Selten ist es mir so schwer gefallen, meine Gedanken zu den Entwicklungen in der Ukraine aufzuschreiben wie in der letzten Woche. Eigentlich wollte ich nur über den Verlauf und die Ergebnisse des Gipfeltreffens der östlichen Partnerschaft berichten und kommentieren. Dieser Gipfel, der die Staats-und Regierungschefs der EU mit denen von Armenien, Aserbaidschan, Georgien, der Republik Moldau und der Ukraine zusammenbringt, fand nach Vilnius und Riga am 24. November zum ersten Mal in Brüssel statt. Die Estnische Ratspräsidentschaft hatte das vorgeschlagen, um die Bedeutung der gemeinsamen Politik der Östlichen Partnerschaft für die gesamte EU zu unterstreichen. Es ist ein offenes Geheimnis, dass in Brüssel immer von der Osteuropa Fatigue zu hören ist. Gegen diese Fatigue, hinter der sich manches Mal ein kaum verhohlener Wunsch nach business as usual mit Wladimir Putin verbirgt, arbeite ich mit KollegInnen im Europäischen Parlament aber auch in den Parlamenten der Partnerländer an. Wir finden, dass wir in den Jahren seit dem Vilnius Gipfel - trotz großer neuer Herausforderungen - schon weit gekommen sind. Und wir halten es jetzt für das Wichtigste, die ehrgeizigen Reformen umzusetzen, die in den Assoziierungsabkommen vereinbart wurden. Für die Parlamentarische Versammlung von Euronest nahm ich am Gipfel teil, um den Staats- und Regierungschefs die Meinung der Parlamente zum Stand, zu Problemen und zu den Perspektiven der östlichen Partnerschaft zu erläutern. (Hier meine Rede)
Belarus war in Brüssel mit seinem Botschafter bei der EU vertreten. Die Beziehungen bleiben aus bekannten Gründen schwierig. Der Streit zwischen Litauen und Belarus um das in Bau befindliche Atomkraftwerk führte zu einem scharfen Wortwechsel mit Daria Gribauskaite, der Präsidentin Litauens. Mit Armenien wurde in Brüssel ein umfassendes und vertieftes Partnerschaftsabkommen (CEPA) unterzeichnet. Mit Aserbaidschan wird noch verhandelt. Im Zentrum standen die drei Länder, die inzwischen Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnet und Visafreiheit bekommen haben: Wie geht es weiter? Die drei assoziierten Länder, also Georgien, Republik Moldau und Ukraine, wollten in Brüssel ein erneutes Bekenntnis der EU zu den Perspektiven einer Mitgliedschaft, zu neuen Schritten wie der Zoll- oder Energieunion und eine klare Positionierung zu Krieg und Besatzung durch Russland in fünf der sechs Länder der östlichen Partnerschaft. So gut ich diese Forderungen und noch mehr das Sehnen nach der EU-Beitrittsperspektive vieler BürgerInnen in den Partnerländern in Osteuropa verstehe, so irritiert war ich darüber, dass der ukrainische Präsident während des Gipfels zunächst keine Bereitschaft erkennen ließ, weniger als das von ihm Verlangte in der Gipfelerklärung zu akzeptieren. Als die Erklärung am Ende doch mit einigen knappen Ergänzungen und allen Stimmen verabschiedet wurde, blieb Unbehagen zurück. Ich war während der Aussprache sehr angetan von dem starken Engagement der Skandinavier, die den Balten, Deutschen oder Polen in ihrer Unterstützung für die Partnerländer im Osten in nichts nachstehen. Ich war gleichzeitig neu konfrontiert mit einer kühlen Distanziertheit der Niederländer und der Franzosen. Und Viktor Orban, dessen Wunsch nach Nähe zum Kreml unverhohlen ist, ließ es sich nicht nehmen, die Bildungsreform der Ukraine und den damit verbundenen Streit um Minderheitenrechte als Argument gegen die Politik in der Östlichen Partnerschaft zu verwenden. Der Gipfel hat mir noch deutlicher gemacht, dass für den Zusammenhalt der EU und der Östlichen Partner mehr getan werden muss. Allerdings nicht nur auf der EU Seite.
