Parlamentarische Anfrage an die EU-Kommission von Rebecca Harms vom 01. Juli 2011
In den vergangenen Jahren haben die EBWE und die EIB in zahlreiche Vorhaben zum Bau von Hochspannungsleitungen des ukrainischen Staatsunternehmens Ukrenegro investiert. Im Oktober 2010 veröffentlichte die EBWE eine Bekanntmachung für den „Second Backbone Corridor“, der aus einer Reihe von Höchstspannungsleistungen besteht und drei Atomkraftwerke und zwei Wasserpumpspeicherwerke in der Ukraine miteinander verbinden soll. Das Projekt sieht die Stromerzeugung mit Kernreaktoren sowjetischer Bauart aus den 70er und 80er Jahren vor. Dieser Korridor wird jedoch nicht vor 2018 betriebsbereit sein. Zu diesem Zeitpunkt werden sieben der zwölf verbundenen ukrainischen Kernreaktoren das Ende der geplanten Laufzeit erreicht haben.
Der „Second Backbone Corridor“ bildet einen grundlegenden Bestandteil der ukrainischen Energiestrategie bis 2030. Er sieht eine Verdoppelung der Energieerzeugung aus Kohle (von 43,5 im Jahre 2005 auf 101 Mio. Tonnen des gleichwertigen Kraftstoffes im Jahre 2030) und damit die Erhöhung des Kohleanteils im Energiemix von 22 % (2005) auf 33 % (2030) sowie den Bau von 22 neuen Kernreaktoren vor. Gleichzeitig bleibt das enorme Potenzial der Ukraine im Bereich der Energieeffizienzsteigerung ungenutzt.
Die Energiestrategie der Ukraine zeigt auch, wie mit den beiden Korridoren, dem „Second Backbone Corridor“ und dem Rivne-Kyiv-Donbass, die Voraussetzungen für die Integration des ukrainischen mit dem europäischen Netz geschaffen werden und ein deutlicher Anstieg der Stromexporte verbunden sein wird. Entsprechend dem Grundszenario der Strategie werden sich die Stromexporte bis 2030 von 8,3 TWh auf 25 TWh verdreifachen.
1. In welcher Form unterstützen die EU‑Finanzinstitutionen in Übereinstimmung mit der EU‑Klimaschutzstrategie Energieeffizienzprojekte in der Ukraine?
2. Wie stellt die Kommission sicher, dass das Projekt „Second Backbone“ nicht Laufzeitverlängerungen für gefährliche Kernreaktoren zur Folge haben wird?
3. Wie kann die Kommission sicherstellen, dass die EU bei den Energieimporten aus der Ukraine die Nachbarstaaten nicht nuklearen Gefahren aussetzt?
4. Wie kann die EU verhindern, dass beim Import von in Kohlekraftwerken erzeugtem Strom aus der Ukraine keine Verlagerung von CO2-Emissionsquellen aus dem eigenen Energiesektor in die Ukraine stattfindet?
Antwort von Herrn Oettinger im Namen der Kommission
1. Der Bereich der Energieeffizienz und der erneuerbaren Energien zählt zu den Prioritäten der Zusammenarbeit der EU mit der Ukraine im Rahmen der Vereinbarung EU-Ukraine über die energiepolitische Zusammenarbeit. Ein Großteil der finanziellen Unterstützung der EU für den ukrainischen Energiesektor wird in diese Bereiche gelenkt. Der ukrainische Sektor „Energieeffizienz und erneuerbare Energien“ erhält derzeit im Rahmen eines sektorbezogenen Budgethilfeprogramms der EU 70 Mio. EUR, wobei die EU-Hilfe unter der Bedingung ausgezahlt wird, dass bestimmte Voraussetzungen in Bezug auf die Reform des Energiesektors erfüllt sind. Dazu zählt die technische Unterstützung der staatlichen ukrainischen Agentur für Energieeffizienz und -erhaltung (SAEEC) beim Kapazitätsaufbau. Die EU und die Ukraine entwickeln ferner ein Partnerschaftsprojekt, dessen Begünstigter die SAEEC ist. Das Projekt dient der Harmonisierung ausgewählter nationaler Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der Energieeffizienz mit dem einschlägigen EU-Recht.
