgerrechte im Fokus.
Von Rebecca Harms und Philippe Lamberts
Es ist wie mit einem großen Geschenk. Monatelang hat man darauf gewartet. Dann endlich kommt der große Tag. Aber beim Auspacken ist dann die Enttäuschung groß: Drin steckt etwa nicht das erhoffte Geschenk, sondern etwas, was man so nicht wollte.
So ähnlich ist es mit der neuen EU-Kommission, die Präsident Jean-Claude Juncker vorgestellt hat. In dieser Woche treten die Kandidaten im Europäischen Parlament zu den Anhörungen an. Nur wenn eine Mehrheit der Abgeordneten das Gesamtpaket akzeptiert, kann die Kommission mit der Arbeit beginnen. Einige Kommissare müssen sich auf harte Auseinandersetzungen einstellen. Fällt auch nur einer durch, muss der Chef nachbessern. Das Parlament hat in den vergangenen Jahren schon mehrmals Umbesetzungen erreicht.
Dabei ist die neue Struktur, also die Verpackung, durchaus vielversprechend: Juncker will durch mehr Führung mehr Einfluss erreichen. Er hat die EU-Kommission neu zusammengebaut - mit starken Vize-Präsidenten und klaren Hierarchien. Das macht ihn stärker in den Auseinandersetzungen mit den Regierungen im Europäischen Rat.
Mit vielen ehemaligen Premierministern und Ministern bekommt die EU-Kommission auch mehr politisches Gewicht. Das wird gebraucht, um die Europäische Union zusammenzuhalten und vorwärts zu bringen. Der Umbau ist ein weiterer Beleg für das proeuropäische Engagement von Jean-Claude Juncker. Er will eine starke Europäische Union. Wir auch. Und wir werden ihn gegenüber den Mitgliedsstaaten unterstützen.
Aber die Besetzung einiger Schlüsselpositionen halten wir für falsch und die politische Ausrichtung dieses Kabinetts ist rückwärtsgewandt. Das ist keine Kommission, die Nachhaltigkeit, Energiewende und Bürgergesellschaft im Fokus hat. Auch die Lehren aus der Euro- und Bankenkrise hat Juncker offenbar nicht gelernt.
Die notwendige Transformation der europäischen Wirtschaft, die Chancen auf Modernisierung durch ökologische und ökonomische Vernunft scheinen in dieser Kommission keinen Platz zu haben. Aber wir dürfen nicht weitere fünf Jahre verschenken.
Drei Konservative stehen für unsere Befürchtungen: Jonathan Hill (Finanzmarkt), Miguel Arias Canete (Energie und Klimaschutz) und Tibor Navracsics (Bildung, Bürgerrechte und Kultur) - also die vorgeschlagenen Kommissare aus Groß-Britannien, Spanien und Ungarn.
Wenn diese Vorschläge durchkommen, dann haben wir keinen Kommissar mehr für Banken- und Finanzmarktregulierung, sondern einen Lobbyisten für die City of London. Wir haben keinen Kommissar mehr für Klimaschutz, sondern für Öl. Und wir haben keinen Kommissar für Bürgerrechte, sondern für politische Gleichschaltung.
Jonathan Hill hat jahrelang als Lobbyist für Quiller Consulting gearbeitet. Er ist deshalb ein Geschenk Junckers an den britischen Premierminister David Cameron und eine Provokation für all diejenigen, die sich seit dem Ausbruch der Finanzkrise für bessere Regeln auf den Finanzmärkten einsetzen.
Der ehemalige spanische Landwirtschaftsminister Miguel Arias Canete hat in seiner Antrittsrede vor einigen Jahren erklärt, er habe keine Ahnung von Umweltgesetzgebung. Ahnung hat er aber offensichtlich von Öl: Er war bis vor drei Jahren im Verwaltungsrat der Ölfirmen Duclar und Petrologlis. Seine Aktien hat er erst kürzlich verkauft. Europa braucht aber keinen Kommissar für Öl! Wir brauchen einen Kommissar, der die Europäische Union aus dem Zeitalter der fossilen Energien herausführt.
Jean-Claude Juncker sollte auf den Rat von zehn Nichtregierungsorganisationen hören. Er sollte Platz schaffen für einen Nachhaltigkeitskommissar. Eine Vizepräsidentin mit der Verantwortung für nachhaltige Entwicklung und Klimapolitik wäre eine Erfolg versprechende Neuerung. Das würde dem entsprechen, was Jean-Claude Juncker uns in seiner Bewerbungsrede im Europäischen Parlament versprochen hat: eine zukunftsgewandte Europäische Union mit konsequenter Klimaschutzpolitik und einem klaren Bekenntnis zu mehr Nachhaltigkeit.
Auch über den ungarischen Kandidaten gibt es wenig Ermutigendes zu sagen: Navracsics war in der Orban-Regierung die treibende Kraft für die Reform der Medienpolitik 2011, bei der kritische Journalisten von ihren Posten flogen und der öffentlich-rechtliche Rundfunk zu einem Staats- beziehungsweise Partei-Rundfunk gemacht wurde. Er gehört zu den engen Beratern von Victor Orban.
Es ist eine Beleidigung, dass ausgerechnet dieser Mann in Zukunft darüber entscheiden soll, welche Nichtregierungsorganisationen mit EU-Geldern im Bereich der Bürgerrechte gefördert werden sollen, wenn gleichzeitig in Ungarn regierungskritische Organisationen zu Staatsfeinden erklärt und verboten werden.
Jean-Claude Juncker muss wissen, dass die grüne Zustimmung für seine Kommission davon abhängt, ob unsere politischen Ziele berücksichtigt werden. Drei Positionen müssen neu besetzt werden.
Lieber Jean-Claude Juncker, ersetzen Sie im Sinne ihrer Antrittsrede diese Männer mit kompetenten und erfahrenen Frauen, die die Zukunftsherausforderungen für die EU besser verstehen und angehen! Rebecca Harms und Philippe Lamberts sind Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europäischen Parlament.
Datum 29.09.2014
Quelle Frankfurter Rundschau, Seite 10