Ich gebe den osteuropäischen FreundInnen und KollegInnen Recht, dass gerade angesichts sehr schwieriger Reformen, die den BürgerInnen der Länder viel abverlangen, eine offene Tür in die EU als Zukunftsperspektive richtig ist. So wie es in den EU-Verträgen steht und selbst dann, wenn eine Mitgliedschaft nicht absehbar und greifbar vor uns liegt. Ich habe genau das auf dem Gipfel im Namen der Parlamentsmehrheit wieder vertreten. Ich habe allerdings in vielen Gesprächen und Veranstaltungen auch immer wieder deutlich gemacht, dass ich einmal abgesehen von Entwicklungen in den Partnerländern, die EU in ihrer jetzigen Verfassung weiterhin nicht für aufnahmefähig halte. Ich denke, dass wir in der EU zwei schwierige Wege vor uns haben. Innerhalb der EU muss es einen Prozess geben, in dem wir uns vergewissern und klären, was und wie die EU sein soll. Die Fragen der politischen Integration der EU sind nicht nur für den inneren Zusammenhalt sondern auch für die Perspektiven der Partnerländer wichtig. Die Auseinandersetzungen mit den Regierungschefs Polens oder Ungarns um Rechtsstaatlichkeit oder Gewaltenteilung und Pressefreiheit geben einen Eindruck davon, wie wichtig diese Klärung ist, auf welcher Grundlage die EU weiter stabil sein kann. Unsere assoziierten Partner machen einen Fehler, wenn sie diese inneren Probleme der EU nicht sehen oder nicht akzeptieren wollen.
Die Nachrichten, die nach dem Gipfel aus der Ukraine kamen, zeigen aber, dass auch diejenigen, die zu Recht für eine EU Perspektive streiten die eigenen Ziele konterkarieren oder nicht ernst nehmen. Einmal abgesehen von einem von Willkür geprägten und offenkundig politisch motiviertem Vorgehen gegen Micheil Saakaschwili (dessen Verhalten auch nicht über Zweifel erhaben ist) hat das ukrainische Parlament die Absetzung des Vorsitzenden des Anti- Korruptionsausschusses, Iegor Soboliev, beschlossen und einen Gesetzesentwurf eingebracht, der ein klarer und unmissverständlicher Angriff auf die unabhängigen neu geschaffenen Anti-Korruptionsbehörden ist. Die spektakulären Vorgänge um Saakaschwili haben den Blick der internationalen Partner auf den erbitterten Machtkampf gegen die Korruptionsbehörde und ihre Unterstützer in der Zivilgesellschaft nicht verstellt. Nicht nur die Botschafter der USA und Kanadas oder der IWF auch die EU Institutionen und viele Mitgliedstaaten bilateral haben deutlich gemacht, dass rote Linien überschritten werden und dass das nicht akzeptiert wird (siehe auch die Pressemitteilung von Rebecca Harms, Dariusz Rosati und Michael Gahler). Eine am nächsten Tag veröffentlichte Erklärung des ukrainischen Präsidenten hat zwar die Absetzung von Iegor Sobolev nicht zurückgenommen, aber die anderen Forderungen der Partner der Ukraine aufgegriffen. Jetzt geht es darum, dass die Rada Entscheidungen trifft, die die gegenüber der EU und den westlichen Partnern eingegangenen Verpflichtungen respektieren. Ich plane zusammen mit dem Vorsitzenden der Ukraine Delegation, Dariusz Rosati aus Polen und dem Koordinator der Freunde der Ukraine im EP, Petras Austrevicius aus Litauen Anfang des kommenden Jahres in Kiew zu sein, um unsere Haltung zu den abenteuerlichen Aktionen der letzten Wochen deutlich zu machen. Wir werden auch erneut die Chefs des Nationalen Anti-Korruptionsbüros treffen und uns mit den stark unter Druck gesetzten NGOs austauschen, die seit dem Maidan die Reformen gegen Korruption mit voran getrieben haben. Es ist so viel erreicht worden in Zusammenarbeit auch mit der EU, dass wir nicht zulassen dürfen, dass die Ergebnisse der letzten Jahre jetzt zerstört werden.