Darüber hinaus nimmt die Ukraine am INOGATE-Programm teil, einem Programm für technische Zusammenarbeit im Energiebereich für Osteuropa, den Kaukasus und Zentralasien. Im Rahmen des INOGATE-Programms werden derzeit laufende Projekte mit 34 Mio. EUR gefördert, darunter auch 4 Projekte im Bereich Energieeffizienz: „Initiative für das Energiesparen im Bausektor“ (ESIB), „Förderung der Integration der Energiemärkte und zukunftsfähige Energiebewirtschaftung in den Neuen Unabhängigen Staaten“ (SEMISE), „Capacity Building for Sustainable Energy Regulation“ und technische Unterstützung für die UKEEP2-Finanzierungsfazilität der EBWE. Zusätzlich werden ukrainische Städte, die dem Bürgermeisterkonvent beigetreten sind, im Rahmen eines für den Bürgermeisterkonvent in Osteuropa, im Kaukasus und in Zentralasien bestimmten Sonderprojekts Unterstützung (5 Mio. EUR) erhalten. Schließlich leistet die EU einen Beitrag in Höhe von 40 Mio. EUR zur Partnerschaft für Energieeffizienz und Umweltschutz in Osteuropa, die auf einer Geberkonferenz im November 2009 in Stockholm ins Leben gerufen wurde. Zur Unterstützung von Investitionen in Energieeffizienz und erneuerbare Energien durch KMU wird derzeit ein Globaldarlehen abgewickelt, ein weiteres wird voraussichtlich 2011 unterzeichnet.
Auch durch Investitionen in Energieübertragung und -erzeugung kann die Energieeffizienz gesteigert werden. Zwei Stromübertragungsvorhaben in der Ukraine werden von der EIB finanziert, um zur Verringerung der durch den Ausgleich der Systemlast entstehenden Verluste beizutragen.
2. & 3. Die Entscheidung von Drittländern, neue Kernreaktoren zu errichten oder den Betrieb bestehender Kernreaktoren auszuweiten, erfolgt auf nationaler Ebene und fällt nicht in den Zuständigkeitsbereich der Europäischen Union.
Die Kommission kann gemäß Artikel 43 Euratom-Vertrag zu Investitionsvorhaben für neue Anlagen sowie für Ersatzanlagen oder Umstellungen bestehender Anlagen, deren Standort sich in der EU befindet oder befinden wird, Stellung nehmen. Von Drittländern erwartet die Kommission, dass sie ihren Verpflichtungen nach internationalem Recht, beispielsweise dem Übereinkommen über nukleare Sicherheit(1) und dem Übereinkommen über die Umweltverträglichkeitsprüfung im grenzüberschreitenden Rahmen („ESPOO-Übereinkommen“)(2) in vollem Umfang nachkommen. Die Ukraine ist Partei beider Übereinkommen. Gemäß dem Übereinkommen über nukleare Sicherheit muss die Ukraine sicherstellen, dass geeignete Verfahren geschaffen und angewendet werden, um Konsultationen mit Vertragsparteien in der Nachbarschaft einer vorgesehenen Kernanlage aufnehmen zu können. Gemäß dem ESPOO-Übereinkommen ist die Ukraine ebenfalls verpflichtet, andere Parteien, die ihrer Ansicht nach durch eine geplante Tätigkeit, die erhebliche nachteilige grenzüberschreitende Auswirkungen hat, betroffen sein könnten, so rasch wie möglich vom Bau eines Kernkraftwerks zu benachrichtigen. Die Parteien prüfen die Einhaltung der Bestimmungen der beiden vorstehend genannten Übereinkommen auf entsprechenden Sitzungen, bei denen die Parteien (auch die Ukraine) Berichte einschließlich Informationen über die Erfüllung dieser im Rahmen der Übereinkommen bestehenden Verpflichtungen vorlegen.
Außerdem hat der Europäische Rat nach dem Unfall in Fukushima (Japan) am 25. März 2011 die Sicherheitsüberprüfung aller Kernkraftwerke in der EU auf der Grundlage einer umfassenden Risiko- und Sicherheitsbewertung („Stresstest“) gefordert und die Nachbarländer aufgefordert, sich diesem Stresstest anzuschließen. Im Anschluss an eine Sitzung auf Ministerebene am 23. Juni 2011 vereinbarten die teilnehmenden Länder, darunter die Ukraine, die Teilnahme an den Stresstests.
4. In ihrer Mitteilung zur „Analyse der Optionen zur Verringerung der Treibhausgasemissionen um mehr als 20 % und Bewertung des Risikos der Verlagerung von CO2-Emissionen“ vom 26. Mai 2010(3) erklärte die Kommission, das Risiko der Verlagerung von CO2‑Emissionen hänge von der CO2-Intensität des in die EU ausgeführten Stroms ab. Die Kommission wird die Lage streng überwachen und gegebenenfalls weitere Maßnahmen treffen, um die Sicherheit der Energieversorgung zu verbessern und auf den Strommärkten ausgewogene Wettbewerbsbedingungen zu schaffen.
(1) Das Übereinkommen über nukleare Sicherheit wurde am 17. Juni 1994 unter der Schirmherrschaft der Internationalen Atomenergiebehörde angenommen (INFCIRC/449, 5. Juli 1994).
(2) Dieses Übereinkommen wurde 1991 angenommen und trat am 10. September 1997 in Kraft.